Existentiell begründetes Denken

 

 

 

 

 

 

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Nikolai Berdjajew – Wahrheit und Offenbarung

 

Rezension zu „Wahrheit und Offenbarung“ (hg. von Gertraude und Klaus Bambauer/ mit kritischen Bemerkungen zu Ken Wilber)

 

Rezension (geändert am 4.6.01)

 

Für mich persönlich ist das Werk Nikolai Berdjajews die philosophische Entdeckung schlechthin! Dazu hat insbesondere die Herausgabe von ''Wahrheit und Offenbarung'' beigetragen. Dieses Buch stellt nach meinem Ermessen eine vorzügliche Einführung in das Werk Berdjajews dar. Ausgehend von diesem Buch habe ich auch viele seiner anderen Werke gelesen und war immer wieder auf's neue begeistert! Abgesehen von ''Wahrheit und Offenbarung'' sind seine schon früher in deutscher Sprache erschienenen Bücher zur Zeit nicht im Buchhandel erhältlich. Das bedauere ich sehr! Denn für mich ist Berdjajews Denken von unverzichtbarer Aktualität im ganzheitlich-prophetischen Sinne. Noch nie habe ich beim Lesen einer philosophischen Abhandlung diese Tiefe und geistige Klarheit, diese geistig lebendige Authentizität eines Autors wahrnehmen können wie bei Nikolai Berdjajew.

 

(Ein weiteres Buch von Nikolai Berdjajew „Versuch einer eschatologischen Metaphysik“, Spenner-Verlag Waltrop 2001, ist gerade neu erschienen. – Dirk Hübner, 19.4.01)

 

''Wahrheit und Offenbarung'' beginnt mit einer Einführung, in der zunächst versucht wird, den Weg N. Berdjajews in biographischer und philosophischer Hinsicht in groben Zügen nachzuvollziehen. Dabei wird N. Berdjajews Sicht und Denken in Beