Existentiell begründetes Denken |
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Druckversion - Fortsetzung 1...
Entgegnungen zu Robert Kurz' "radikaler Kritik"
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Fortsetzung 1 aus Diskussionsbeiträgen etc.
(Aus meinen Antworten vom 2.7., 6.7. und 9.7.2002 an Herrn K.)
Den Begriff „intersubjektiv“ verwendet auch Wilber. Deshalb wird dieser Begriff auch von mir berücksichtigt („Berdjajew kontra Wilber“). Aber ich würde das Wort „intersubjektiv“ durch das Wort „transsubjektiv“, wie ihn Berdjajew verwendet hat, ersetzen. Durch die Vorsilbe „trans“ wird deutlicher auf die Tiefendimension des Menschen hingewiesen, die eine unabdingbare Rolle spielt, wenn sich der Mensch sinnvoll der Welt im weitesten Sinne zuwendet.
Wahrhaft individueller Intuition liegt immer ein universaler Gehalt (Liebe, Freiheit, Wahrheit, Mitleid, Leid usw. usf.) zugrunde. Diese Intuition ist jedem Menschen gegeben und verlangt nach des Menschen individueller Antwort, die Intuition im Verhältnis zur Welt (im weitesten Sinne) mit Leben zu erfüllen. Aus diesem Grunde sprach ich in meiner ersten Mail von der Gewissensfreiheit und von der ethischen Grundintuition bzw. Liebesintuition.
Der Sachverhalt, daß es regnet, kann nur die Person erfahren und insbesondere der Mensch geistig beschreiben. Der Sachverhalt des Regnens existiert außerhalb der Person gar nicht. Für einen Stein regnet es nicht. Erkenntnis existiert nicht unabhängig vom Existierenden. Als die ersten Wassertropfen vom Himmel fielen, als noch kein bewußtes Leben existierte, hat niemand festgestellt, daß es regnet. Sie trennen die Erkenntnis des „Sachverhalts“ „es regnet“ vom Menschen, der erkennt - und das ist eine falsche erkenntnistheoretische Darstellung. Das läuft auf eine sogenannte reine objektive Erkenntnis hinaus – aber die gibt es nicht. Erkenntnis ist sowohl subjektiv-ethisch-emotional als auch subjektiv-objektivierend-rational. Verschwindet eine Komponente, existiert die ganze Erkenntnis nicht mehr. Wenn jemand denkt, denkt er als Person, und das schließt immer Emotionen, Ratio, Intuitionen, Gedächtnis usw. gleichermaßen ein. Unabhängig vom Menschen als Person regnet es nicht. Es findet ein Prozeß statt, den jedoch erst wir Menschen als Regen bezeichnen und erleben. Deshalb sage ich: Ob etwas wahr ist oder nicht, ist vom Motiv des Suchenden oder Finders gänzlich abhängig! Wenn Sie sagen, es regnet nur naß, auch dann werten Sie den Prozeß des Regnens nach Ihren persönlichen Maßstäben. Schon das Wort Regen enthält Wertungen und Beimischungen, die in der unbelebten Natur an sich nicht existieren. Unabhängig von unserer Wertung können wir den Regen nicht beschreiben. Indem wir Menschen den Regen als Regen bezeichnen, geben wir dem Regen einen Sinn.
Genauso verhält es sich mit Ihrem x. Das x als x existiert genau so nur für das erkennende Subjekt. Natürlich schließt die Erkenntnis immer objektivierte Elemente ein, d. h. Erkenntnis ist sowohl subjektiv-existentiell als auch subjektiv-objektivierend zugleich. Aber was ist das x unabhängig bzw. außerhalb vom erkennenden Subjekt? Es ist sinnlos, weil erst der Erkennende dem x einen Sinn verleiht bzw. den Sinn in das x eindringen läßt. Doch der Sinn offenbart sich immer nur geistig, d. h. subjektiv-existentiell. Sagen Sie mir doch, was die materielle Substanz x unabhängig vom Subjektiven ist? Und sobald man eine Antwort gibt, läßt man seine subjektiven Deutungen einfließen, es sei denn, man sagt, daß das x gar nicht existiert bzw. einfach Nichts (Gottheit) ist. Aber so negierte man den Sinn, und gerade auch das wäre eine Lüge, denn der Sinn springt uns allenthalben entgegen – innerlich-existentiell bzw. subjektiv. Oder etwa nicht?
Hinter aller scheinbar reiner Logik verbirgt sich immer auch ein irrationales bzw. arationales, d. h. alogisches Element – der geistig-existentiell motivierte Mensch.
Das Wort „Wahrheit“ an sich ist ein Wortsymbol (und kein definierter Begriff) für eine höchste innermenschliche, geistige Erfahrung. Außerhalb des Existentiell-Menschlichen ist die Wahrheit immer relativ, d. h. lügenhaft. Ich behaupte keine „objektive Wahrheit“, sondern wende mich gegen eine solche. Ich behaupte die existentielle Wahrheit, die einzigartig und persönlich ist, die jeder Mensch in sich trägt und schöpferisch realisiert werden muß im Leben, soll sie sich offenbaren.
Die Liebesintuition ist dem Menschen immanent gegeben und bildet den wesentlichsten Kern seiner Erkenntnis überhaupt. Ich weiß es, nicht weil ich eine vorrangig rationale Beweisführung durchgeführt habe und ein absolutes Ergebnis präsentieren kann, sondern weil die auf Gemeinschaft orientierte Liebesintuition das ist, was mich in meinem Leben am meisten und intensivsten beschäftigt hat, worauf ich intuitiv den größten Wert lege. Wenn andere Menschen darauf nicht den größten Wert legen, so sage ich, verbauen sie sich den Zugang zur gemeinschaftlichen Wahrheit in sich selbst. Aber im Tiefsten drängt es jeden Menschen, geliebt zu werden und zu lieben. Oder? Es gibt keine allgemeinverbindliche, kalte, abstrakte bzw. absolute Wahrheit, die für alle gleichermaßen und autoritativ, d. h. äußerlich beherrschend gilt. Diese Wahrheit ist immer ein Stück weit Lüge. Liebe ist Wahrheit ist Freiheit – die einzig wahre Freiheit im Menschen. Im Mittelpunkt meines Erkenntnisstrebens steht der liebende, d. h. vor allem der lebendige Mensch. Aber oftmals, gerade in einer von Rastlosigkeit getriebenen Gesellschaft wie der unsrigen, verdrängt der Mensch seine Liebe und ist geistig unlebendig. Darauf aufmerksam zu machen, ist eines meiner Anliegen.
Letztens hörte ich einen Satz, den ich hier sinngemäß wiedergeben möchte: Wahr ist das, woran wir glauben. – Nicht einmal der Atheist kommt an dem Glauben vorbei, daß es eben für ihn Gott nicht gibt, daß es Unsichtbares (Sinn, Geist) nicht gibt. Daran glaubt der Atheist ( was in der Vergangenheit ein wichtiges Moment für die Befreiung vom hierarchischen Kirchenglauben darstellte). Der Glaube ist eine Grundtatsache des Lebens und geht der Wissenschaft voran.
Die Wortverbindung „transzendentaler Mensch“ habe ich dem Werk Berdjajews entlehnt. Dort finden Sie aus dem Zusammenhang heraus eine klare Erläuterung dieser Wortverbindung. Vielleicht nur soviel: Der Ausdruck „transzendentaler Mensch“ verweist auf den ganzheitlichen, ungeteilten Menschen, der Kraft seiner geistigen Gabe (existentieller und objektivierender Art im Verbund) die Welt im weitesten Sinne geistig durchdringt und verändert. Dabei orientiert sich der transzendentale Mensch schöpferisch an den transzendenten bzw. ethischen bzw. überpersönlichen Prinzipien (Liebe, Freiheit, Gewissen, Leid, Mitleid und Mitgefühl, innere Authentizität und Ganzheit, Fülle usw. – Menschlichkeit), die immanent dem Menschen gegeben sind und nur immanent wirken, die er in der Auseinandersetzung mit einer dem Menschen bedrängenden Welt realisieren, aber auch verdrängen bzw. zudecken oder auch pervertieren kann (Entfremdung, Fremdbestimmung, Autoritätshörigkeit durch die Schwäche der Persönlichkeit hervorgerufen). Der Mensch ist also nicht von vornherein gut, sondern muß um das Wahre in sich und in der Welt zugleich kämpfen. Die Welt ist keine gegebene, sondern eine zu verändernde aus dem Verlangen der ethischen Intuitionen heraus, für die es einzustehen gilt, die aber keine Befehle darstellen, sondern frei angenommen oder aus Anpassungs- und Entfremdungsgründen verworfen werden können. D. h. wiederum, es gibt keine Garantie für die Wahrheit – es kommt auf die geistige, d. h. mündige Stärke des Menschen an.
Der Mensch ist physisch, seelisches und geistiges Wesen zugleich, d. h., er ist Mikrokosmos, er trägt alles konkretisiert, ganzheitlich, geistig in sich. Er ist als Person existentielles Zentrum – dies läßt sich vom Kosmos nicht sagen, der keine „Empfindungsorgane“ für Freude und Leid besitzt und über kein Bewußtsein verfügt.
Natürlich kann jeder behaupten, er berufe sich auf Intuitionen und will eigentlich nur Macht. Aber wenn Macht mit im Spiel ist und der andere Mensch erniedrigt werden soll, ist dies gerade ein Indiz dafür, daß etwas faul ist mit der Intuition. Es kommt also immer darauf an, in welchem Zusammenhang von Intuition gesprochen wird. Ich spreche in meiner Auseinandersetzung vom machtlosen, nichtzwingenden höchsten Prinzip, welches in uns immanent wirkt (Einheit von Transzendenz und Immanenz). Der wahre Gott ist nicht allmächtig im hierarchischen Sinne, sondern liebend und leidend und mitleidend und ruft nach unserer Freiheit. Ist es nicht die Freiheit, nach der wir streben, die wir wollen und suchen? Doch die Freiheit ist nicht leicht, denn sie läuft nicht konform mit einer angepaßten Welt, mit einem angepaßten Leben und verlangt Widerstand. Wer sich zur Freiheit bekennt in einer Gesellschaft, die Anpassung fordert, unterliegt immer der Gefahr, geopfert bzw. verstoßen zu werden. Damit bringe ich auch eigene Erfahrungen zum Ausdruck. Ich bin, um dem Vorzubeugen, kein Verfechter absoluter Anarchie, die ebenfalls grausam ist. Notwendigkeit und Freiheit stehen im Wechselverhältnis. Wichtig wäre, daß uns die Notwendigkeit nicht beherrscht und zerstört (physisch, seelisch und geistig), sondern daß von der Freiheit (im Menschen) her die Notwendigkeit schöpferisch zugelassen und begrenzt wird.
Wenn ich einen Menschen liebe, bin ich nicht in mich gefangen, sondern erkenne im Du das Ich des anderen und im Du mein Ich zugleich. Du und Ich bilden zusammen das Wir, die Gemeinschaft. Der Dialog des Liebenden und des Geliebten führt zur Fülle der Liebenden in der Gemeinschaft. Wesentlich dabei ist jedoch, daß ich nur lieben kann, wenn mein Ich sich nicht im anderen Ich auflöst bzw. mit dem anderen Ich identisch wird, sondern die Selbstidentität wahrt. In der Liebe erfüllen sich Ich und Du durch die überpersönlichen Werte, durch Gott als immanent wirkender transzendenter Wert – Liebe, Freiheit, Schönheit, Fülle, Wahrheit. Dafür (Liebe, innere Gemeinschaft) gibt es keine Beweise...
Ja, ich würde sagen, es gibt auch unwahrhafte, d. h. vorgetäuschte Begeisterung. Es gibt auch fanatische, bösartige, oberflächliche Begeisterung, Begeisterung für das Töten usw. „Innerlich wahrhaft“ steht gegenüber, daß innere, subjektive Prozesse auch unwahr sein können, sofern sie fremdbestimmt sind, d. h. von außen her bestimmt werden.
Nicht der Mensch an sich, in seiner diesseitig begrenzten Verfassung, ist das Maß aller Dinge, sondern der Mensch, der in sich die überpersönlichen Werte (auf die ich genügend hingewiesen habe, aber für Sie hat offensichtlich Liebe, Leid, Mitleid usw. keine ausschlaggebende Bedeutung) im Verbund mit den anderen Persönlichkeiten fortwährend verwirklicht. Fortwährend deshalb, da der Mensch wesentlich dynamisch, d. h. lebendig ist, sofern er seine Persönlichkeit realisiert. Wenn Frauen von Männern vergewaltigt werden, dann liegt es bestimmt nicht daran, daß die Männer starke Persönlichkeiten ausgebildet haben, sondern, ganz im Gegenteil, sich in einem geistig schwachen und zerrissenen Zustand befinden und von niederen und/oder pervertierten Instinkten und Intentionen getrieben werden.
Gewalt geht vor allem von den Menschen aus, die zu grausamen Vernichtungsfeldzügen in der Lage waren und sind (Hunger in der 3. Welt, Kriege, Machtgebaren). Wenn nicht der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens, unseres Denkens, unserer Philosophie stände, sondern nur eine z. B. abstrakte Erkenntnis, die hinnimmt, wie es nun einmal ist in der Welt, in der der Mensch halt zufällig weilt, dann wäre diese Philosophie sinnlos. Ich glaube daran nicht und lasse mir meinen Glauben an den authentisch-wahren Menschen nicht kaputt machen und reden, an welchem auch philosophisch gearbeitet werden muß.
Natürlich kenne ich die relative, objektivierte Wahrheit, die als kommunikative Übereinkunft festgelegt ist, damit die praktischen alltäglichen Verrichtungen geleistet werden können. Aber Wahrheit ist eben nicht gleich Wahrheit. Wenn der Mensch liebt, hat Wahrheit für ihn eine ganz andere, außeralltägliche, außerlogische Bedeutung und ist überhaupt nicht nützlich und praktisch, sondern überlogisch und existentiell.
Zu „konkret“: Die Persönlichkeit erlebt die existentielle Wahrheit, d. h. die nach meinen Ansatz höchste Wahrheit, geistig konkret bzw. real.
Zum „Geist“: Damit meine ich mehr als die rein psychische Konstellation das spürbare Ich-Bewußtsein als spürbares Persönlichkeitsbewußtsein (zu welchem die körperliche und psychische bzw. seelische Komponente dazugehört), welches ganzheitlich durch die transzendenten bzw. ethischen bzw. transzendierenden Prinzipien der Menschlichkeit (Liebe, Freiheit, Gewissen, Leid, Mitleid usw.) wahrhaft erfüllt wird. Die Geistwahrnehmung ist eine unmittelbare existentielle Realität.
Das Vorhandensein der „Materie“ ist relativ und begrenzt. Es geht mir aber nicht um den Gegensatz zwischen Geist und Materie, sondern zwischen Freiheit und Notwendigkeit.
Zu „lebendig“: Steht auch in meinen Internetseiten (Ethik u. Metaphysik). Ich unterscheide zwischen dem geistigen Leben und dem organisch-biologischen Leben. Persönlichkeit ist eine geistige Kategorie, und „lebendig“ bezieht sich hier also eindeutig und unmißverständlich auf den geistigen Akt.
Okay, auch „alles fließt“ ist ein Dogma. Ich habe nichts gegen Dogmatik, solange diese nur auf etwas über der Dogmatik Stehendes symbolisch hinweist, solange sie von mir nicht Anpassung in Form eines Gesetzes verlangt, sondern Freiheit gewährt in Blickrichtung auf eine geistige, außergesetzmäßige Welt. Statik ist ein relativer, kein absoluter Zustand. Die Welt ist im Grunde dynamisch durch und durch. Selbst die scheinbar vollkommen erstarrte Materie ist in sich dynamisch und findet nirgendwo einen absoluten Ruhepunkt. Der Gegensatz Dynamik und Statik ist relativ und gilt nur in Blickrichtung auf eine gesetzmäßige Welt. Auch der Mensch kann sich so in einer geistig erstarrten Verfassung befinden, wie Sie in mir vermuten.
„Schöpferisch“ meint hier: aus dem Nichts in Blickrichtung des Sinns, welcher durch die Wortverbindung „liebende Persönlichkeit“ symbolisch benannt wird.
Zu „universal“: Es besteht ein Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Universalen. Das Allgemeine ist objektivierter Art, praktisch auf kommunikative Verständigung ausgerichtet – z. B. auch Logik, Mathematik, Naturwissenschaft -, aber ist auch Autorität – z. B. Staat, Nation, Gesetzesmoral. Das Universale ist der transzendente Grund in der Person und insbesondere im Menschen, durch welchen die Person/der Mensch schöpferisch seine Persönlichkeit/Menschlichkeit realisiert. Der Mensch, und ich betone das immer wieder, agiert aber immer ganzheitlich, d. h. - für die Realisierung der Persönlichkeit ist er kommunizierend und partizipierend zugleich. Mit dem „kollektiven Unbewußten“ und den Archetypen im Sinne von Jung müßte ich mich erst genauer beschäftigen, um darüber Aussagen machen zu können. Aber auf jeden Fall ist das Universale dynamisch (Liebe) und nichts Statisches im Sinne von Urbildern oder Ideen.
Gäbe es keine Gleichheit, wäre ein Verwandtschaftsgefühl unter den Menschen ausgeschlossen bzw. nicht möglich. Ja, ja, woher weiß ich das, wo sind Beweise... Die werden Sie niemals bekommen. Denn der Geist des Menschen (bei Ihnen die Psyche – was ich als falsch ansehe) ist Urrealität in ihm. Wie wollen Sie etwas beweisen, das unmittelbar Sie selbst sind? Müssen Sie Ihre Existenz beweisen (beweisen = im logisch-rationalen Sinne) oder wird Sie nicht als etwas völlig selbstverständlich Gegebenes angesehen, weil alle mehr oder weniger diese Urrealität in sich wahrnehmen? Muß man immer erst (logisch) beweisen, daß man ein Mensch ist? Und gerade auch diese Fragen berühren das Problem der Erniedrigung des Menschen, indem er eben nicht als Mensch, sondern vorrangig als Funktionswesen betrachtet und ge- bzw. verbraucht wird.
Unabhängig von seinem Vorgestelltwerden ist das Subjekt existent, aber nicht das Objekt. Das Objekt existiert nur korrelativ zum Subjekt und für ein Subjekt in der gesetzmäßigen Welt. Wenn Sie aber daraus schließen, daß ich meine, daß die Welt, wenn der subjektiv Erkennende nicht da ist, auch nicht mehr da ist, so verstehen Sie mich nicht. Ich sage unter anderem nur, daß wir nicht wissen, was die Welt unabhängig vom subjektiven Erkennen wirklich bzw. scheinbar „objektiv“ ist. Ich will sagen, daß es im Erkenntnisprozeß auf das Subjekt ankommt, das erkennt. Und das Subjekt nimmt eine scheinbar gegebene Welt nicht einfach nur hin, sondern im Erkennen schon wird diese Welt verändert – ansonsten gäbe es gar keine Entwicklung, kein Zuwachs der Erkenntnis und keine Möglichkeit, entsprechend der Erkenntnis, die Welt zu verändern. Die Erkenntnis ist auch vom Standpunkt des Erkennenden abhängig von seinem Glauben. Ändert sich der Glaube, ändert sich auch die Erkenntnis(-richtung) usw. usf. Das ist eine Beobachtung, die sich Anhand der Bewußtseinsgeschichte nachvollziehen läßt. Und es gibt auch nicht nur eine äußere, objektivierte Welt, sondern auch eine innere, geistige Welt.
Ist die Zeit unaufhörlich, bin ich quasi schicksalhaft verurteilt, in einer zeitlichen Aufsplitterung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu leben? Oder spüre ich manchmal auch, wie ich in Momenten heraustrete aus der Zeit, wie ich im Überzeitlichen bzw. Außerzeitlichen wirke? Und gibt es in Momenten außerzeitlichen Wirkens (genauer: geistigen, transzendierenden bzw. durchdringenden Schaffens) nicht auch Wandel, Prozeß, Dynamik – eben Liebe? – Ich weiß, ich weiß – alles nur Hirngespinste – traurige Welt!
Ein „absolutes Dogma“ ist ein Unsinn - okay. Für mich stellt es eine Überspitzung dar. Die Wahrheit ist auch kein „absolutes Dogma“, wie ich es bei Wilber finde als „absolute Wahrheit“. Wilbers Wahrheit ist Dogma – letztlich als ein absolutes Dogma - Dogma steht in diesem Zsh. für eine Wahrheit, die in sich erstarrt und gefangen ist und absolutistische Herrschaft ausübt. Wahrheit ist bei Wilber ein scheinbar mystischer Zustand in der Art Leere-ist-Form und Form-ist-Leere, was dogmatisch als Absolutes, als Grund und Gipfel bzw. Sein der Welt angesehen wird.
Der Sinn der „Abgeschiedenheit“ ist „leer“ werden. Und dann? Was passiert dann? Können wir beim Leerwerden stehenbleiben? Oder müssen wir nicht zur Fülle weiterschreiten, wie ich meine? Wenn alles leer ist, warum soll ich dann erwachen aus der Kontemplation und „einem Bedürftigen ein Süppchen“ geben? Was treibt mich noch, um tätig zu werden, wenn ich entleert bin?? Auf jeden Fall ist die Intuition Eckharts, zu helfen, wahr, bloß die Frage lautet: Woher die ethische Motivation für die Hilfe an den Armen? Das ist für mich die wichtigste Frage.
Zu „Einheit der Persönlichkeit“: Sie ist im Grunde da. Aber jeder Mensch kann sich entfremden (z. B. durch Verdrängung, fremdbestimmte Anpassung usw.) und seine Persönlichkeit zerstören, daß er nicht mehr weiß, wer er eigentlich ist. Die Persönlichkeit ist keine festgelegte Einheit im statischen Sinne. Die Realisierung der Einheit der Persönlichkeit ist eine dynamisch-schöpferische Aufgabe und mit geistiger Anstrengung verbunden. Auf die „Einheit der Persönlichkeit“ kommt es an. Tiefenpsychologie und Psychotherapie sind in Frage zu stellen, solange sie zur analytischen Zergliederung der Persönlichkeit neigen. Beide Wissenschaftsmethoden benötigen aus diesem Grunde einen existentialphilosophischen Hintergrund.
Ich unterscheide zwischen Evolution und innermenschlichem, d. h. geistigem Schaffen. Persönlichkeit ist demnach ganzheitliches Schaffen und außerhierarchisch im Gegensatz zur Evolution. Z. B. kann der Gegensatz von Leben (im geistigen Sinne) und Nicht-Leben nur von der selbstbewußten Person (z. T. auch Tiere) wahrgenommen werden, indem die Persönlichkeit diesen Gegensatz innerlich emotional-geistig primär erlebt bzw. wahrnimmt (nicht analytisch). Objektivierte Analyse und objektivierte Erkenntnis sind sekundäre Ableitungen. Ich beweise es Ihnen nicht, denn letztlich wäre dies ein unendliches Unterfangen, weil Beweise immer nur relativ und niemals absolut sind. Denn die Welt ist durch und durch dynamisch.
Gott ist selber Paradox (Kierkegaard): Er ist sowohl das Überpersönliche als auch das Persönliche im Menschen, Transzendenz und Immanenz im personalen Subjekt zugleich. Diese Erkenntnis ist existentialistisch hergeleitet. Offensichtlich meinen Sie fälschlicherweise, daß das „Überpersönliche“ etwas außerhalb des Subjekts, des Menschen, sein muß. Vielleicht vermischen und vermengen Sie Gottheit und Gott, was entsprechend Berdjajews zum Gottheitsmonismus führen muß und unmenschlich ist.
Und auch Widersprüche sind nicht nur scheinbar – in der objektivierten Welt schon gar nicht. Und die Widersprüche, die Paradoxa, werden auch in der Persönlichkeit nicht völlig negiert, aufgelöst, denn dann wäre absolutes Nichts, keine Bewegung mehr. In der Persönlichkeit finden die Widersprüche ganzheitlich zusammen (im Gegensatz zur Welt der Subjekt-Objekte-Spaltung), was wir sprachlich-symbolisch nur unvollkommen und niemals exakt ausdrücken können. So ist z. B. die Erfahrung der Liebe (wahrhaftes Leben) nicht absolut von der Erfahrung des Todes zu trennen. Liebe ist aber dennoch die fortwährende Überwindung des Todes.
Die paradoxe Einheit von Endlichem und Unendlichem ist in der Persönlichkeit geistiger Art, in Blickrichtung der objektivierten Welt logisch nachvollziehbarer und objektivierter Art. Ich denke, es besteht eine nicht widerspruchslos zu denkende Einheit von Endlichem und Unendlichem. Paradox meint bei mir also, vom Denken her paradox. Das müßte ich in meiner Auseinandersetzung deutlich werden lassen. Und wenn zwischen Endlichem und Unendlichem keinerlei Widersprüchliches bestände, wären beide Aspekte identisch. Und das wäre für mich ein in keiner Weise nachvollziehbarer Gedanke – weder logisch noch existentiell. Dieser Gedanke gilt nicht einmal für die unergründliche Gottheit – das Nichts. In Blickrichtung des Nichts lösen sich alle Kategorien der Erkenntnis apophatisch auf. Im Nichts existiert weder Endliches noch Unendliches.
Also erst einmal niemals „zwei Menschendinge“. So etwas gibt es bei mir nicht. Mensch und Mensch stehen sich auch nicht wie These und Antithese gegenüber. Das sagen Sie. Jeder authentische Mensch ist schon höchste Synthese, vollständig und ganz. Die innermenschliche Beziehung steht über dem Gegensatz These und Antithese.
Nehmen wir Mitleid: Sie hatten doch schon mal Mitleid mit einem anderen Menschen oder mit einem Tier, oder nicht? Was soll ich da aufzeigen? Aber ich kann begründen, weshalb wahrhafte Intuitionen mit universalem Gehalt unabdingbar sind. Ohne diese Intuitionen der Menschlichkeit hätte sich der Mensch niemals ethisch-moralisch offenbaren können in der Welt, er hätte niemals dem Bösen in sich selbst und dem daraus resultierenden grausamen Wirken in der Welt über seine egozentrische Anlage hinaus widersprochen. (‚Ach, zwei Seelen in meiner Brust.’) Und dieser Prozeß ist weiterhin voll im Gange und verlangt geistige Hingabe und Anstrengung. Gäbe es die ethischen Intuitionen nicht, könnten wir gewissenlos zerstören und morden. Der Mensch wäre sich gegenseitig völlig egal – usw. Und teilweise wurden die wahrhaften Intuitionen der Menschen so zugedeckt und pervertiert, daß so etwas wie die KZs in der Geschichte nicht ausgespart blieben. Beispiele ließen sich nahezu endlos anreihen. Woher nehmen wir denn die Gewißheit, daß Mord nicht vertretbar ist? Einfach, weil wir es aufgezeigt und für nützlich befunden haben? Warum Morden denn die Menschen immer noch, auch wenn es ihnen keinen Nutzen bringt – einfach aus Haß, Eifersucht usw.? Die Geschichte der Menschheit hat deutlich aufgezeigt, daß der Mensch sich nicht immer nützlich verhalten hat und verhält!
„Psychischer Erkenntnisprozeß“ – was immer das sein soll? Aufzeigen? Ich kenne nur einen geistigen Erkenntnisprozeß, den der Mensch (als Einheit von Körper, Seele (Psyche), Geist) ganzheitlich vollzieht. Sie verstehen gar nicht, was ich mit der Einheit von subjektiv-existentieller und subjektiv-objektivierter Erkenntnis meine, die mehr oder weniger immer einen Prozeß und kein (absolutes, feststehendes) Ergebnis darstellt (dann wäre es keine Erkenntnis mehr). Und Sie verstehen auch nicht, worauf es mir ankommt: Es gibt kein absolut feststehendes Resultat der Erkenntnis. Die Erkenntnis, die erkannt worden war und niedergeschrieben worden ist, muß bei jeder erneuten Durcharbeitung neu erkannt werden. Auf dem Blatt Papier existiert die Erkenntnis nicht wirklich, sie wird erst im Menschen zur Erkenntnis. Der Erkenntnisprozeß an sich ist schon Resultat und Inhalt zugleich und geht ständig, ununterbrochen (so lange z. B. der Mensch lebt) weiter. Die geschriebenen Bücher z. B. sind Mittel und Übermittler des Erkenntnisprozesses, das Resultat im Verbund mit dem Inhalt jedoch muß immer wieder neu entstehen im Menschen, um erkannt zu werden. Man spricht auch von der Erkenntnisfähigkeit der Natur, doch davon halte ich nichts – das ist falsch, den es fehlt in der geistig-unbelebten Natur das erkennende Subjekt. Sie versuchen die Erkenntnis analytisch aufzugliedern und zerstückeln sie dabei. Das kann man machen, aber man muß sich bewußt sein, daß Erkenntnis nur ganzheitlich im Menschen real vonstatten geht.
Ich schrieb: „Unabhängig vom Menschen als Person regnet es nicht.“ – Damit meine ich nicht, daß es den Vorgang, den wir Menschen als Regen bezeichnen, nicht gibt. In welche Schublade wollen Sie mich hier andauernd schieben? Das, was ich meine, bezieht sich auf die Erkenntnis. Es ging ja ursprünglich auch um die „unabhängige Wahrheit“. Und da gilt: „Ob etwas wahr ist oder nicht, ist vom Motiv des Suchenden oder Finders gänzlich (= im ganzheitlichen Sinne) abhängig!“ Der Regen als ein naturhafter Prozeß ist definierbar und gesetzlich und auch ohne den Menschen vorhanden. Aber die Erkenntnis „Regen“ ist unsere Erkenntnis als Menschen des Vorgangs „Regen“ und ist in uns immer subjektiv real. Nur wir bezeichnen (bzw. werten) den Regen als Naß, weil wir entsprechende Organe ausgebildet haben, die zur entsprechenden Wahrnehmung führen. Und erkennen wir nicht mehr im Regen als nur seinen „objektiven Sachverhalt“? Einen Sinn (unbewußt wirkender Logos) hat der Regen auch ohne den erkennenden Menschen im Kreislauf der Natur. Aber wo endet dieser Kreislauf? Muß man nicht soweit gehen und sagen: Auch der Regen ist weitestgehend auf den Menschen angelegt, damit letztlich der Mensch entstehen und sich verwirklichen kann? Wo ziehen Sie die Grenzen? Und kann man überhaupt Grenzen ziehen? Oder ist der Mensch nur ein reines Zufallsprodukt der Evolution? Muß da nicht noch mehr sein – ein Sinn, Logos, welcher in Richtung Person, Mensch, unbewußt orientiert (aber nicht zwingt – die Welt versinkt gleichzeitig auch im Chaos)? Ich habe dazu etwas mehr und detaillierter in „B. kontra W.“ geschrieben.
Wenn wir das Wort „Regen“ denken, fügen sich alle möglichen Beimischung, wie Gefühle, Bilder, konkrete Erlebnisse, naturwissenschaftliche Vorstellungen usw. usf. ein. Denken wir das Wort „Regen“ ohne Inhalt, was möglich ist, verliert es seinen Sinn und hört auf, Wort zu sein.
Ja, ich sage, persönliche Maßstäbe sind auch emotional. Auch die Ratio existiert nur in einem emotional-geistigen Zusammenhang in der Person. Die existierende Person agiert ganzheitlich, und einzelne körperlich-seelisch-geistige Komponenten existieren nicht gesondert.
Und Sie trennen alles, was zu einer völlig falschen Vorstellung von Erkenntnis führt. Die Erkenntnis muß man vor allem auch erforschen im Akt seines Geschehens und nicht vorrangig nur durch Zerlegen des Erkenntnisaktes in seine so nicht existierenden Bestandteile. Wenn Philosophie nur nach dem Prinzip einer aufgliedernden und trennenden Semiotik betrieben werden darf, hat der Mensch als ganzheitlich-lebendiges Wesen und Sinn der Philosophie verloren. Ein Grammatiklehrbuch ist ja wichtig für den systematischen Unterricht. Aber Systematik pur für eine Philosophie geht am Menschen vorbei. Darauf lasse ich mich nicht ein.
Mit „Sinn“ umfasse ich sekundär sowohl den objektivierten „Sachverhalt“ als auch primär die existentiell-intuitive Urrealität, die in die Erkenntnis eingeht. Letztere ist mehr als analytisch-rationales Kalkül, es ist die Schönheit der Natur, eben auch des Regens, die/der sich für uns immanent-sinnerfüllend offenbaren kann. Die Schönheit der Natur zu erleben, immanent, geistig, sollte normalerweise jedem Menschen im Leben möglich sein.
Und das Wort "Existieren" ist immer auch in zweierlei Hinsicht verwendbar: Man kann sagen, daß eine objektivierte Welt existiert, wenn mit "existieren" das Vorhandensein dieser Welt gemeint ist. Man kann vom existentialistischen Standpunkt aber auch sagen, die objektivierte Welt existiert nicht, was meint, sie ist nicht subjektiv-existierend bzw. geistig lebendig wie die selbstbewußte Person - der Mensch. Denn die unabhängig vorhandene Welt ist nicht der Mensch. Oder? Und vor allem, die Welt existiert in uns Menschen als Erkanntes niemals so, wie sie äußerlich-unabhängig existiert. Ich müßte selber ein Stein werden, Eins-zu-Eins, um letztgültig zu wissen, was Stein ist. Und das ist unmöglich. Es wird, was die äußere unabhängige Welt angeht, immer Unwägbarkeiten geben. Und da der Mensch zum Teil auch irdisch, d. h. objektiviert ist, gilt das auch für ihn. Und da der Mensch nicht einfach Gott, d. h. transzendentes Prinzip ist, sondern schöpferisch bzw. frei Gott in sich (der Mensch als diesseitiges und jenseitiges Wesen zugleich) realisieren muß, ist er jeweils immer einzigartig. Und sobald der Mensch sich realisiert, wahrnimmt, nimmt er auch Gott auf einzigartige Weise wahr, was wiederum heißt, daß auch Gott in jedem Menschen einzigartig, unverwechselbar ist. Und dennoch ist Gott auch das überpersönliche transzendente Prinzip - Liebe, Leid, Mitleid, Freiheit, Wahrheit usw., was für alle Menschen grundsätzliche, überpersönliche und in diesem Sinne universale (nicht allgemeine, d. h. gesetzliche bzw. "objektive") Bedeutung hat.
MfG Dirk Hübner
(Aus meiner Korrespondenz mit Herrn H. – Juli 2002)
Ich denke nicht, daß der Mensch dazu berufen ist, die Naturgesetze neu zu schaffen. Das ist für mein wirkliches Wollen nach Liebe nicht von belang. Ich spüre in mir primär kein Verlangen nach einer, wenn auch schöpferischen, Neugestaltung der Gesetze. Eigentlich will ich über die Gesetze hinausgelangen, aber ich muß anerkennen, daß ohne ein Mindestmaß an Gesetzmäßigkeit eine grausame Anarchie um sich greifen würde. Von dieser Seite aus betrachtet sind Gesetze unabdingbar bedeutsam.
Ich denke weiterhin, daß die objektivierte Welt in gewisser Weise real vorhanden ist, aber nicht im geistig-subjektiven Sinne. Ich behaupte den korrespondierenden Dualismus von Subjekt und Objekt, über den der Mensch fortwährend hinausgelangen muß (aber nicht absolut), will er leben. Die Bestimmung des Menschen offenbart sich ihm letztlich in seiner Subjekt-Subjekt-Beziehung.
Wäre ich vollkommener göttlicher Magier, könnte ich alle Widerstände in der Welt beseitigen und fiele auf diese Weise in ein undifferenziertes Nichts. Wollte ich jedoch Leben, wäre ich gezwungen, als Schöpfer das Böse in der Welt zu errichten, damit ich im Widerstehen gegenüber dem Bösen das wahre Leben erkennen kann. Aber weitergedacht: Wäre ich letztlich allumfassender Schöpfer in der übereinstimmenden Schöpferkraft aller Ichs, dann wäre das ganze Leben von meinem/unserem Ursprung aus allumfassend prädestiniert. Wo wäre da noch Offenheit?
... ich kann Ihnen nicht zustimmen. Ich als menschliche Person fühle mich nicht als ein Teil irgendeines übergeordneten Ganzen. Das ist eine meiner Grundaussagen.
In diesem Zusammenhang schließt "fühlen" "wissen" ein. Dieses "Wissen" ist jedoch kein objektiviertes und zu beweisendes Faktenwissen, sondern existentiell gefühltes Wissen. Ich fühle und weiß mich unmittelbar als Persönlichkeit (als personales Ich, aber nicht als zeitweiliges Rollen-Ich) ganz und nicht geteilt. Eine gespaltene Persönlichkeit ist keine ganze. Die Frage nach der Persönlichkeit (nicht gleichzusetzen mit autonomer Individualität) ist meines Erachtens die Frage des/unseres Lebens schlechthin.
Die Persönlichkeit des Menschen ist geistiger Art, ist geistiger Akt. Mein menschlicher Körper ist ein ganzheitlicher Aspekt meiner Persönlichkeit, gehört zu meinem Persönlichkeits-Ich, zu meiner Persönlichkeitserfahrung. Mein Körper wird von mir nicht in objektivierender, sondern in existentieller Weise erfahren. Ich erfahre meinen Körper unmittelbar geistig-existentiell. D. h., der personal zu erfahrende Körper unterscheidet sich wesentlich von dem geistig bzw. subjektiv vorgestellten, objektivierten Körper. Insofern ich meinen Körper objektivierend betrachte, ist er nicht mehr ein ganzheitlicher Aspekt meiner Persönlichkeit, sondern Natur und unpersönlich und kann von mir nur naturabhängig gedacht werden. Wird mein Körper von mir naturabhängig gedacht, betrachte ich ihn als einen Teil der Natur. Doch dieser Körper ist nicht der geistig-menschliche, sondern der natürliche Körper als Teil eines gesetzmäßigen Zusammenhangs. Insofern ich meinen Körper nur als einen Teil der Natur betrachte, ist er nicht mein Körper-Ich.
Weiterhin: Die Natur meiner Seele ist primär geistig begründet und steht sekundär in einem natürlichen Zusammenhang. Ich erfahre die Seele personal-mikrokosmisch (Einheit von Körper, Seele und Geist) und nicht unpersonal-makrokosmisch. So ist das bei mir, und danach richten sich meine philosophischen Äußerungen. Aber der Mensch ist ein tragisches Wesen, denn er ist auch in den natürlichen Ablauf eingebunden, als biologisches Wesen, und muß den daraus entstehenden Konflikt bezüglich seines geistigen Freiheitsstrebens ein Leben lang bewältigen. Die Bestimmung des Menschen ist meines Erachtens aber nun wirklich nicht biologischer , sondern freiheitlich-geistiger Art.
MfG Dirk Hübner
(Beitrag vom 30.11.02 für KenWilber-de@yahoogroups.com) Hallo, nach langer Zeit mal wieder eine Wortmeldung von mir. Es geht mir um das hier diskutierte Rationalitätsproblem in Anlehnung an Wilber. Ich möchte mal fragen: Wenn bereits ein einjähriges Kind dazu in der Lage ist, „Mama“ zu sagen und mit diesem BEGRIFF eine eindeutige Zuordnung vornimmt, wie kann man dann diesem Kind eine prärationale Bewußtseinstufe unterstellen, wie Wilber es macht. Ich denke, daß ein Mensch, sobald er auf die Umwelt in irgendeiner Weise aktiv reagiert, geistig ein rationales Moment einschließt. Wilber geht noch weiter: „Hat etwa das Neugeborene die Fähigkeit, sich kognitiv in die Rolle eines anderen zu versetzen? Nein, diese Fähigkeit taucht erst um das siebte oder achte Lebensjahr auf. Aber ohne diese Fähigkeit, sich in die Rolle eines anderen zu versetzen, gibt es auch keine Fähigkeit zu wirklichem Mitgefühl, zu altruistischer Liebe oder intersubjektiver Fürsorge; es gibt keine rücksichtsvolle Ethik und moralische Tugend und keinen Dienst am anderen. Dieser kindliche Zustand ist nach praktisch einhelliger Meinung ein äußerst egozentrischer und narzißtischer Zustand“ (S. 452/ 453, Das Wahre, Schöne, Gute; Ausgabe 1999). Zu Rollendenken, gebe ich Wilber Recht, ist ein kleines Kind weitgehend noch nicht in der Lage. Dazu bedarf es entsprechender rationaler Fähigkeiten. Aber wenn ich beobachte, daß ein nicht einmal zweijähriger Junge sehr wohl die Stimmungen seiner Eltern sehr deutlich spürt und aufnimmt und darauf (mitfühlend) reagiert, was soll ich dann von dem obigen Zitat halten? Oder hat dies etwa mit „wirklichen Mitgefühl“ nichts zu tun? Ist das einfach nur purer Narzißmus? - Wilber erklärt die Kinder zu Narzißten, damit sein Evolutionsschema des „GEISTES“ aufgeht. Wilber schreibt: „Ein kurzes Beispiel: Bei der kognitiven und moralischen Entwicklung von Jungen und Mädchen ist das Stadium des im präoperationalen oder präkonventionellen Denkens weitgehend durch den eigenen Blickwinkel des Individuums bestimmt (‚Narzißmus’). Auf der folgenden, der operationalen oder konventionellen Stufe bleibt zwar der eigene Blickwinkel bestehen, doch kommt jetzt die Fähigkeit hinzu, auch die Perspektive anderer nachzuvollziehen. Nichts ging verloren, vielmehr kam etwas hinzu. In dem Sinne kann diese neue Stufe mit Recht höher oder tiefer genannt werden, nämlich wertvoller und nützlicher für eine breitere Palette von Interaktionen. Konventionelles Denken ist wertvoller als präkonventionelles, weil es ausgewogene moralische Reaktionen ermöglicht (und postkonventionelles Denken bringt abermals einen Wertzuwachs mit sich)“ (S. 80; Das Wahre, Schöne, Gute; Ausgabe 1999). – Weiterhin schreibt Wilber: „Rationalität schafft einen tieferen Raum von Möglichkeiten, in dem tiefere und ausgreifendere Gefühle fließen können – nicht gefesselt durch mein isoliertes Mögen und Nichtmögen oder durch Konventionen dessen, was offiziell als wirklich gelten kann“ (Wilber, K.: Eros, Kosmos, Logos, Wolfgang Krüger Verlag, 1996, S. 222). Wilber spricht Kindern tiefe Gefühle ab, weil er Gefühle in deterministisch-evolutionäre Abhängigkeit von Rationalität stellt. Doch ich habe neulich erfahren können, wie ein kleiner vierjähriger Junge seinen Vater tröstete. Der Junge spürte den tiefen Schmerz, den sein Vater erleiden mußte und litt mit ihm, wollte ihm mitleidend helfen und äußerte dabei auch tiefe Einsichten. Das war mitfühlender Dienst am anderen. Dazu war/ist kein Rollenbewußtsein/-denken nötig! Ich persönlich hatte mich als fünfjähriger Junge im Kindergarten in ein Mädchen unserer Gruppe verliebt. In der Nähe dieses Mädchen bekam ich rasende Herzklopfen, fing an zu stammeln und litt unter meinem Versagen. War dieses Liebesgefühl nur ein narzißtisches Mißverständnis? Das lasse ich mir nicht einreden! Da Wilber den Menschen GÄNZLICH in ein evolutionäres Stufenmodell einpaßt, wertet er die Kinder automatisch ab, da sie, Wilber zufolge, automatisch nicht zu tiefen Gefühlen in der Lage sind. Wer eine höhere Geistesstufe erreicht hat, ist entsprechend des obigen Zitates (S. 80) „wertvoller und nützlicher für eine breitere Palette von Interaktionen. Konventionelles Denken ist wertvoller als präkonventionelles, weil es ausgewogene moralische Reaktionen ermöglicht (und postkonventionelles Denken bringt abermals einen Wertzuwachs mit sich)“. Diese letzte Aussage trifft nur zu, wenn man das rationale Vermögen höher einschätzt als die Liebe, als die Gefühle. Das kommt für mich nicht in Frage! Nicht das rationale Vermögen, sondern die Liebesintuition ist die ethisch-moralische Grundlage unseres Handelns und unserer authentischen (d. h. nicht fremdbestimmten) Vernunft. Und daß für die Mutter ihr Kind einen ganz besonderen Wert besitzt, wird bestimmt nicht dadurch gemindert, daß das Kind noch nicht zu „konventionellem Denken“ in der Lage ist. Jeder Mensch ist unabhängig von seinen Fähigkeiten zu jeder Zeit seines Lebens von allerhöchstem Wert. Und dies gilt auch für Verbrecher, ansonsten wäre die Todesstrafe ja kein Problem. Auch Verbrecher sind zunächst einmal Menschen. Und da nehme ich in Vergangenheit und Gegenwart keinen Menschen aus! Ich habe in meinem Beitrag „Berdjajew kontra Wilber“ (siehe dazu auch diese Diskussionsgruppe) den Narzißmus als eine Krankheit insbesondere von erwachsenen Menschen bezeichnet. Kleine Kinder kommen für diese Krankheit in der Regel noch nicht in Frage, da sie noch kein ausgeprägtes Rollenbewußtsein/-denken besitzen. Das „irrational“ vor allem negativ mit „unvernünftig“ assoziiert wird hat nach meinem Dafürhalten auch etwas mit unserer traditionell positivistischen Geisteshaltung zu tun. Wilber unterscheidet quasi zwischen irrational, rational und arational – gleichzusetzen mit prärational, rational und transrational. Doch diese chronologische Einteilung halte ich für völlig verfehlt. Der Mensch als ganzheitliches Wesen, als Person, operiert von Anfang an mit einem Mindestmaß an rationalem Vermögen, und das hört, solange der Mensch lebt, niemals auf. In der Tat kann man mit bestimmten meditativen Techniken die Ratio nahezu ausschalten, gelänge dies jedoch einem Menschen absolut und dauerhaft, käme dieser Zustand dem Gestorbensein gleich. Sehr wohl weist Wilber darauf hin, daß „transrational“ das Rationale nicht vernichtet, sondern einschließt. Aber wenn er die sogenannte „nonduale Bewußtseinsstufe“ (z. B. in „Das Wahre, Gute, Schöne“ etc.) beschreibt, so bleibt dabei im Dunkeln, wo da eigentlich noch Rationales zu finden ist. Die Welt hat einen irrationalen Grund, das Nichts. Hiermit stimme ich mit Wilber und östlichem Denken überein. Aber dieser Grund ist nicht zugleich die Wahrheit. Die Wahrheit ist eine ganzheitlich-persönliche, eine wahrhaft geistig-menschliche Dimension und Aufgabe, für die sich jeder einzelne Mensch einsetzen muß. Und Irrationalität ist nicht von vornherein unvernünftig schlecht, sondern bedarf unserer schöpferischen Aufmerksamkeit, damit diese Irrationalität nicht pervertiert und eine Schattenexistenz aufbaut und uns zu sich herabzieht. Auch Gefühle sind vom Grunde her irrational und müssen über den Verstand und unsere ethische Intuition, Gott (Grundintuition), und im gemeinschaftlichen Leben zugleich schöpferisch gewahrt werden.
L.G. Dirk Hübner
P.S.: Bei all meiner Kritik an Wilber, er war und ist für mich dennoch ein wichtiger und anregender Denker. Das er jetzt sehr krank ist, tut mir sehr leid!
(Aus meiner Antwort vom 3.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Zunächst einmal sage ich: Irrationalität versus Rationalität, oder anders gesagt: Gefühl versus Verstand, Ratio. Vernunft ist umfassender als Rationalität = Verstand, Ratio. Vernunft ist eine integrale geistige Leistung und beinhaltet danach grob gesagt irrationales bzw. arationales (für mich dasselbe) Gefühl, Ratio und (ethische) Intuition zugleich. Gefühl, Ratio und Intuition treten immer personal bewußt und niemals unabhängig bzw. getrennt voneinander auf. Bei Wilber ist Rationalität nicht völlig klar definiert. In EKL setzt er sie mit dem Wort "Vernünftigkeit" gleich, weiterhin mit "Wissenschaft" und erläutert z. B. auf den Seiten 455 bis 462, was Rationalität alles so bewirkt. Aber auf jeden Fall trennt er in EKL chronologisch prärational (= präpersonal), rational (personal), transrational (transpersonal). D. h. logisch wiederum, daß Rationalität bei Wilber die personale Stufe meint. Die Frage lautet weiterhin, ist prärational gleichzusetzen mit präkonventionell usw., und ist die prärationale Bewußtseinsstufe nur eine rein gefühlsmäßige? Oder wieviel Verstand gesteht Wilber Kindern unter dem 7. oder 8. Lebensjahr entsprechend zu? Oder können kleine Kinder eventuell auch mal vernünftig sein? Alles nicht ganz klar bei ihm. Und das ist auch kein Wunder, weil er die menschliche Person unter den Begriff Rationalität subsumiert. Die menschliche Person ist nicht nur einfach Rationalität, selbst wenn unter Rationalität Vernünftigkeit zu verstehen ist, da die Vernünftigkeit nur ein Ausdruck, ein Produkt, eine Fähigkeit ganzheitlichen Zusammenwirkens von Gefühl, Ratio und (ethischer) Intuition der Person ist und nicht deren Ursache. Aber daß nun die Fähigkeit eines einjährigen Kindes "Mama" zu sagen nicht auch eine kognitive Verstandesleistung sein soll, will mir nicht einleuchten. Und für mich sind auch kleine Kinder im Vorschulalter Persönlichkeiten.
Ich habe Piaget nicht gelesen, und ich denke, daß das auch nicht notwendig ist, um in dem Punkt, wo es um tiefgreifende bzw. tiefergreifende Gefühle bei Kindern geht, Wilber kritisieren zu können. Ja, und um das eigene schematisierte Denken nicht in Gefahr zu bringen, erklärt man kurzerhand das Gedächtnis für gänzlich unglaubwürdig bzw. untauglich. Da gehe ich nicht mit. Ich sage: Wir interpretieren nicht nur, sondern erinnern uns auch wirklich und lebhaft. Ansonsten hätte die Vergangenheit nur eine sekundäre, verzerrte Bedeutung. Wir können nur in der Gegenwart leben, wenn uns auch persönlich authentische Erinnerungen bleiben, ansonsten wären wir völlig haltlose Wesen und nicht lebensfähig. Ich könnte zu keiner Selbsterkenntnis kommen, gäbe es nicht einen immer wiedererkennbaren personalen Kern in mir, mein authentisches Persönlichkeits-Ich. Wenn Wilber z. B. auf S. 459 von EKL (1996) sagt: "Rationalität läßt aus der alten Rollenidentität eine Ich-Identität hervorgehen", so frage ich mich entsprechend, wer ich im Kleinkindalter eigentlich war? Offensichtlich nicht ich. Aber nach den Fotos zu urteilen, hatte der Mensch damals schon gewisse Ähnlichkeiten mit mir heute. Auf der gleichen Seite 459 fährt Wilber fort: "Die moralische Entscheidung liegt jetzt beim Individuum, das für seine relativ autonomen Entscheidungen selbst die Verantwortung tragen muß...". Und kleine Kinder sind unfähig, eigene moralische Entscheidungen zu treffen? Sind sie denn nur Automaten und besitzen keine Ich-Identität? Für Wilber muß das so sein, sonst geht sein System flöten.
Stimmt nicht. Konventionen sind Übereinkünfte, Regeln des Umgangs, Verhaltensnormen. Kinder befolgen sehr wohl Regeln, ansonsten würde ja z. B. im Kindergarten das reinste Chaos herrschen. Kinder sind sogar auf Regeln erpicht, bekommen Angst, wenn etwas anders läuft, als sie konventionell gewohnt sind.
Ich will mich nun nicht mit Dir darüber streiten, wie tief die 'Weisheit' von Kindern geht. Und auf jeden Fall ist das kindliche Weltbild eingeschränkt. Aber das verhindert nicht, daß sie z. B. einfühlsam die Stimmungen ihrer Eltern erfassen können. Das sollte man nicht unterschätzen. Außerdem sind sie in ihren Äußerungen viel unverblümter und ehrlicher, d. h. authentischer, als die sogenannten Erwachsenen, deren personales Ich durch Rollendenken und -verhalten oftmals vernebelt wird (z. B. Etikette wahren).
Nichts einzuwenden. Aber das Verständnis und die Interpretation ist schon sekundär. Die Liebe ist primär motivierend - das war für mich damals wie heute so. Und genauso wird der Verstand und umfassender die Vernunft erst durch die Liebesintuition wahrhaft aktiv und nicht umgekehrt, wie Wilber das sieht. Denn ein umfassenderes rationales Vermögen muß nicht in erster Linie durch Liebe inspiriert werden, sondern kann auch vehment einem pervertierenden Machtstreben entspringen und für das Machtstreben genutzt werden. Liebe als ethischer Imperativ. Die Ratio an sich ist gar nichts.
Bei Wilber löst sich der personale Mensch (als geistiges Wesen) im "transpersonalen GEIST" auf. Welcher Wert sollte denn in diesem "GEIST" auch enthalten sein, wenn dieser "GEIST" per definitionem uncharakterisierbar bzw. "leer" ist?
(Aus meiner Antwort vom 4.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Rollenspiele und damit Konventionen sind im Kindergarten gang und gäbe (Friseur-, Kaufmannsladenspiele). Kinder imitieren Erwachsenenrollen. Kinder erziehen sich gegenseitig, und das schon im Kindergarten. Sie petzen (dem Erzieher z. B.), wenn einer sich rollenwidrig verhält. Alles eigene Erfahrungen und Beobachtungen. Mit Rollenspielen versetzt man sich in die Rolle eines anderen. Das bei kleinen Kindern dies noch relativ oberflächlich geschieht, bezweifle ich nicht. Aber insofern müßte man Wilber sogar dahingehend widersprechen, daß die Fähigkeit, sich in die Rolle eines anderen zu versetzen, schon im Kleinkindalter beginnt und fortlaufend vertieft wird, bis schließlich der Erwachsene oft gar nicht mehr genau weiß, wer er eigentlich ist. Das ist dann schon sehr bedenklich. Und es mag sein, daß im Alter von sieben oder acht Jahren ein besonders tiefes Rollenverständnis ausgeprägt ist.
(Aus meiner Antwort vom 5.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Zunächst bin ich Wilber ja zustimmend gefolgt, dann entwickelte sich in mir ein Widerspruch, der mich auch heute noch inspiriert – zumal ich mich ja auch relativ ausgiebig mit Wilber beschäftigt habe. Und mich auch diesbezüglich auszutauschen, ist mir ein Bedürfnis, auch wenn der Austausch bisher eher mager und ernüchternd für mich ausfällt – in welcher Hinsicht auch immer.
Nehmen wir ein kleines dreijähriges Kind, daß unwirsch mit seinem Teddy umgeht, und die Bezugsperson sagt, daß er auch den Teddy lieb haben soll, appelliert dabei die Bezugsperson nur an den Verstand oder nicht vor allem auch an das potentiell vorhandene Mitgefühl des Kindes? Wenn Du den Kinder sagst, sie sollen keine kleinen Tiere umbringen, und sie verinnerlichen es nicht mitfühlend, werden sie es oft bald wieder tun. Aber Du schreibst eben von kleinen Tieren, bei größeren Tieren kippt die Sache schon um, weil die Kinder zunehmend fühlen und schließlich erkennen, daß das andere lebende Wesen in gewisser Hinsicht ihnen ähnlich ist und Schmerzen empfindet usw. Dazu muß das Kind keine objektivierte Vorstellung vom Tod besitzen, wobei Todeserfahrungen auch schon kleine Kinder machen können, wenn sie sich existentiell durch Umstände im weitesten Sinne bedroht fühlen (selbst erfahren, aber das zählt ja offensichtlich nicht). Und spätestens kleine Kinder untereinander bringen einander nicht arglos um. Erwachsene könnten gar nicht soviel aufpassen, um die Kinder unbeschadet über den Tag zu bringen, hätten die kleinen Kinder nicht schon ein eigenes Mitgefühl (ich erinnere an das Zitat: "wirkliches Mitgefühl" bei Wilber nicht vor 7. Lebensjahr), daß sie in eine echte authentische, innerlich-mitfühlende Beziehung zueinander eintreten läßt – unabhängig davon, daß dieses Mitgefühl sich ständig vertiefen kann. Aber das muß nicht sein. Erwachsene haben gelegentlich überhaupt kein Mitgefühl mit Kindern, und das kommt sehr häufig vor – auch in der Schule (Überforderung der Kinder vor allem zeitmäßig und durch den Lernumfang, verstandesmäßiges Lernen steht im Vordergrund, Vernachlässigung individueller Besonderheiten bzw. allgemeine nichtindividuelle Lehrmethoden usw. usf.). Darüber hinaus sage ich aber nicht, daß Kinder immer die reinsten Unschuldsengel wären, auch bei ihnen können Gefühle pervertieren. Auch kleine Kinder können voller Wut sein aus verschiedensten Gründen (alles schon miterlebt).
Hier tritt ein altes Problem zutage. Gibt es überhaupt irgendeine wissenschaftliche Methode, die völlig neutrale Beschreibungen liefern kann und das eigene subjektive Wollen vollkommen ausschließt? Nein. Wir setzen für das wissenschaftliche Arbeiten zunächst immer Annahmen voraus und forschen dann. Auch ein Piaget hat Voraussetzungen und Vorüberlegungen in sein Forschen eingebracht, ansonsten hätte er mit dem Forschen erst gar nicht angefangen. Und eine nüchterne, neutrale Herangehensweise in der Erforschung der inneren Welt von Kindern halte ich von vornherein weder für angemessen noch für möglich. Für die innere Welt der Kinder ist Einfühlungsvermögen notwendig, sonst nützt das ganze einfache Zuhören und Rekonstruieren nichts. Aber Einfühlungsvermögen ist eben auch nicht nachweisbar, wird deshalb für das wissenschaftlichen Forschen offiziell kaum zugelassen werden. Es läßt sich halt nicht alles beweisen.
Um mich an frühere Gefühlsmomente zu erinnern, muß ich mich doch nicht auf mein früheres Weltbild/Konzept zurückentwickeln. Natürlich kann ich heute eine ganz andere Sicht an den Tag legen. Aber deshalb sind doch die Erinnerungen gefühlsmäßig-bildhaft (was auch eine Verstandesleistung einschließt) rekapitulierbar, nicht was die einzelnen äußeren Tatsachen betrifft, an die man sich oftmals nur noch fehlerhaft erinnert, was aber nicht ausschlaggebend ist. Auf die wesentlichen Erinnerungsmomente kommt es an, und die können einem innerlich immer wieder sehr deutlich werden. Ein Trauma aus meiner Kindheit (ich war Anfang 6) wird mir ewig im Gedächtnis bleiben, auch wenn ich heute ganz anders damit umzugehen weiß und die Angst überwunden habe (auch Dank meiner Eltern), die mich damals ergriffen hatte (Das waren auch Todesängste, auch wenn ich das so nicht hätte interpretieren können. Übrigens haben meine Eltern meine damalige Panik bestätigt). In diesem Zusammenhang ist mir das Mitleid mit all seinen Facetten zu einem anderen Menschen immer noch gegenwärtig, wenn ich mich an dieses Geschehen heute zurückerinnere.
Sobald das Kind sich seiner selbst bewußt wird, hat es einen Kern wie ich auch, und da steht es mir, mit all meiner weiteren Entwicklung, in nichts nach. Wie dieser Kern des Kindes sich entfalten oder auch verdrängt und abgetötet (niemals gänzlich) werden kann, das wird sich dann zeigen. Du stellst die Persönlichkeit in eine sie fortlaufend verändernde Entwicklungslinie. Für mich ist die Persönlichkeit paradox, d. h., sie entwickelt sich und gewinnt an Tiefe, aber zugleich bleibt sie sie selbst. Die Dynamik des Persönlichkeitskerns ist eine andere, außerhierarchische Dimension – so sehe und beschreibe ich das, ein klein wenig abweichend von Berdjajew, aber im Grunde ihm nicht widersprechend. Nur nach außen gerichtet entwickelt sich die Persönlichkeit stufenförmig in Anlehnung an eine hierarchisch/holarchisch gegliederte Welt. Mehr auch in "Berdjajew kontra Wilber".
Z. B. auch in diesem Punkt verstrickt sich Wilber in Widersprüche. Das kommt zunächst daher, daß er "ethisch" und "moralisch", wie z. B. in "Das Wahre, Gute, Schöne" geschehen und von mir in "Berdjajew kontra Wilber" belegt, nicht wirklich zu unterscheiden weiß. Ich hatte Wilber zitiert: "Rationalität läßt aus der alten Rollenidentität eine Ich-Identität hervorgehen". Und weiter: "Die moralische Entscheidung liegt jetzt beim Individuum, das für seine relativ autonomen Entscheidungen selbst die Verantwortung tragen muß...". Aber bevor die Ich-Identität hervorging, war der in der Rollenidentität gefangene Mensch offensichtlich gänzlich fremdbestimmt, auf Befehle und Anordnungen von anderen angewiesen. Ich sage dazu, daß es solch einen Menschen nirgends gibt, denn dann wäre er kein Mensch mehr, sondern ein, sagen wir, biologischer Computer. Jeder Mensch als Person besitzt eine unabhängig authentische (insbesondere ethische) Entscheidungs- und Wertungsfähigkeit, auch wenn sie noch so schwach entwickelt ist (auch wenn der Mensch zuweilen auf viele Anordnungen angewiesen ist). Erst auf diese Weise können wir uns WAHRHAFT moralisch (auf Grundlage der ethischen Intuition) verhalten und überhaupt entwickeln. Wilbers Stufenmodell und seine moralische Entwicklungslinie schließen sich gegenseitig aus. Denn wirkliche, eigenverantwortliche Moralentscheidungen, die moralische Entwicklungslinie, beginnt, Wilbers Konzept logisch durchdacht, erst irgendwann in der Entwicklung des Menschen, aber offensichtlich noch nicht in der früheren Kindheit (für Wilber präpersonal, offensichtlich sogar noch vor Rollen-Identität). (Generell halte ich hinsichtlich der Person das Stufenmodell und die Entwicklungslinie für kompatible.) Auch Wilber hat einen scheinbar ganzheitlichen Ausgangspunkt – seinen absoluten "GEIST". Aber dieser ist uncharakterisierbar und gibt uns keine Hinweise für ein konsistentes Menschenbild. Und genau auf dieses Menschenbild kommt es mir an, welches sich bei Wilber konfus und nur schemenhaft zu erkennen gibt, weil es nicht wirklich (sondern nur scheinbar) im Mittelpunkt seiner Auseinandersetzung steht (auch wenn er Menschliches sehr anrührend zu erzählen weiß wie z. B. in "Mut und Gnade", ich beziehe mich hinsichtlich meiner Kritik vor allem auf seine philosophischen Theorien).
In diesem Zusammenhang halte ich mich an den berühmten Ausspruch von Angelus Silesius: "Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben; werd' ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben." – Und so verschwindet auch die gottmenschliche Person. Dennoch ist die Person ewig, aber nicht im zeitlichen Sinne. Dies ist ein paradoxe existentielle Erfahrung. Dieses Paradoxon ist logisch-rational nicht lösbar. Wir erfahren die Wahrheit innerlich-ganzheitlich-existentiell und wissen und erfahren doch zugleich, daß wir sterbliche Wesen sind und die Wahrheit in der Zeit nicht unendlichen Bestand hat. Der Mensch ist eben sowohl ein zeitliches als auch ein überzeitliches, d. h. ethisch-religiöses Wesen als ganze Person. Mit dieser Problematik hat sich auf unvergleichliche Weise insbesondere Berdjajew beschäftigt, dem ich bekanntermaßen (B. kontra W.) sehr zugetan bin - das muß ich ja nicht verleugnen.
(Aus meiner Antwort vom 16.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Ich frage mich immer wieder, wie sogenannte Transzendenz erfahrbar ist? Doch wohl nur immanent, in uns als geistige Person. Wo gibt es einen freien Willen, wenn nicht in uns als Menschen, als Personen? Für mich gibt es keine Transzendenz ohne Immanenz, denn ich entscheide mich ethisch doch zunächst innerlich und nicht irgendwo außerhalb bzw. fremdbestimmt. D. h. Transzendenz ist ein Wesenzug meines Herzens in mir, Transzendenz ist mir immanent. Und Transzendenz kann nur ethisch sein, wenn es sich auf etwas bezieht, zuvorderst auf einen anderen Menschen, auf eine andere Person, aber auch auf die Natur usw. "Nondualität" ist für mich ein irreführender Begriff (vor allem auch so, wie ihn Wilber definiert), der mit der innermenschlichen, existentiellen Realität nicht zu vereinbaren ist. Der immanente nichtobjektivierte Prozeß gestaltet sich nach meiner Überzeugung immer zwischen einem Ich und einem Du in einem Wir, d. h. in der Zwei-Einheit und nicht in der absoluten Einheit, die Wilber als "Nondualität" bezeichnet. Und nichtegozentrische, nichtnarzißtische Liebe des Menschen zu sich selbst ist nur möglich, wenn er immanent in Zwei-Einheit mit dem Göttlichen vereint, wenn er mit seinem Wesenskern in sich existenzdialektisch verbunden ist (siehe auch Berdjajews Buch: Existentielle Dialektik des Göttlichen und Menschlichen, - Kopie z. B. über Unibibliothek erhältlich). Wilber kann aus seinem nondualen Ansatz heraus gar nicht erklären, wie die ethische Intuition in uns als Personen real werden soll. Das habe ich auch in meinem Beitrag "Berdjajew kontra Wilber" besprochen.
Der Dualismus bezeichnet das Nebeneinanderbestehen zweier verschiedener, nicht zur Einheit führbarer Zustände, Prinzipien, Denkweisen, Weltanschauungen, Willensrichtungen, Erkenntnisprinzipien (laut Philoso. Wörterbuch). Gelegentlich spricht man auch vom absoluten bzw. strengen Dualismus. Gegenüber stehen sich die Welt der Ideen und die Welt der Wirklichkeit (Platon), weiterhin gut und böse (Augustinus), jenseits und diesseits, irdisch und himmlisch, Objekt und Subjekt usw. Das Duale ist also philosophisch-weltanschaulich kein irdisches Problem, sondern ein Irdisches-versus-himmlisches-Problem. Der Idealismus wollte alles monistisch dem absoluten Geist (übergreifende Einheit der Gegensätze - Hegel) zu- bzw. unterordnen. Berdjajew dagegen kämpfte sowohl gegen den strengen Dualismus als auch gegen den absoluten Monismus und erkannte im Dualismus ein notwendiges und ethisch zu überwindendes Durchgangstadium des gottmenschlichen Erkenntnis- und Wahrheitsprozesses (die Welt darf nicht hingenommen, sondern muß schöpferisch-ethisch verändert werden = ethischer Imperativ, Herz, ethisch motiviertes Gewissen). B. sprach vorsichtig von einem ethisch-eschatologischen Monismus nicht als das Absolute, sondern als eine im persönlichen Leben fortlaufend zu verwirklichende Aufgabe. Den Dualismus gänzlich zu überwinden bedeutet, den Menschen zu überwinden bzw. zu vernichten, denn dieser ist immer sowohl irdisch-physisch als auch himmlisch-geistig, d. h. unser Bestimmung ist eine ganzheitliche und nicht nondual. Übrigens ist auch der rein diesseitig bzw. irdisch orientierte Materialismus Monismus reinsten Wassers und nicht Dualismus.
Eine Integration ist m. E. nur durch das existentielle Zentrum (die ganzheitliche Persönlichkeit) möglich, die in sich Transzendenz und Immanenz vereint. Das Spekulieren über das "Nonduale" entsprechend Wilbers Theorie kann ethisch-moralisch überhaupt gar nichts bewirken, weil es nicht das menschliche Herz zur Grundlage hat und sprachlich nur zu Abstraktionen führt, die mit dem Leben nichts zu tun haben.
(Aus meiner Antwort vom 18.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Ich habe mir mittlerweile die von U. empfohlenen Links angesehen und möchte auf folgende Zitate daraus eingehen: (Aus "Die redaktionellen Tricks des Gehirns Florian Rötzer 20.03.2000") "So meint er (Benjamin Libet) beispielsweise, dass angesichts der Verzögerung des bewussten Willens die Funktion des Bewussteins wahrscheinlich nicht darin liege, Handlungsketten zu initiieren, sondern willensbestimmte Ereignisse zu selektieren, was auch heißt, dass sich Handlungspotentiale, die vor dem Erleben des bewussten Willens einsetzen, DURCH EINE ART VETO-AKTION ABGEBROCHEN WERDEN KÖNNEN (Hervorhebung von mir)." (Aus "Die Pseudoherrschaft des Ich - Interview mit Prof. Dr. Dr. G. Roth")" Dieses Ich, dieses Bewusstsein, ist für das Bewertungssystem nur ein besonderes Hilfsmittel, das genau dann eingesetzt wird, wenn komplexe neuartige Situationen auftauchen, für die die bisherige Erfahrung nicht sagt, was zu tun ist." - " Wenn die Entscheidungssituation frei und wenn wenig emotionale Vorbelastung da ist, wenn wenig Vorgaben durch meinen Charakter und meine Persönlichkeit, dann hat dieses Ich große Gestaltungsmöglichkeiten." - "Das Ich steigt aus dem Unbewussten auf, und was es macht, ist mit dem limbischen System konform oder nicht. Die Konflikte werden MEIST (Hervorhebung von mir) zu Gunsten des limbischen Systems, zugunsten der Emotionen gelöst." - " Jeder Mensch wird von diesem WEITGEHEND (Hervorhebung von mir) unbewusst arbeitenden Bewertungssystem getrieben. Dieses System geht nur nach der Regel vor: wiederhole das, was für dich günstig, positiv, erfolgversprechend ist und vermeide das, was für dich schlecht ist, schmerzhaft."
Diese Zitate widersprechen der Feststellung, daß GÄNZLICH "alles ganz einfach geschieht". Aber Herr Roth schränkt die Freiheit (insbesondere Willensfreiheit) des Menschen schon ganz schön ein. Typisch ist für seine evolutionär-reduktionistische Sicht, daß er das Menschenbild zerpflückt und davon ausgeht, daß die jeweiligen Komponenten des Geistes unabhängig voneinander existieren könnten. Persönlichkeit wird mit dem "limbischen System" gleichgesetzt ("Limbische Persönlichkeit" - was auch immer das sein soll?). Das Ich-Bewußtsein gesellt sich dann irgendwann während der Kindheit zu dessen Persönlichkeit dazu, zuvor war die Persönlichkeit weithin unbewußt. Aber was versteht man allgemein eigentlich unter einer Persönlichkeit? Dazu schaue ich mal in das philosophische Wörterbuch (Kröner): ", im Unterschied zur Person, das innere Eigensein des Einzelnen, so wie er sich subjektiv als unvergleichbar und daher als einmalig erlebt, dieses Eigensein vollbewußt reflektiert." - Das steht im Widerspruch zu den Aussagen von Herrn Roth. Herr Roth hat offensichtlich eine andere Vorstellung von Persönlichkeit, die er weitgehend auf unbewußte Prozesse einschränkt. Ich kann ihm das Gegenteil nicht beweisen, aber muß ich ihm deshalb glauben, wenn ich mein Menschsein innerlich ganzheitlich erlebe und nicht zerpflückt - dort meine Persönlichkeit, hier mein Ich? Herr Roth gesteht ein, daß für komplexe Situationen eine übergeordnete Wertungsinstanz, das Ich, unerläßlich ist. Aber was ist dieses "Ich", nach welchen Maßstäben kann es werten - etwa rein rational durch denken und abwägen nach kausalen Richtlinien? Dem hat schon Kant eine Abfuhr erteilt - das funktioniert nicht. Kant führte entsprechend den Begriff "Ding an sich" ein und entwickelte die Antinomienlehre. (Kant: Kritik der reinen Vernunft.) Herr Roth sagt: "Unser Bewusstseins-Ich ist wesentlich sprachlich und sozial vermittelt, und unser Bewertungssystem biologisch-egoistisch." - Und was ist einerseits unser Bewußtseins-Ich und andererseits unser Bewertungssystem angeblich "unwesentlich"? Eventuell frei, nichtdeterminiert, persönlich wollend?! In allem ist immer auch ein bißchen Wahrheit. Für richtig halte ich, daß wir als Menschen auch biologisch-physische Wesen sind und völlig überfordert wären, wollten wir unsere unbewußten Abläufe immerzu im einzelnen bewerten bzw. kontrollieren. Es können willkürliche in unwillkürliche Handlungen übergehen. Der Mensch ist auch ein "Gewohnheitstier". Aber das Wesen des Menschen, was ihn wesentlich zum Menschen macht, sind ja auch nicht in erster Linie seine unwillkürlichen physischen Prozesse und seine gewohnheitsmäßigen Automatismen (die der Mensch entwickelt, um sich Freiräume zu schaffen), sondern sein selbstbewußter, d. h. authentischer und nicht fremdbestimmter Geist, den Herrn Roth offensichtlich weitgehend für eine Fiktion bzw. Illusion hält. Wenn Herr Roth sagt: "Jeder Mensch wird von diesem weitgehend unbewusst arbeitenden Bewertungssystem getrieben. Dieses System geht nur nach der Regel vor: wiederhole das, was für dich günstig, positiv, erfolgversprechend ist und vermeide das, was für dich schlecht ist, schmerzhaft." - Unerklärlich bleibt dann aber, weshalb Menschen Wege gehen, die diesen utilitaristischen Prinzipien, d. h. den Nützlichkeitserwägungen, nicht automatisch folgen. Weiterhin Roth: " Das Konzept, das ich vorgestellt habe, erklärt, dass es auch den klügsten Leuten nicht gelingt, aus den Denk- und Gefühlsschemata ihrer Zeit herauszuspringen." - Und wie steht es da mit ihm? Weshalb gab es denn so etwas wie eine Bewußtseinentwicklung? Warum konnte überhaupt Geschichte stattfinden? Weiterhin Roth: " Und das zweite ist auch richtig: die Naturwissenschaften können immer nur den Grad der Plausibilität maximieren, nicht Wahrheiten verkünden." - Und wie plausible ist seine Theorie, ist sie denn wahr?
Aber das Duale ist eben nicht nur ein philosophisch-weltanschauliches Problem, sondern natürlich auch im alltäglichen Leben erkennbar - jedes "Ja" existiert nur im Zusammenhang mit einem möglichen "Nein" (oben - unten, rechts - links usw.). Und das meinte D. offensichtlich zunächst, als er von der "irdischen Realität" sprach. Die Frage lautet nun aber: Ist das Duale auf diese "Realität" beschränkt? Ich sage: nein. Das Duale ist ein Grunderlebnis der personalen Existenz und setzt sich bis in die Tiefe und Höhe des geistigen Herzens fort. Darüber hinaus möchte ich deshalb auch sagen: Z. B. lieben wir, wenn es einen anderen gibt, den wir lieben können. Liebe verbindet, aber sie identifiziert nicht. So erlebe ich das existentiell - und ich kann in diesem Zusammenhang nicht für andere sprechen. Andere können dazu ja sagen oder es auch ablehnen. Ich lehne dagegen Konstrukte allgemeiner, alles umfassender, undifferenzierter Einheitsliebe ab, denn es gibt auch sehr viele Erscheinungen in dieser Welt, gegen die sich mein Herz, mein ethisches Gewissen auflehnt. Ich kann nicht alles und jeden gleichermaßen lieben, sondern ich mache sehr wohl unterschiede, und Liebe ist vor allem auch eine Frage konkreter realisierter Gemeinschaft (Ich und Du im Wir), die nicht von vornherein in Vollkommenheit gegeben ist. Das meditative Einüben eines undifferenzierten Leerheitszustandes führt zur Lähmung unseres authentischen Wollens und macht den Mensch stumm und unethisch. Wenn Wilber letztlich sagt: Alles ist in Ordnung, wie es ist, so kann ich dieser Aussage, solange ich lebe, nicht zustimmen, was in keiner Weise dazu führt, daß ich nicht immer wieder Momente innerer Harmonie und Freude erleben kann trotz einer immer wieder auftretenden Tragik im Leben.
(Aus meiner Antwort vom 20.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Ich sehe kein Problem darin, mich mit solchen Fragen nach der Möglichkeit authentischer Willensfreiheit auch gedanklich, diskursiv auseinanderzusetzen. Wichtig dabei ist bloß, daß ich den Boden unter den Füßen nicht verliere, und damit meine ich, daß wir den Verstand nicht losgekoppelt von unserem ganzen Menschsein gebrauchen dürfen, daß wir nicht (ethisch-gefühlsmäßige) Intuitionen unterdrücken, ohne die der Verstand eben haltlos in die Irre geht. Wir brauchen einen inneren Halt. Doch das Komplizierte und Problematische dabei ist, zu erkennen, daß dieser Halt wirklich unserem authentischen Wesen entspringt und sich nicht an eine verinnerlichte Fremdbestimmung (Über-Ich) anlehnt. Und noch weitergehender heißt das, daß dieser Halt nichts Festgelegtes, Prädestinierendes bzw. Allmächtiges ist, sondern nach meiner Überzeugung nur unser sich bewegendes schöpferisches Herz sein kann. Und ich will mich an dieser Stelle doch noch erklären angesichts Deines Nichtverstehens meines Begriffsgebrauches: "Existentialdialektisch", "Zwei-Einheit" meint genau dies, daß der Mensch schöpferisch sein kann, weil er das "Ich", das Menschliche, nur spürt bzw. wahrnimmt, weil in ihm, im Herzen, auch zugleich ein "Du", das Göttliche, vorhanden ist. Der Mensch ist nicht nur einfach begrenzter und monistisch eindimensionaler Mensch, sondern zugleich auch unendlicher Gottmensch. Zu dieser Überzeugung gelange ich im Leben (seit meiner bewußten Kindheit) fortwährend, da sich das Göttliche in mir als Gewissensintuition immer wieder offenbart - gerade in Momenten der inneren Auflehnung gegen die allenthalben auftretende Unmenschlichkeit, aber auch in der Wahrnehmung meiner persönlichen Schwächen (die auch Stärken sein können) und Gewohnheiten, Bequemlichkeiten, Verführbarkeiten und auch meiner gelegentlichen Ungerechtigkeiten anderen gegenüber usw. usf. Selbsterkenntnis rührt auch daher. Der Mensch ist nicht nur gut, sondern auch böse, aber weder das eine noch das andere grundsätzlich und ein für allemal bzw. vorausbestimmt. Das Göttliche im Menschen ist die Möglichkeit, das er das Böse in sich schöpferisch überwindet, daß er im Leben schöpferisch an sich und an der Welt im weitesten Sinne arbeiten kann (dafür gibt es keine Erfolgsgarantie). Aber das Göttliche hört auf göttlich zu sein, wenn es autoritär uns zu bestimmen beginnt, wenn es machtvoll eben nicht mehr göttlich ist. Das Göttliche in uns bedarf unseres Menschseins, und d. h. wiederum, unserer Freiheit. Der Mensch ist ein freies Wesen, das seine wesenhafte Freiheit dem Göttlichen in sich entgegenbringen muß bzw. das sich frei auf das Göttliche bezieht. Das Wichtigste dabei ist, das der Mensch während seines ganzen selbstexistenten Lebens immer schon sowohl göttlich als auch menschlich ist - also in einem höheren Sinne dual und dieses in sich niemals gänzlich getrennt. Und der authentische Prozeß zwischen dem Göttlichen und Menschlichen ist ein Dialog, ist dialektisch (wechselseitig schöpferisch religiös-ethischen Humanismus schaffend - nicht im objektivierenden Stil, sondern als ursprünglich gottmenschlicher, d. h. zwei-einheitlicher Wille), genauer existenzdialektisch (weil wir Menschen wesenhaft existierend sind). Die Verabsolutierung von Gott und dessen Erhebung zur Allmächtigkeit läßt aus ihm ein menschenverachtendes Monstrum werden (monotheistische Kirche). Letztlich geht es im Leben um die Freiheit, die jedoch, und das will ich auch mal sagen, nicht nur einfach Willensfreiheit im Sinne von Entscheidungsfreiheit ist. Berdjajew sagt an verschiedenen Stellen sinngemäß, daß die Freiheit erst dort beginnt, wo die Entscheidung getroffen worden ist. An einem Beispiel verdeutlicht heißt das, wenn ich mich für die Freiheit der Liebe zu einem geliebten Menschen entscheide und gegen den Erfolg einer den gesellschaftlich niederen Zwängen angepaßten Karriere, so beginnt die eigentliche Freiheit erst nach dieser (letztlich über-, außerchronologischen) Entscheidung bzw. die Freiheit ist diese Liebe an sich. Die Liebe ist jedoch keine endgültige Erlösung von allem Schmerz, sondern gerade den Liebenden wird die Diskrepanz zu einer Welt der (partiellen) Erniedrigungen und Entwürdigungen schmerzhaft bewußt, einer Welt, die man schöpferisch bewältigen muß, der sich jedoch niemand im Leben entziehen kann. Die Liebe ist ständig in Gefahr (tragischer Prozeß der Liebe) und geht oft zugrunde, aber niemals gänzlich. In jedem noch so verknöcherten Herz schlummert die Liebe - eine urchristliche Wahrheit (Ethik) ungeachtet vieler unchristlicher Dogmen und Verbrechen des sogenannten Christentums und seiner Adepten, eines Christentums, das diesen Namen nicht immer, oft oder gar meist nicht verdient hat bzw. verdient. Der Name "Christentum" macht uns wahrlich noch nicht zu besseren Menschen, sondern ist von seinem ursprünglichen existentiell-wahren Wesensgehalt her eine hohe ethische Verpflichtung. Und der Verstand spielt dabei keine unerhebliche Rolle - ganz im Gegenteil. Und z. B. auch der Buddhismus hat, soweit ich das beurteilen kann, ebenfalls einen hohen ethischen Anspruch hervorgebracht, doch gerät er ebenfalls in die Falle von Verabsolutierungen, die den Menschen nichten bzw. dabei untergehen lassen - so sehe ich das derzeit auch und vor allem im Zusammenhang mit Wilbers Theorie.
Hallo D., zunächst einmal ist gegen das Spekulieren nichts einzuwenden. Z. B. die Naturwissenschaft ist letztlich auch Spekulation, wenn sie an ihre Grenzen stößt, auch wenn diese immer weiter hinausgeschoben werden. Naturwissenschaft ist objektivierende Erkenntnis. Anders verhält es sich mit der ursprünglich nichtspekulativen existentiellen Offenbarung (Gewissen, Herz, Liebe, Freiheit), deren bewußte Verdeutlichung jedoch zugleich auch ein objektivierendes Erkenntnismoment umschließt. Und die Offenbarung ist im hohen Grade eine leidenschaftliche, ansonsten würde sie in unserem Bewußtsein keinen Eindruck hinterlassen und uns motivieren, das Bewußtsein an sich ist auch immer schon leidenschaftliches Selbstbewußtsein. Mein Bewußtseins-Ich ist in mir eine mit nicht immer gleichbleibender Intensität erlebte leidenschaftlich-emotionale Wahrnehmung, das hilflos bliebe, könnte es nicht seine unterschiedlichen partizipierenden (einfühlenden) und kommunizierenden Bestrebungen mittels des Verstandes ordnen. Dabei entstehen im Laufe des Lebens vernünftige Einsichten, die jedoch schon im nächsten Moment unvernünftig sein können - dies ist eine Frage der Tragik des konfliktgeladenen Lebens (Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit) und letztlich der personalen Liebe, die nicht immer vernünftig erscheint und im Verhältnis zum alltäglichen Leben oft nicht "vernünftig" ist ("Liebe macht blind" [?]). Vernunft an sich ist eine schwankende Angelegenheit und richtet sich nach den Prioritäten, für die sich ein Mensch mehr oder weniger schöpferisch entscheidet. Der Maßstab kann meine Liebe sein, aber auch die Liebe kann sich verkehren und zur Tyrannei werden, wenn ich nicht akzeptieren will, daß ich die Liebe nicht mit Macht verwirklichen kann. Liebe vergeht dann augenblicklich und war doch der Auslöser meines entsprechenden Handelns. An der Tragik des Lebens und der Liebe scheitert letztlich die Vernunft. Das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit läßt sich in unserem Leben niemals ein für allemal optimal lösen. Es gibt keine absolute bzw. allumfassende Harmonie. Harmonie ist alleinig ein existentielles Moment der ganzheitlichen Persönlichkeit, weil nur in ihr Ganzheit geistig real erfahren werden kann - davon gehe ich aus. Ohne Momente der Harmonie, in denen wir uns auch mit der Welt eins fühlen können, würden wir keine Ruhe finden, um uns zu besinnen. Aber eine immerwährende Harmonie dagegen führt uns ins Aus, in die Leere des Unerfülltseins. Ich finde es auch immer wieder schizophren, wenn man sagt, daß man nun gelassen auf die Dinge, die da geschehen, (von einer nondualen Bewußtseinsverfassung aus) herabblickt und sich plötzlich doch wieder über dies und jenes zu echauffieren beginnt. Dies gilt auch für Wilber, auch wenn er betont, z. B. beim Schreiben seines Buch EKL die sogenannte "Schau-Logik" verwendet zu haben, so beschreibt er zumindest seine Einheitserfahrungen aber als einen nicht mehr wollenden, sondern einfach als einen irgendwie nondual wahrnehmenden Zustand ("Alles ist in Ordnung, wie es ist." - und dies ist der Weisheit letzter Schluß - absolute bzw. destruktive Harmonie). So, wie Wilber "Nondualität" beschreibt, erkenne ich darin einen panentheistischen Zug (Enthaltensein des Weltganzen in Gott = Monismus - u. a. Plotin), den ich ablehne. Wann spekulieren wir eigentlich? Spekulieren wir, wenn wir lieben, wenn sich uns das Gewissen offenbart, wenn sich ein innerliches Freiheitsgefühl einstellt, wenn wir mitleiden, wenn wir uns verbunden fühlen mit einem anderen Menschen? Ich denke nicht. Aber wir spekulieren im gewissen Grade darüber, was einen Menschen bewogen hat, sich so zu entscheiden und zu verhalten, wie er sich entschieden und verhalten hat, weil die Lebensgeschichte eines Menschen eben auch einen diesseitig-objektivierten Tatbestand umfaßt, der so komplex ist, das wir diesen rational niemals gänzlich zu umfassen vermögen, um daraus sichere logische Rückschlüsse ziehen zu können. Aber unser existentielles Einfühlungsvermögen, unsere Fähigkeit, innerlich zu einem "Du" zu transzendieren, erlaubt uns die geistige Verfassung eines anderen Menschen zu erschließen (unter Einschluß der zugänglichen Tatbestände), um darüber hinaus erkennen zu können, wer er wesentlich ist und wie er handeln würde oder weshalb er so und nicht anders gehandelt hat (wobei man erwähnen muß, daß es auch hier niemals eine endgültige Sicherheit gibt, weil der Mensch im freiheitlich-geistigen Sinne letztlich unendlich ist). Dies wiederum ist eine Frage persönlich realisierter Gemeinschaft, durch die wir uns einander erschließen bzw. jemanden erschließen können. Auch Hitler mit seiner zerrissenen Persönlichkeit besaß dieses Vermögen des Transzendierens (Liebe) wie jeder Mensch, welches jedoch durch seine narzißtischen, menschenverachtenden, machtkalkulierenden Orientierungen und Handlungen verdrängt und zugedeckt wurde. Hitler hat sich selbst, er hat den Menschen verraten und zertreten, aber, und das darf man nicht einfach ignorieren, er war auch ein gebranntes Kind seiner Zeit und Verhältnisse (siehe z. B. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität; und es gibt bestimmt noch mehr aufschlußreiche Bücher zu diesem Thema). Noch einmal zum Spekulieren: Wie verhält es sich diesbezüglich nun mit der Nondualität? Wird sie rein spekulativ angenommen, z. B. weil ja alles eins ist - sagt uns der Verstand (aber nicht nur), oder ist sie eine reale geistige Erfahrung? Vor allem auch deshalb habe ich "Berdjajew kontra Wilber" geschrieben. Ich sage, die Nondualität ist ein rein spekulatives Konstrukt, zumal in ihr entsprechend spekulativer Behauptung alle Konturen zwischen mir und dem anderen verschwinden, man identisch wird und es so nichts mehr zu erfahren gibt. Mir hält man vor, daß ich dies einfach behaupte ohne die entsprechenden Injunktionen (Wilber) durchgeführt zu haben - d. h., ich habe keine Leerheits-Meditation durchgeführt und bin deshalb auch nicht glaubwürdig. Dies läßt sich nicht widerlegen, zumal man mir bei jedem Versuch, eine Leerheits-Meditation durchzuführen, meine Unfähigkeit vorhalten könnte - vom Standpunkt "sicherer Erkenntnis" aus natürlich. Ein weiterer Kritikpunkt meinerseits an der sogenannten nondualen Bewußtseinsverfassung, der entscheidender und der deshalb auch mein Hauptargument ist, ist ihr völlig unklarer ethischer Inhalt. In "Das Wahre, Gute, Schöne" werden die Konsequenzen ersichtlich, die sich aus der sogenannten Nondualität ergeben, die unethisch bzw. gar nicht ethisch sind - das habe ich in meiner Arbeit (auch wenn sie vielleicht nicht gerade perfekt ist) belegt und erläutert. Wilber vermischt Ethik und Moral und wird vor allem auch deshalb unklar in seiner Argumentation. Wie komme ich nun darauf, zu behaupten, daß Wilber Immanenz und Transzendenz voneinander trennt? Für mich zunächst hat Transzendenz eine andere Bedeutung als für Wilber. Mit Transzendenz verbinde ich überpersönliche Wert (Liebe, Freiheit, Gott - Du, Gewissen - damit verbunden die ethische Grundintuition, Menschlichkeit, Gemeinschaft - Wir, [schöpferische] Gerechtigkeit), die sich nur immanent, in der geistigen Person, verwirklichend offenbaren können. Diese Bedeutung bespricht Wilber im Zusammenhang mit der Transzendenz nicht. Für Wilber ist Transzendenz ein Akt des evolutionären Überschreitens (unter Einschließen) von einer Bewußtseinsstufe zur nächst höheren. Höhere transzendente Stufen sind verbunden mit Transpersonalität. Das schwierige bei Wilber ist, daß er theoretisch zwar sagt, daß die transpersonale Bewußtseinsstufe die Person nicht nichtet, sondern ihr etwas hinzufügt, aber bei seiner Beschreibung nondualen Gewahrens, nondualer Meditation, genau diese Person nicht mehr zu erkennen ist, weil das Ego, das Ich, sich im Kosmos verliert, was wiederum als Segen dargestellt wird, weil Wilber das Ich ausschließlich mit Egozentrik und Narzißmus gleichsetzt und die Fähigkeit zu wahrhaftem Transzendieren (Überschreiten) diesem Ich quasi abspricht. U. a. dadurch herrscht bei Wilber ein heilloses Durcheinander (obwohl er dieses Durcheinander erstaunlich genial zu handhaben weiß), das ich vielleicht nicht immer zufriedenstellend entwirren kann - das fällt mir auch sehr schwer. Also noch einmal: Ich sage von meinem Transzendenzbegriff aus, daß Wilber Transzendenz von Immanenz trennt, da in der sogenannten Nondualität nach meinem Verständnis nichts Transzendentes zu finden ist, welches sich immanent in der Person offenbaren könnte - z. B. ethische Grundintuition, während für Wilber Nondualität letztlich nicht charakterisiert werden kann. Bei meiner kurzen Recherche vorhin habe ich aber weder in EKL noch in WGSchöne eine konkrete Erörterung von seiten Wilbers zur Einheit von Transzendenz und Immanenz gefunden. Im Register von EKL findet sich nicht einmal der Begriff Immanenz. Noch ein Wort zu den Freiheitsgraden der Holone. Ich halte auch nichts davon, das Wilber u. a. die Holontheorie auf den menschlichen Bewußtseinsbereich unverhältnismäßig ausweitet, d. h., daß die Bewußtseinserweiterung primär unter einem evolutionären Schema betrachtet wird. In diesem Zusammenhang halte ich auch nichts von der Einteilung der Bewußtseinstufen in die psychische, die subtile, kausale und die nichtduale Ebene. Was auch immer mit diesen Ebenen beschrieben wird, die Einteilung führt dazu, daß der Mensch als ganzheitliches Wesen in evolutionärer Weise auseinandergerissen wird. Meine Beobachtung ist nämlich, daß Kinder oft mehr Freiheit haben als Erwachsene, vor allem auch deshalb, weil sie noch nicht durch rollenverhaftetes Schablonendenken, durch Etikette u. a. egozentrischen Auswüchsen verdorben sind - sie sind dazu meist noch gar nicht so in der Lage und sprechen die Dinge, die sie bewegen noch unverblümter aus, was für Erwachsene auch schon mal unangenehm sein kann und die Erwachsenen dazu veranlassen kann, dieser Unverblümtheit über alle Gebühr Einhalt zu gebieten. Für mich persönlich muß ich sagen, daß ich empfinde, daß die Wahrheit meiner Kindheit auf einer erweiterten Bewußtseinsstufe, die für mich zum einen eine sekundäre Anlehnung an die äußeren hierarchischen Strukturen z. B. in Natur und Kultur ist, wieder stärker in mir hervortritt - die Authentizität meiner Gefühle, mein Persönlichkeits-Ich, stärkeres Zurückdrängen überflüssigen Rollendenkens, Freiheit in meinem Wollen und Freiheit in meinem Empfinden, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit will ich andeuten, daß ich die Bewußtseinserweiterung primär nicht hierarchisch einteile, weil ich spüre, daß mein Persönlichkeitsempfinden und -Ich mir immer geblieben ist, nur die Intensität dieses Ichs schwankt von Zeit zu Zeit. Und Bewußtseinserweiterung hat für mich zwei Aspekte, zum einen primär nichthierarchisch als Zunahme an Lebensgefühl, -fülle bzw. innerlich-existentieller Lebensintensität und existentiell-gemeinschaftlicher Nähe zu den Menschen meiner Umgebung bis hin zum Kosmos usw., zum anderen sekundär in Anlehnung an eine hierarchisch strukturierte Welt. In der Person wirken beide Aspekte stets zusammen.
Soweit l. G. Dirk Hübner
(Aus meiner Antwort vom 22.12.02 zur Diskussion im KenWilber-de@yahoogroups.com)
Warum gehst Du davon aus, daß hinter meiner "Wahrheit" eine Autorität steht? Dem habe ich genügend widersprochen. Ich beziehe mich auf die schöpferische Freiheit, was nichts mit Autorität zu tun hat.
Natürlich gehe ich von meinen Überzeugungen aus und entwickle mein entsprechendes Weltbild - was soll ich sonst auch tun? Soll ich mir selbst widersprechen und sagen, alles nicht richtig, was ich sage, oder alles ist richtig, was gesagt und gedacht wird, damit man mir keinen absoluten Wahrheitsanspruch vorwerfen kann? Aber ich verlange an keiner Stelle (Wilber auch nicht), daß die Menschen meine Argumentation unkritisch für wahr halten. Ich argumentiere gegen ethisch unakzeptable Konsequenzen Wilberscher Theorie und gehe da von meinen Überzeugungen aus und begründe sie auch.
Ich sage doch nicht einfach, ich habe diese Meinung, und wer dem nicht zustimmt, der hat unrecht. Sondern ich habe einen Ausgangspunkt und Wilber hat einen Ausgangspunkt. Nun kommt es doch darauf an, zu welchen Konsequenzen in humanistischer und religiöser Hinsicht diese Ausgangspunkte jeweils führen. Darf ich nun nicht mehr sagen, daß ich den Gedanken "Alles ist in Ordnung, wie es ist", von meinem Gewissen her nicht akzeptieren kann, zumal ich das ja auch begründe? Versteh ich nicht. Für mich ist das alles nicht nur ein Wortspiel, tut mir leid.
L. G. Dirk Hübner
(Antwort vom 16.1.03 auf Anfrage)
Hi
Dirk, hier ein Textauszug:
Hallo S., Deine Fragen zielen auf sehr Wesentliches ab. Nicht umsonst habe ich die oben zitierte Aussage fettgedruckt hervorgehoben. Sie entsprang meinen Überlegungen, die sich im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zu „B. kontra W.“ und in Übereinstimmung mit meiner persönlichen Lebenswahrnehmung und –geschichte ergeben haben. Ein Buch kann mir nichts bestätigen, solange ich es nicht selbst innerlich nachvollziehen kann. Das ist für mich ganz wichtig. Zur Zeit versuche ich gerade (und immer mal wieder), mich Jakob Böhme anzunähern. Ein wirklich nicht leicht verständlicher Autor, das Lesen seines ersten Werkes habe ich mittendrin abgebrochen. Den Zugang zu Böhme erlange ich jedoch immer wieder über Berdjajew. Berdjajew selber neigt eigentlich eher dazu, nicht viel zu zitieren – Böhme bildet da bei ihm eine der wenigen Ausnahmen. Wenn Berdjajew Böhme zitiert und deutet, sage ich immer wieder ja! Ich sage ja, weil die Deutungen mich in meinem Streben nach einem selbstbestimmtem freien und authentischen Existieren bestärken und nicht schwächen bzw. Gefolgsamkeit verlangen. Keiner kann letztlich über mein Leben bestimmen, ich selbst muß mich realisieren, will ich leben (das setzt auch Widerstand gegen die Herrschaftsversuche anderer über mich voraus). Dazu gehört aber vor allem auch die Gemeinschaft mit anderen, die jedoch nicht immer möglich ist. Die Verwirklichung der Gemeinschaft ist für mich eines der kardinalen Probleme des Lebens – immer und zu jeder Zeit. Gerade auch in dieser Hinsicht krankt unsere Gesellschaft, und dieser Umstand betrifft jeden Menschen ganz konkret. In einer Gesellschaft, in der sich Individualismus und – damit verbunden – Isolation, leere Einsamkeit, des weiteren Funktions- und Anpassungsdenken breitmachen, wird es dem Menschen sehr schwer fallen, zu sich selbst zu finden. Ich schreibe Dir das, um noch einmal klarzustellen, daß ich keine konkreten Lösungen anzubieten habe, sondern daß ich nur aus meinem eigenen Wollen heraus darauf hinweisen kann, daß jeder Mensch freie Anstrengungen zur Selbsterkenntnis unternehmen muß, um Antworten auf all die mehr oder weniger weitreichenden Lebensfragen zu finden. Doch eine absolute Antwort wird es nicht geben – dies bedeutete Stillstand und nicht Dynamik des Lebens. Und das Ringen um Selbsterkenntnis ist zugleich auch ein Kampf für eine echte Gemeinschaft. Konkrete Lösungen können nur dort angestrebt werden, wo auch konkret gelebt und im höheren Sinne gekämpft wird (dafür gibt es keine Garantie – das bestätigt sich mir im Leben immer wieder). Ein Guru wird diese Aufgabe nicht lösen können, jeder Mensch ist gefragt, auch wenn dies noch so aussichtslos erscheint. Ich erfahre immer wieder, daß Selbsterkenntnis primär nicht durch das Lesen von Büchern erlangt wird, sondern in erster Linie eine fortwährende Vertiefung in die eigene Existenz und Lebensgeschichte (z. B. das Hervorrufen lebendiger Erinnerungen – sowohl freudvoller als auch tragischer Art) ist, die wesentlich immer mehr umfaßt als nur rein Individuelles – eben auch Gemeinschaftliches und Überpersönliches. Die Bestätigung von Büchern kann nur geschehen, wenn ich schon Selbsterkenntnis erlangt habe und weiterhin erlange. Dann erst kann ich über Bücher in eine gemeinschaftliche Beziehung mit dem Autoren treten, auch wenn dieser nicht mehr lebt, dann erst erhalten Bücher für mein Suchen eine sehr große und unabdingbare Bedeutung. Und wie gesagt, mir gelingt die gemeinschaftliche Beziehung z. B. zu einem Autoren nicht immer oder auf Anhieb – es ist ein Prozeß und oft sogar ein mühevoller. Und manchmal erkenne ich erst nach und nach, daß sich unter bestimmten Bedingungen Gemeinschaft nicht wirklich herstellen läßt. Deshalb auch meine Kritik an Wilber. Ob sie berechtigt ist, das muß jeder Mensch, der sich mit meiner Kritik auseinandersetzt, selber entscheiden. Ich habe bisher relativ wenig Zustimmung erfahren. Damit kann ich leben. Nun konkreter zu Deinen Fragen (ich bringe hier meine persönlichen Überzeugungen zum Ausdruck, die sich auch aus meinen intuitiven Wahrnehmungen ergeben): Mit dem Wort „Nichts“ weise ich symbolisch auf einen Quell hin, ohne den sich die Existenz der Welt und unsere persönliche Existenz nicht denken läßt, ohne den die Welt letztlich auch nicht erfahrbar wäre. Wichtig dabei ist jedoch, daß ich nicht der Ansicht bin, daß das „Nichts“ als solches eine Wesenheit wäre, die eine eigenständige Existenz hat, in der alles schon Gestalt annimmt und aus der wir uns nur noch zu bedienen bräuchten. Wäre es so, gäbe es keine Freiheit in unserem Handeln, wir wären vorbestimmt, alles wäre schon im Nichts festgelegt. Das sogenannte „Nichts“ ist meiner Ansicht zufolge reines Potential von und zu allem in der Welt. Erfahrbar ist niemals das „Nichts“ an sich, sondern die auch durch den Menschen erfahrbaren Phänomene des „Nichts“. Das menschliche Bewußtsein speist sich demnach aus diesem Potential fortlaufend. Das menschliche Bewußtsein bezeichne ich zugleich immer auch als Selbstbewußtsein, welches es wesentlich ist. Ich behaupte, daß das „Nichts“ sich phänomenal wesentlich als mein selbstbewußtes Ich offenbart. Ich erfahre das Nichts also zuvorderst als mein Persönlichkeits-Ich. Ich behaupte dies, weil ich erkenne, das mein Ich nicht einfach eine feste, starre Bewußtseinserfahrung ist, sondern daß ich mein Ich mit einer Art existentiell erfahrbarer Bewegtheit (Dynamik) unmittelbar wahrnehme. Diese Bewegtheit (Dynamik) wiederum kann jedoch nur vonstatten gehen, wenn sie immer wieder neuartig und noch nie dagewesen ist. Komplizierter wird es nun dadurch, daß ich mein Ich niemals wiedererkennen würde, würde es fortlaufend durch ein völlig neuartiges ersetzt bzw. ausgetauscht werden. Das Paradoxe für unseren Verstand ist in diesem Zusammenhang (wie ich dies auch in „B. kontra W.“ angedeutet habe), daß ich mein Persönlichkeits-Ich als ein bewegtes und sich veränderndes und zugleich als ein wiedererkennbares und bleibendes erfahre. Meinen Ich-Kern nehme ich noch so wie früher wahr und doch nehme ich auch wahr, daß ich mich verändert habe im Laufe meines Lebens. Ich bin immer noch ich und doch habe ich mich auch verändert. Und ich habe mich immer auch gefragt, wer ich denn eigentlich bin. Man kann niemals gänzlich sagen, man ist genau dieser beschreibbare Mensch. Selbsterkenntnis kommt niemals zum Abschluß, sondern ist ein Weg zu immer tieferer Authentizität. Mit anderen Worten, ich bin ich und kämpfe zugleich um mein tieferes und authentischeres Ich (immer in Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung). Aus dem „Nichts“ entsteht nach meiner Ansicht keine Projektion. Aus dem unergründlichen „Nichts“ bzw. Potential bzw. der unergründlichen Freiheit (alles synonym) heraus lebt der Mensch seine Existenz fortwährend neu. Ansonsten wäre er tot bzw. nicht existent. Man sagt auch, ein Mensch sei unlebendig bzw. geistig tot. Dies ist jedoch immer nur eine relative Feststellung, denn ein jeder lebende Mensch trägt den Funken des (geistigen) Lebens in sich – ist er auch noch so klein oder wird er auch verdrängt, verzerrt, pervertiert usw.. Das Gefühl an Lebendigkeit ist immer dann am größten, wenn wir uns der Welt im weitesten Sinne (bzw. auch einem uns nahestehenden Menschen usw.) schöpferisch nähern, wenn wir die Zeit transformierend überwinden, wenn wir uns ganz auf unser existentielles Wesen konzentrieren und dabei Gemeinschaft stiften. Hier entstehen Momente schöpferischer Fülle aus dem Nichts, aus der Freiheit. Wir nehmen das „Nichts“ als Fülle unseres ganzheitlichen Menschseins wahr. Wenn sich mir in Momenten das Gefühl offenbart, jetzt bin ich ganz und gar Mensch – hier und jetzt – dann schöpfe ich zugleich auch aus der unergründlichen Freiheit, aus dem sogenannten „Nichts“. Aber, und das ist für mein Existieren und mein darauf aufbauendes philosophisches Denken sehr wichtig, das „Nichts“ ist nicht Gott, das „Nichts“ als solches ist noch nicht meine ethische (Grund-) Intuition, mein Gewissen, an welchem ich geistig-ganzheitlich arbeite und arbeiten muß, will ich Mensch bleiben und fortwährend werden. Das „Nichts“, die unergründliche Freiheit, ist mein Quell aus dem ich frei und in Verbund mit meiner ethischen Intuition (Gott) schöpfe. Die Richtung meines authentischen Wollens, meines authentischen Handelns bestimme ich aus dem Verbund mit meiner Intuition und meiner Freiheit zugleich, deren Quell das „Nichts“ ist. Im wahrhaften, authentischen Handeln eines Menschen wirken alle drei existentiellen Aspekte zusammen. So deute ich meine existentielle Wahrnehmung. Das „Nichts“ ist danach also die unergründliche Freiheit, im Persönlichkeits-Ich verwirklicht sich die göttliche Freiheit, deren schöpferischer Quell das „Nichts“ ist. Wir erkennen das „Nichts“, weil sich unser Leben fortlaufen erneuert – mehr oder weniger spürbar, letzteres ist eine Frage der aktuellen Realisierung der Persönlichkeit. Gäbe es diese Voraussetzung des unergründlichen „Nichts“ nicht, wäre jede Veränderung ausgeschlossen, da sich nichts erneuern könnte, da nichts entstehen könnte, was vorher noch nie dagewesen ist. Das widerspricht meiner persönlichen Lebenswahrnehmung und wäre auch logisch nicht zu erklären.
Ich hoffe, daß ich mich Deinen Fragen etwas nähern konnte. MfG Dirk
(4.5.06) Lieber Herr ..., vielen Dank für Ihre Post. Ich kann diese erst heute beantworten. Einem Gedankenaustausch steht von meiner Seite nichts entgegen. Seit dem Tod von Klaus Bambauer vor 4 Jahren ist es ziemlich ruhig um die Beschäftigung mit Nikolai Berdjajews Werk im deutschen Netz geworden. Damals noch existierte im Netz das deutsche Forum "Russische Spiritualität" mit umfassenden und anregenden Texten von und zu Berdjajew und anderen russischen Denkern (Solowjew z.B.). Mein Text "Stellungnahme" (zu finden auf meiner Seite) hatte ich in der Auseinandersetzung mit einem Beitrag von K. Bambauer geschrieben. Der entsprechende Text von K. Bambauer wie auch andere wertvolle Texte von ihm (unabhängig meiner kritischen Einwände) sind leider heute im Netz nicht mehr zu finden, oder zumindest, ich habe etliche von ihnen bisher nicht wieder gefunden. Dennoch, eine Diskussion mit mir zu Berdjajew kam nie wirklich richtig in Gang. Aus meiner Sicht bemühte man sich im Forum "Russische Spiritualität" zudem, z. B. im Sinne von Ken Wilber die Unterschiede von christlichem und buddhistischem Denken zu verwischen. Das entsprach nicht meiner Intention. Ich biete keine Seminare an und weiß auch von keinen. Sie, Herr ..., sind z. B. einer der ganz wenigen, die sich über email speziell zum Thema Berdjajew an mich wenden. Wenn Sie schreiben, "ich bin... (nur) Naturwissenschaftler", so kann ich von meiner Seite sagen, ich bin nur arbeitslos, damit meine ich, Berdjajew hat sich an uns Menschen, unabhängig von unserer Profession gewandt, nicht an uns als gelehrte Philosophen, zu denen ich auch nicht gehöre. Leider ist es so, daß die geistige Atmosphäre in meinem Lebensumfeld eher in einer skeptischen und ablehnenden Haltung gegenüber allem Christlich-Religiösem verharrt. Christliches wird meist mit der Institution Kirche gleichgesetzt und abgelehnt. Das Christliche, wie es Berdjajew gedacht und gelebt hat, wird nicht verstanden oder will man nicht verstehen. Zu mir hat ein Bekannter gesagt, daß ich, da ich mich doch nun so intensiv mit Berdjajew etc. beschäftigt habe, endlich mal öffentlich wirksam werden solle. Aber damit wäre ich in einer Atmosphäre, in der letztlich vor allem dem autorisierten Gelehrten Glauben geschenkt wird und in der die Freiheit des Geistes schnell verlorengeht, völlig überfordert. Derzeit rufe ich oft eher Angst und Ablehnung mit meinem Anspruch geistiger Freiheit hervor. Was ich mir vorstelle und wünsche, das sind zunächst freie Gespräche unter geistig freien Menschen, die es unter anderem vermögen, unsere gegenwärtige Lebenssituation im umfassensten bzw. tiefsten Sinne in Frage stellen zu können.
Mit freundlichen Grüßen Dirk Hübner Greifswald
(26.5.06) Lieber Herr ..., nun doch noch vor Pfingsten eine schnelle Reaktion auf Ihre Einwürfe. Ich habe mir nun auch wiederum das Kapitel "Sein und Freiheit..." (Berdjajew: "Von des Menschen Knechtschaft und Freiheit") durchgelesen. So wie ich es sehe, hat Berdjajew ja nicht in der Art zu einer Subjektivierung aufgerufen, die sich von jeglicher Objektivierung radikal abwendet. Dies würde letztlich eine absolute Weltentsagung nach sich ziehen. Berdjajew selbst war ein Kämpfer in dieser Welt, der jedoch eine höhere jenseitig-geistige Welt (Freiheit, Wahrheit) vehement in der diesseitig-symbolischen Welt der Objekte schöpferisch zur Geltung bringen wollte. Dabei betonte er, daß die Symbole ein Ausdruck der, aber nicht die Wahrheit selbst seien, was wiederum heißt, daß sämtliche menschliche Kultur immer ein Moment des Scheiterns beinhalten, weil die Kultur nicht Existenz ist, sondern eben nur Symbol, Ausdruck der Existenz sein kann. Berdjajew hat niemals die Subjektivität gegen die Objektivierung ausgespielt, sondern sie ins Verhältnis gesetzt und sich zur Subjektivität als existentielles Zentrums bekannt, von welchem aus "der Weg und die Wahrheit und das Leben" einzig ihren unergründlichen (im rationalen Sinne) bzw. schöpferischen Ausgang nehmen können und in welchem "der Weg und die Wahrheit und das Leben" letztlich verwirklicht werden. Die Welt der Objekte wird nicht verdammt, aber sie kann nur Mittel und sollte nicht Zweck sein. "Die Objektivierung geistiger Inhalte", wie Sie es schreiben, ist unumgänglich. Sie ist ein Tribut, den diese Welt zum einen von uns fordert, sie ist zum anderen aber auch der notwendige Aspekt der Verwirklichung des ganzen Menschen (u.a. auf der praktisch-notwendigen Basis von Kommunikationsmitteln). Das Problem ist jedoch, und dagegen kämpfte Berdjajew an, daß der Mensch schnell dazu neigt, sich den sichtbaren, objektivierten Dingen, sich den Objektivationen materieller und ideeller Art götzendienerisch zu unterwerfen. Sinngemäß schrieb Berdjajew im oben genannten Kapitel, daß der Mensch seine innere Existenz in die Objektivierungen projiziert und diesen Objektivierungen dann den Schein allgemeingültiger Wahrheit verleiht, der sich die menschliche Existenz als ein Teil unterzuordnen hat bzw. der sie untergeordnet wird. Dagegen ist jede noch so kleine Existenz unendlich mehr Wert als jegliche Objektivierung - auch das Berdjajew - aber diese Sicht ergibt sich ebenfalls einzig und allein aus der Willensausrichtung des Bewußtseins, welches persönlich erworben wird, wobei die sozialen Einflüsse dabei in der einen oder anderen Weise eine gewichtige Rolle spielen. Der materielle Wahnsinnsanspruch eines weitverbreiteten westlichen Bewußtseins praktiziert eine Vergötzung der Welt der Objekte. Fortlaufend geht die Existenz in Objektivierung über, und das ist gut so, aber auch immer problematisch und gefahrvoll, weil man sich schnell in überwiegender Hinwendung zu den Dingen verlieren kann. Im geistigen Leben des Menschen befinden sich Existenz und Objektivation im Wechselverhältnis. Schlecht ist es, wenn man die Objektivation zum Primären erklärt.
Weiterhin: In der Existenz ereignet sich das Konkret-Universale, im Gesetz drückt sich das Allgemein-Universale aus. Beide Aspekte gehören grundlegend verschiedenen Dimensionen an. Und die Metapher ist Symbol und ist geistig-objektivierter Natur, auch wenn wir mit ihr Existentielles assoziieren. Doch ohne Existenz gibt es keine Metapher. Sehen Sie das auch so?
Was meinen Sie mit dem "heiklen Thema des Elitären im Bereich der Spiritualität"?
Von dem, was ich gelesen habe, ist Biographisches über Berdjajew vor allem zu finden bei Klaus Bambauer, Einführung zu "Wahrheit und Offenbarung" (1998, im Buchhandel erhältlich, sehr lesenswert), bei Stefan G. Reichelt, B. in Deutschland 1920 - 1950 (sehr interessant, aber meines Erachtens mit Abstrichen), wenn ich mich jetzt richtig erinnere etwas auch (bin mir aber unsicher) bei Wolfgang Dietrich, N. B. - Provokation der Person (Bd. 1 bis 5 - überhaupt sehr, sehr empfehlenswert). Eventuell sind die beiden letzteren Werke über ZVAB zu bekommen. Soweit meine Erinnerung auf die schnelle. Vielleicht fällt mir später noch was ein, was ich mal über Berdjajew gelesen habe.
Herzliche Grüße Dirk Hübner
(5.6.06) Lieber Herr ..., ich habe mich sehr gefreut, daß ich Ihnen weiterhelfen konnte. Es ist offensichtlich die Objektivierung, wie sie von B. herausgearbeitet wurde, eine nicht unbedingt einfache, sondern eher eine komplexe Problematik. In der letzten von Klaus Bambauer angeführten Anmerkung zu dem 1998 erschienenen Buch "Wahrheit und Offenbarung" kommt Georg Koepgen mit einem kritischen Zitat zu Wort, in welchem B. indirekt ebenfalls subjektivistische Einseitigkeit vorgeworfen wird (vergleichend können Sie dazu auch meine Rezension http://dirkhuebner66.de/wahrheitoffenbarung.htm lesen). Aber B. denkt dynamisch und nicht statisch. Deshalb, so finde ich, sollte man ihn auch dynamisch verstehen, d. h., auch wenn B. im Subjekt das existentielle Zentrum annimmt, so ist dieses für ihn nichts Feststehendes und Abgekoppeltes, sondern nur in der Gerichtetheit auf das Andere hin, sowohl auf die andere Existenz als auch auf die manifeste Welt hin, zu verstehen.
Aber dennoch schließt dies nicht aus, daß auch B. nicht immer folgerichtig in seinen Formulierungen gewesen ist. Ich selbst jedoch habe nichts Gravierendes in dieser Hinsicht finden können. Wenn Sie Ihrer Ansicht nach Ungereimtheiten finden sollten, so bin ich an einer Diskussion darüber immer sehr interessiert.
Vielleicht gibt es eine Sache, die ich im Denken Berdjajews für etwas zu einseitig halte: Es ist eine nach meiner Meinung zu starke Verlagerung des Problems der Hysterie auf die Seite der Frau. An irgendeiner Stelle, ich weiß jetzt nicht mehr wo, hat er sich dazu geäußert. Aber andererseits betont er gerade die außerordentliche und stetig wachsende Bedeutung der Frau, welche ihr für ein freiheitliches Leben in einer zu verwirklichenden Gemeinschaft zuteil werden wird etc. Wenn also B. zuweilen einen einseitigen Eindruck vermittelt (vermitteln sollte), so relativiert er diesen an anderer Stelle. Je mehr und umfangreicher man B. gelesen hat, um so mehr erschließt sich sein ganzheitliches Denken. So erfahre ich das jedenfalls.
"Von der Bestimmung des Menschen." ist eines der beeindruckensten Bücher Berdjajews. Und vor allem auch das in seiner Art einmalige Buch "Selbsterkenntnis". ...
Herzliche Grüße Dirk Hübner
(10.6.06) Lieber Herr ..., Ihre Gedanken bezüglich der Metapher regten mich dazu an, noch einmal intensiver darüber nachzudenken. Ich möchte folgendermaßen antworten: Archetypen sollen nach Jung die im Menschen angelegten transzendenten Urformen sein, "die sich in Vorstellungen, Bildern, Mythen, Märchen, Phantasien, Träumen und Wahnideen äußern (Jung: Über die Psychologie des Unbewußten, 1948; Von den Wurzeln des Bewußtseins, 1954)" in Enzyklopädie, Philosophie... Bilder sind nur eine Möglichkeit der Urformen, und sie sind selber Formen, also schon Festgelegtes. Die Bildersprache beruht demnach auf etwas in Form gebrachtes. Der Hintergrund sollen die Archetypen sein. Doch reichen Archetypen als Urformen aus, Bewegung und schließlich Ganzheit des Geistes hervorzurufen? Es muß etwas noch Ursprünglicheres geben, welches die Urformen und dann die Bilder in Bewegung bringen, damit diese wirksam werden können. Man kann das Ursprüngliche den Urwillen bzw. Urimpuls, die Intuition, die Freiheit, den schöpferischen ganzheitlichen Geist nennen - das urschöpferische Potential der Existenz. Von sich aus geraten die Archetypen, sofern es sich um (statische) Urformen handelt, nicht in Bewegung, aber sie fließen in die Vorstellungen (Metapher) mit ein. Nicht die Archetypen drücken sich aus, sondern der integrale bzw. 'transzendentale Mensch' (B.) mittels der Archetypen. Das Urpotential des Menschen ist zuvorderst emotional-leidenschaftlicher und somit irrationaler Art, ist aber nichts, sofern es sich nicht mit des Menschen ganzheitlicher Existenz verbindet, welche wiederum ein rationales Vermögen mit einschließt, das die Grundbedingung der Objektivierungsfähigkeit des Menschen ist. Man könnte auch von emotional-leidenschaftlichen Archetypen sprechen, welche jedoch keine Urformen, sondern besagte Urimpulse wären. Dann, würde ich sagen, handelt es sich um dynamisch-schöpferische Archetypen (z. B. Liebe, Freiheit, Wahrheitsintuition usw.). Inwieweit diese Sicht mit Jung's vereinbar ist, das überschreitet meine Kenntnis. Aus meiner Sicht ermöglichen grundsätzlich erst diese Art dynamischer Archetypen die Beziehung zum anderen, des Ich und Du im Wir. Urformen treten dann im ganzheitlichen Akt der personalen Existenz hinzu. Die Subjektiv-Objekt-Spaltung wird erst durch das rationale Vermögen hervorgerufen, und insofern gehen die Archetypen dieser Spaltung voraus bzw. überschreiten diese, wie Sie es schreiben. Aber zum Reich des Geistes gehören die Archetypen erst, wenn der Geist z. B. im Menschen existiert. Nicht die Metapher fühlt die Gemeinschaft, sondern ich nutze die Metapher, um fühlbar Gemeinschaft zu erzeugen. Ich habe existentielle Beweggründe und konstruiere im nachhinein die Metapher im Geiste und lehne meine Beweggründe an sie an. Die Existenz bin ich, die Metapher meine im subjektiven Geist erzeugte objektivierte Vorstellung davon. So gesehen könnte ich Ihnen zustimmen: "Daher sehe ich die Metapher als geistig-objektiv und geistig-subjektiv zugleich...". Zum Problem wird die Metapher, wenn wir in ihr vermuten, was nur in uns existentiell gelebt werden kann wie Freiheit, Wahrheit, Liebe... Es besteht die Gefahr der Hervorbringung eines Götzen. Die Metapher an sich lebt nicht, hat keine Subjektivität. In der Beziehung des Menschen zur Metapher kommt die existentielle Aktivität allein aus der lebendig-schöpferischen Tiefe des Menschen hervor. Die Metapher bleibt passiv und verschwindet ohne existentiell-schöpferische Uraktivität. Erst von einem personalen Wesen zu einem anderen, welches auch ein Tier sein kann, ist die Beziehung beiderseitig existentiell-schöpferisch-aktiv. Für diese beiderseitige Beziehung kann ich bezogen auf den Menschen auch auf die Metapher zurückgreifen. Die Metapher ist hermetisch, vieldeutig, aber ich deute (bewerte) sie von meiner Intuition aus im Wechselspiel mit meinen Erfahrungen etc. Oder ich mache etwas zur Metapher von meiner intuitiven etc. Motivation aus, lege einen geistigen Wert in die Metapher. Ein erhebendes Naturerlebnis geht nicht von der Natur aus, sondern die Natur wird zum Gleichnis unseres existentiellen Erlebens. Nicht die Natur an sich ist göttlich, sondern wir Menschen haben die Fähigkeit, das Göttliche aus uns heraus und durch unsere Ganzheitlichkeit mit der Natur zu verbinden. Entsprechend könnten wir auch zu einem achtungsvollen Umgang mit der Natur zurückfinden, weil sie vom Standpunkt des Göttlichen aus ein Teil von uns ist und nicht umgekehrt. Aber wir Menschen neigen dazu, die überwältigende Sichtbarkeit der Welt als ein von menschlicher Wahrnehmung unabhängiges Ganzes zu bewerten. Wir schaffen uns so die Möglichkeit, uns von der Natur zu distanzieren und sie entweder zu vergötzen oder nur als Rohstoff zu betrachten. Wir projizieren unsere Vorstellungen in die äußere Welt hinein. Doch dort existieren diese Vorstellungen nicht als solche, und schon gar nicht existiert dort ein personales Ganzes, wie es der Mensch erlebt. Pygmalion, wie Sie es schreiben, konnte sich in die Statue nur deshalb verlieben, weil er dort etwas vermutete, was dort nicht war. Das Aphrodite sie zum Leben erweckte, wie ich es im mythologischen Wörterbuch nachlesen konnte, zeigt, daß etwas fehlte. Oder? Hoffe, daß ich verständlich geblieben bin.
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Herzliche Grüße Dirk Hübner
Greifswald, 20.3.07 Lieber ..., ich habe Ihren Aufsatz gelesen und möchte kurz Stellung beziehen. "Wahrheit scheint eher etwas zu sein, das man sich zumuten muß..." – also hier könnte ich mich mit Ihnen, wenn Sie dieser Ansicht sind, sofort einigen. Aber wenn es darum geht, sich darüber zu einigen, was denn nun die Wahrheit ist, so glaube ich, dann wird es schon schwer. Ich muß gestehen, daß ich meine geistig-religiöse Glaubenshaltung in Ihrem Aufsatz nicht wirklich wiederfinde, obwohl Sie eine sehr umfassende Auflistung verschiedener Glaubensrichtungen angeben. Das liegt aber meines Erachtens nicht daran, daß Sie den religiösen Typ meiner Ausrichtung schlicht vergessen haben, sondern daran, daß Sie durch Ihre objektivierende und analysierende Herangehensweise eine Interpretation des Religiösen vornehmen, die meinem religiösen Erleben und meinem Verständnis vom Religiösen nicht gerecht werden kann. Das Grundproblem Ihrer Herangehensweise besteht für mich vor allem darin, daß Sie dem Diskurs zunächst nicht den Menschen als ein ganzheitlich-religiöses, personales Wesen, sondern statt dessen eine mehr oder weniger starke Gegenüberstellung von Ratio oder Vernunft und Religiosität voranstellen. Aber vielleicht habe ich diesbezüglich Ihren Aufsatz auch falsch in den Blick genommen? Wenn Sie sagen: "Es gibt hier nichts, was eine unüberbrückbare Kluft zwischen einem (angeblich) wabernd-irrationalen Glaubensleben und einer (angeblich) nüchtern-sturen Vernunft aufreißen würde.", so frage ich, ob denn überhaupt eine Kluft aufreißen kann? Ist denn nicht jede Form der Vernunft in der einen oder anderen Weise gleichermaßen direkt oder vor allem gegenwärtig auch indirekt religiös motiviert? Ich würde diese letzte Frage eindeutig mit ja beantworten. (Und ich spreche hier von Vernunft und nicht vom praktischen Verstand, um ein defektes Fahrrad zu reparieren.) Es kommt nun bloß darauf an, wie ich als Mensch auf mein religiöses Erleben reagiere, ob ich vor diesem angstvoll (der göttliche Abgrund, unter Umständen eine Leere, tut sich innerlich auf) zurückweiche, es zurückdränge und ihm gegenüber in einer quasioppositionellen Haltung verharre (materiell orientierter Sichtbarkeitskult etc.), ob ich es mißbrauche, pervertiere oder es zur Stärkung meiner göttlichen Ebenbildlichkeit als gottmenschliche Persönlichkeit, die wir, d. h. ein jeder, voraussetzungslos im Grunde sind, zuführe. Ebenbildlichkeit: Das authentisch Menschliche ist das Göttliche, das Göttliche ist das authentisch Menschliche in Ewigkeit - daran hängen alle wahrhaft menschlichen (mitmenschlichen) bzw., paradox ausgedrückt, überpersönlichen Werte, die in mir immanent durch meine schöpferische Zugabe zur Existenz kommen. Hier auch der Bezug zu einer der bedeutendsten Aussagen, die je ein Christ zum Wirken Gottes gemacht hat: "Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben; werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben." (A. Silesius: Cherubinischer Wandersmann) Auf jeden Fall gehe ich zunächst davon aus, daß ein jeder Mensch einen religiösen Kern besitzt, auch wenn er noch so geschwächt erscheint – Letzteres kann sich in Grenzsituationen des Lebens ganz schnell ändern. Es handelt sich hierbei um unser grundlegendes Motivationszentrum, ohne das kein Mensch existiert. In meiner "Existentielle Kritik kontra 'negatorische' Kritik" zitiere ich am Anfang Berdjajew: "Der Mensch ist unrettbar religiös". Davon ausgehend sehe ich den Menschen als ein ganzheitliches Wesen, erfahre mich selbst auch so, als eine mikrokosmische Konkretisierung der unergründlichen Gottheit, als ein die Freiheit und Gott immanent umspannendes und aus diesem Grunde ein zur Vernunft fähiges Wesen. Dies bedeutet für mich jedoch nicht, daß mein existentiell-immanenter Dialog mit Gott ein pragmatischer ist, daß das Wirken aus Gott letztlich einen utilitaristisch ausgerichteten Endzweck verfolgt. An dieser Stelle könnte ich mich auf Kant berufen (Kritik d. r. V.) und sagen, daß die Welt auf keine Letztbegründung im rein rational-logischen Sinne zurückgeführt werden kann (endloser Ursache-Wirkung-Regress). Gott ist im Gegenteil für jede utilitaristische Weltsicht und Lebensweise/praxis eine große Gefahr, d. h., sofern man sich auf die dialogische Seite Gottes stellt, ist man der Gefahr der Kreuzigung (wenn auch nur z. B. durch psychischen Terror) ausgesetzt. Aus diesem Grunde ist die Wahrheit (auch ein Attribut meiner Gotteserfahrung) auch aus meiner Sicht eher eine "Zumutung". Gott ist kein Garant für ein gutes Leben. Mit Gott streiten wir für das wahre Leben. Ich kann dies hier nicht weiter ausführen, da dies dann nahezu die Größe des Umfangs meiner Kritiken erfordern würde. Darum habe ich die Kritiken ja auch geschrieben, auch wenn ich heute nicht mehr mit allem Gesagten so "glücklich" bin. Berdjajew hat es außerdem, so finde ich, sowieso schon genial auf den Punkt gebracht. Für mich kann sich also gar nicht die Frage stellen, "wieviel Vernunft der Glaube braucht". Auch die rein wissenschaftlich-experimentell orientierte, angeblich vollkommen areligiöse Vernunft bedarf grundlegend eines Glaubenspostulats – z. B.: Nur das Sichtbare hat Realität. Ohne den Glauben an den Atheismus gäbe es diesen als solchen nicht. Also jede Vernunft ist an Glauben gebunden. Zudem stehen religiöser Glaube und vernünftige Einstellungen, entsprechend Ihrer Äußerung am Schluß des Aufsatzes, immer in einem Wechselverhältnis, weil sie dies schon angesichts ihrer einzigen Existenzmöglichkeit in einer Person, so im Menschen, auch anders gar nicht können. Aber nicht jeder religiöse Glaube führt zur ethisch motivierten Vernunft. Dies ist ein Problem in unserer Welt. So könnte man die Vernunft der Nationalsozialisten im sogenannten dritten Reich, aus deren Blickwinkel und vorausgesetzten Glaubenspostulaten heraus, auch als eine solche wie jede andere bezeichnen. Aber aus dem religiös-authentisch-ethischen Motiv heraus ist dies nicht möglich, ein Motiv, welches den Menschen als ein existentiell-dynamisches Kriterium im Kern erfüllt. Entscheidend für das Verhältnis von Glaube und Vernunft ist die religiöse Verfassung des Menschen. Der Mensch ist und wird grundlegend Mensch durch das authentisch Religiöse in ihm. Aber der Mensch kann auch nicht ohne ein Mindestmaß an Vernunft existieren. Ist der Glaube niedrig, und dies meine ich qualitativ, so ist die Vernunft niedrig und umgekehrt. Ist der Glaube hoch, so ist auch die Vernunft hoch und umgekehrt. Der Mensch als Mikrokosmos durchlebt letztlich in sich alle Kreise des Seins. Ohne Glaube existiert keine Vernunft und ohne welche auch immer niedere Form von Vernunft kommt kein Glaube zur Existenz. Mit dem Menschen ist immer beides. Dies gilt auch für Kinder. „Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht erkennen“ (Jesaja 7, 9). Letztlich gibt es kein Mehr-aus-Glauben oder Mehr-aus-Vernunft. Es erscheint uns zuweilen nur so. Dies ist eine Frage unserer Aufmerksamkeit. Die Gefahr, die Sie im Zusammenhang mit dem subjektiv-expressiven Glaubensformen verbunden sehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Dazu habe ich insbesondere "N. Berdjajew kontra K. Wilber. Von der personalen Wahrheit" geschrieben. Sie können auch mich unter die Rubrik dieser Glaubensformen stellen. Jedoch trifft auf mich Ihre negative Beschreibung nicht zu, obwohl ich darauf bestehe, daß ich als Persönlichkeit (d. h. nicht als gattungsmäßiges Individuum) kein Teil der Gesellschaft, sondern ein eigenes Ganzes bin, das sich gegen eine versklavende Funktionalisierung wehrt, welches aber primär gemeinschaftsstiftend wirkt. Es kommt hier also darauf an, was die menschliche Persönlichkeit in ihrem unzaustilgbaren (sozialen) Bezug zur Welt ausmacht, welchen Weg sie zusammen mit anderen Persönlichkeiten in Gemeinschaft zu beschreiten hat, soll sie nicht kaputtgehen. Davon handeln im Prinzip all meine Texte. Das war eine der Kardinalfragen Berdjajews, der meines Erachtens die Persönlichkeitsproblematik am konsequentesten und schlüssigsten durchdacht hat. Ich verweise auch auf Dostojewski oder auf Max Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Werteethik. Auch Erich Fromm würde ich hier einreihen, um nur einige wenige zu nennen, die ich auch gelesen habe. Was mich in bezug auf die s.-expressiven Glaubensformen irritiert, das ist, daß Sie den Begriff "Gottesbeweis" positiv verwenden. Den Gottesbeweis kann es doch nicht geben, oder? Oder habe ich Sie da falsch verstanden? Ich zähle mal jetzt noch ein paar Punkte auf, die ich für problematisch halte: Religiöse Erfahrungen sind eine besondere Art der Wirklichkeitserfahrung, ein Objektivitätsgehalt kann sich dabei immer nur sekundär-symbolisch ergeben. Denn die Erfahrung selbst ist genuin geistig-subjektiv, d. h., sie befindet sich außerhalb bzw. oberhalb der Gegenüberstellung von einer korrelativen Subjektivität und einer korrelativen Objektivität. Sie stellt eine geistige Realität dar und ist gegenüber einer sogenannten "objektiven Realität" (dies für mich ein unsauberer Begriff) dem Menschen wesentlich. Und nur als subjektiv-leidenschaftliche Erfahrung erhebt das Religiöse im Menschen einen starken Geltungsanspruch, dies jedoch nur in bezug auf ein Anderes, ein Anderen (Gott, Mensch), ein Gegenüber. Es gibt ja auch keine objektive Erfahrung, sondern nur die subjektive Erfahrung eines in der Person vollzogenen Objektivierungs- bzw. Denkprozesses. Eine wahrhaft sensibilisierte Öffentlichkeit in Demokratiefragen kann für mich nur unter der Voraussetzung von Persönlichkeiten mit hohen ethischen Bewußtsein wirksam werden. D. h., auch hier wieder ist die Richtung des Religiösen eines jeden einzelnen Menschen als existentielles Zentrum ausschlaggebend. Die Vernunft wird dadurch natürlich keineswegs ausgeschlossen, sie ergibt sich. Die Demokratie als solche existiert nicht und vor allem nicht als existentielles Zentrum. Sie existiert subjektiv nur als sozialer Bezug im einzelnen Menschen, der sich dann nach persönlicher Wertung und Umwertung des sozialen Bezugs im Zusammenschluß mit anderen Menschen auch zum praxisorientierten Handeln entschließen kann, aber nicht muß. Wenn Sie nun den Fideismus dadurch abschwächen wollen, daß er sich "nicht schlechterdings auf alle Lebensbereiche übertragen läßt", so meine ich, überstrapazieren Sie eventuell den Gehalt dieser Erkenntnishaltung. Auch wenn der Fideismus den Glauben als einzige Erkenntnisgrundlage betrachtet und ihn über die Vernunft setzt, so erstreckt sich diese Erkenntnishaltung noch nicht zwingend auf Bereiche, deren kurzfristige und spezielle Bewältigung praktische und nichtreligiöse Mittel erfordern. Aber sieht man genauer hin, ist es der Mensch, der tätig ist. Und egal, was er tut, immer fühlt er sich motiviert, und dies primär nicht aus rein praktischen Erwägungen und Hinwendungen – z. B. bei der Reparatur des Fahrrads etc. Auch dies ist eine Frage unserer Aufmerksamkeit. Zur Konzeption 3: Hier ergeben sich ein paar wichtige Gesichtspunkte. Glaubensinhalte sollten nicht autoritätshörig hingenommen werden. Genau der Ansicht bin ich auch. Aber man unterliegt einer Illusion, wenn man meint, die Umwertung der Glaubensinhalte könnte durch reine Vernunftmittel geleistet werden. Zunächst ist es so, daß das Religiöse nicht die Vernunft ist und umgekehrt, daß beide Aspekte im Menschen, wie oben gesagt, im unabdingbaren Verhältnis zueinander stehen. Die Umwertung der Glaubensinhalte geschieht wiederum, im Wechselspiel zum weltlichen Bezug, durch andere, neue Glaubensinhalte, die ständig in uns schöpferisch aufsteigen. Wir tragen in uns kein statisches Glaubensmaterial, sondern wir sind als Ebenbild von Gott und wie Er zum Schöpferischen berufen und erschaffen so fortlaufend neue Werte. Dies spürt der Mensch deutlich. In Wahrheit will der Mensch schaffen, um den religiös erlebbaren Sinn zu erfüllen, um nicht der Apathie und Depression anheimzufallen. Darum ist letztlich die Vernunft sekundär, auch wenn sie unabdingbar ist. Denn die reine Vernunft an sich motiviert zu nichts. Dies gilt vor allem auch für Kants kategorischen Imperativ, der ohne Wertehintergrund (hier vor allem Liebe) nicht zum Tragen kommt. Das hat Scheler sehr deutlich im oben genannten Buch herausstellen können. Oder auch schon Schiller z. B. Nicht der Glaube steht im Dienst der Vernunft, sondern umgekehrt, die Vernunft im Dienst des Glaubens. Aber, und hier wieder das Autoritätsproblem, der wahre Glaube kann kein autoritärer sein, weil er so die Freiheit nicht zulassen könnte. Und Glaube ohne Freiheit ist autoritärer Glaube – Götzendienst. In diesem Punkt kommt die Umwertung des Christentums als eines erlösungsbedürftigen hin zu einem schöpferischen zur Geltung, eine Umwertung, die Berdjajew philosophisch einzigartig herausgearbeitet hat. Auf der Grundlage einer neu zu begreifenden Freiheit, die als unerschaffene, meontische Freiheit Gott vorausgeht (Vergleichen Sie dazu u. a. Berdjajews Buch: Von der Bestimmung des Menschen.), kann in diesem Zusammenhang auch die Theodizeefrage völlig neu gestellt werden: Die Quelle des Bösen liegt in der meontischen, unerschaffenen Freiheit und nicht in Gott. Aber ohne diese Möglichkeit zum Bösen kann Gott nicht in die personale Existenz eintreten. Denn erst durch die Möglichkeit zum Bösen, das wesentlich das Nichtsein ist, ist dem Menschen die Möglichkeit der freien schöpferischen Hinwendung zu Gott als inniglich Geliebten, zur Fülle des Lebens eröffnet. Ich kann hier nur andeuten, was Berdjajew, ich glaube, in allen seinen Büchern mehr oder weniger thematisiert und dann ausgearbeitet hat. Übrigens wird durch die neu zu begreifende Freiheit auch Ihre Forderung erfüllt, ich zitiere Sie: "Die Wahrheit erhält ihren vollen Wert erst dann, wenn jemand ihr aus freier Einsicht zustimmt." Gott ist nicht allmächtig, er offenbart sich uns über die überpersönlichen Werte als Einheit von Eros und Agape, als liebens- und leidensfähiger Partner. Er will, daß wir uns frei, in Freiheit seiner Gnade (Hingabe) schöpferisch zuwenden. Der Glaube ist nicht "nicht mehr als eine unzulängliche Form der Wahrheitserfassung". Der Glaube an sich kann mit Wahrheit nicht identifiziert werden, sondern er stellt lediglich ein Aspekt des Menschen neben den überpersönlichen Werten, der Seele, der Vernunft, den Ideen, dem Verstand, den Sinnen, dem Körper dar. Die Wahrheit an sich ist der ganzheitlich-religiöse, kurz, der ganze Mensch. Berdjajew sprach in bezug auf Kants transzendentalem Bewußtsein vom transzendentalen Menschen als Träger der Wahrheit – genuin in Christus, dem Gottmenschen, inkarniert. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis von Persönlichkeit und Gesellschaft. Sie sagen: "Religiöse Erfahrungen können durchaus rationale Argumente von hohem Gewicht liefern." Hierin stimmen wir überhaupt nicht überein. Für mich sind religiöse Erfahrungen die eine, rationales Vermögen die andere Seite einer personalen Existenz. Beide Aspekte brauchen einander wie oben schon im Verhältnis Glauben und Vernunft erläutert. Das schöpferisch-ethisch-religiöse Moment macht den Verstand menschlich. Es entsteht entsprechende Vernunft auch im pragmatischen Bezug auf die Umwelt. Entsprechend des Silesius–Zitates oben ist zu sagen, daß Gott mit dem Menschen wächst, d. h., daß die Frage nach einem beständig-invarianten Gott nur eine Frage nach dem monotheistischen Gott und nicht nach einem neuerlebten trinitarischen Gottesglauben sein kann. Der trinitarische Gottesglaube erwächst aus einer dynamisch-dialogischen bzw. existenzdialektischen Gotteserfahrung. Sie sagen: "Im wohlverstandenen Sinn stellt Urteilskraft ein Vernunftvermögen dar, das zu einer überlegten, adressatengerechten, akteurrelativen, einzelfallbezogenen und kontextsensitiven Einheit aus Erfahrungs-, Erkenntnis- und Bewertungsleistungen imstande ist. Für den Einsatz der Urteilskraft zu plädieren, heißt also eine lebensweltliche Sättigung der Vernunft vorzuschlagen." Hierbei wird aber nicht gesagt, daß das Moment des religiösen Glaubens nicht doch den elementaren Ausschlag innerhalb dieser gesättigten Vernunft zu geben vermag, welches z. B. als ethisches Moment in der Bewertungsleistung erscheint.
Auch diese Stellungnahme verstehe ich für Sie als Anregung, wenn auch mit provokativem Einschlag. Sie können sich nun vielleicht auch von meiner Herangehensweise ein genaueres Bild machen.
Beste Grüße Ihr Dirk Hübner
05.2007 Hallo ..., ... Wie soll ich das von der "übertriebenen ... Freiheit" verstehen? Wahlfreiheit ist nicht die ursprüngliche Freiheit, von der Berdjajew in erster Linie spricht und sich dabei interpretierend auf Böhme bezieht. Genauer genommen ist Wahlfreiheit keine Freiheit, sondern die Notwendigkeit, sich zwischen verschiedenen vorbestimmten Optionen entscheiden zu müssen. Wahlfreiheit ist ein sekundärer Akt. Ursprüngliche Freiheit ist demnach schöpferische Freiheit. Wir schaffen frei vollkommen NEUE Werte (aus dem Nichts, Ungrund), wenn wir uns schöpferisch verhalten. Im Grunde verlangt jede echte Verantwortung im Leben schöpferische Freiheit, also ein nicht vorherbestimmtes Verhalten in entscheidenden bzw. wichtigen Lebenssituationen. Was wichtig ist, wo es drauf ankommt, auch das sollten wir frei, intuitiv, persönlich-authentisch, gegebenenfalls sittlich bestimmen. Jeder einzelne sollte sich nicht fremdbestimmen lassen. Das sagt sich so leicht daher, ist aber eines der schwerwiegendsten Probleme der Menschen. Wann bin ich beispielsweise authentisch? Und welche Probleme ergeben sich aus meinem Anspruch, authentisch sein zu wollen? Außerdem fühle ich mich auch gar nicht wirklich frei, wenn ich wählen muß, besonders dann nicht, wenn ich nur die Wahl zwischen lauter äußerst fragwürdigen Alternativen habe. Das ursprüngliche Gefühl, die Intuition der Freiheit ist ein religiös-mystisches Erlebnis höherer Ordnung. Aus Freiheit schaffen wir, die Wahlfreiheit setzt bereits Geschaffenes voraus.
Zur Transzendenz: Habe ich Dich richtig verstanden? Du gehst anscheinend davon aus, daß das Bewußtsein der Transzendenz nur eine Illusion ist und im Grunde für den Geist, durch sein Hineinragen in alles (Mensch, Materie), diese Barriere nicht existiert. Ist der Mensch befangen, so schlummert in ihm der Geist. Ist er erleuchtet, so ist in ihm der Geist offenbar und die Transzendenz verschwindet. Meine Ansicht: Es ist wahr, der Mensch hat Barrieren, hat eine mitunter unüberwindliche Kluft zwischen sich und Gott geschaffen. Darin liegt Lüge. Denn so wird Gott sinnlos, so ist er für den "einfachen" Menschen unerreichbar oder im Höchstfall nur anzubeten oder zu bewundern etc. Eine devote Haltung gegenüber einem Gott erniedrigt den Menschen und ist mit einer authentischen Gewissensintuition unvereinbar. Aber, es besteht eine Gefahr darin, die Transzendenz gänzlich auflösen zu wollen. Genau hier berühren wir ein Kernproblem, mit dem sich insbesondere Berdjajew intensiv auseinandergesetzt hat. Gibt es keine Transzendenz mehr, dann fällt zugleich auch die höhere Dimension, die höhere Ordnung weg. Wenn alles gleichermaßen Geist wird, wird zugleich unser schöpferisches Zutun überflüssig. Wenn die Transzendenz wegfällt, dann gibt es keinen Gegenüber, keinen Anderen mehr, wir werden mit Gott unerkennbar eins – Gott als Dialogpartner ist nicht mehr erreichbar, denn er ist gänzlich mit uns verschmolzen, der Unterschied zwischen Mensch und Gott ist nicht mehr erfahrbar. Das wiederum heißt, es gibt keinen Gott mehr, es gibt kein Gewissen mehr, es ist keines mehr nötig, da alles in Ordnung ist, wie es ist. "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" fällt ohne ein Gegenüber hinweg, ist nicht mehr möglich. Wir können schließlich nicht mehr unsere besagte Authentizität wahren, es gibt sie nicht mehr im vollkommenen Eins. Transzendenz ist unabdingbar. Aber es muß diejenige Transzendenz sein, zu der wir Menschen immanent dialogischen Zugang haben. An anderer Stelle habe ich sinngemäß geschrieben, daß im Grunde der Mensch mit Gott streiten will für eine bessere Welt.
Der Geist weht nur da, wo er sich in Beziehung setzen kann, aber nicht in irgendeine Beziehung, sondern eben in eine geistig-schöpferische. Kann dies die Materie? Ich denke nicht. Hierher gehört auch das im Gastbeitrag von Regina erwähnte Zitat von Silesius: "Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben; werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben." D. h., der existentielle Geist ist an die lebendige Existenz gebunden und kann nur in ihr offenbar und verwirklicht werden. Das der Geist auch in die Materie hineinragt, ist unsere weitgefaßte Auslegung des Begriffes Geist. Dies ist eine Ausfassung, die ich in ihrer Pauschalität nicht teile. Zumal, erfahrbar ist jenes Hineinragen nicht, und das ist für mich entscheidend, denn dazu müßten wir selber gänzlich nur Materie sein. Unmöglich. Aber: In der Materie ist für mich als Erkennender der Geist auf einer niederen Realitätsstufe symbolisiert. Dies wiederum ist für mich erkennbar, erfahrbar. Doch was ist überhaupt Materie? Je tiefer die objektiv orientierten Wissenschaftler in die sogenannte Materie theoretisch eindringen, um so mehr entschwindet sie ihnen. Soviel ich weiß, spricht man heutzutage zunehmend auch schon nicht mehr von Materie als solche, sondern von Energieschleifen als kleinste zusammenhängende Einheiten des Universums – was man auch immer davon halten mag. Du schriebst: "So ist dieser Geist auch dort, schlummert und kann erwachen, hat sogar das Potential, den Wesensschwerpunkt des Einzelnen in den geistig-himmelsverbundenen Seelenanteil zu verlegen." Wenn ich davon ausgehe, daß der Geist in seinem Wesen meine Persönlichkeit und der in ihr wirkende Dialogverbund mit Gott ist, dadurch Liebe, höhere Freiheit, Gewissen zum Tragen kommen, so ist es nicht ein allgemeiner Geist an sich, der mich "geistig-himmelsverbundener" machen kann, sondern ich bin es, der dem Ruf Gottes nach mir als einem authentischen Menschen Antwort geben muß. Ich muß meinen schöpferischen Anteil an meiner Vergeistigung, an meiner innersten gottbezogenen Menschwerdung leisten. Gottbezogen heißt hier, sich auf das wahrhaft Menschliche als auf das wahrhaft Göttliche beziehen (Liebe, Freiheit, Wahrheit). Dennoch muß der Unterschied bleiben zwischen dem Menschlichen und Göttlichen als Garant einer wesenhaften geistigen Bewegung zwischen zwei existentiellen Dialogpartnern – eine Voraussetzung, ohne die wir nicht zu existieren vermögen und sinnvoll wirksam werden können in dieser Welt. Ich gehe nicht von einem "Seelenanteil" aus. Entweder die Seele als ganze, eingebettet im ganzen Menschen, wird vom Menschen den geistig höheren Ansprüchen zugeführt oder von diesen abgekoppelt. Dies ist ein Frage der Ausrichtung unseres schöpferischen Potentials, das auch niederen, zerstörerischen Zwecken dienen kann.
Weiterhin schriebst Du: "Askese (die sehr verschiedene Formen hat!!) kann sehr wohl zu Welt-Wirksamkeiten führen, die mitunter der Welt sehr viel gibt." Ich meinte auch nicht, daß Askese an sich schlecht sei. Ich halte nichts von einer weltabgewandten Askese, die sich schadlos, schuldlos halten will. Grundsätzlich jedoch ist Askese unverzichtbar, auch wenn sie problematisch ist. Sie ist wesenhaft die Übung, schöpferisch-geistige Kräfte zu sammeln für, zu konzentrieren auf das Wesentliche der eigenen Berufung. Das Problematische liegt in ihrer Ausrichtung: Woraufhin bin ich in Askese? Was sind die persönlichen Beweggründe meines Handelns, so beispielsweise der Haß oder die Liebe? Selbst als hassender Mensch kann ich durch und durch asketisch sein.
"Ich bin übrigens für einen an sich dringend zu schaffenden liberalistischen Sozialismus (damit darin auch sozialistische Liberalisten Chancen zur Entfaltung haben)". Ich schließe mich eher Berdjajews Begriff eines personalistischen Sozialismus an. Im Mittelpunkt steht hier der einzelne, konkrete, gemeinschaftsorientierte Mensch in seinem authentischen Werden. Ein jeder einzelne Mensch muß vor allem authentische Selbsterkenntnis gewinnen, damit die Konflikte innerhalb der Gesellschaft (insbesondere auch der gegenwärtig anstehende Konflikt mit der Natur) von den Menschen verstanden und bewältigt werden können etc. Der Kapitalismus ist dem authentischen Selbstverständnis und den entsprechenden Konsequenzen vehement abträglich.
Freundliche Grüße, Dirk
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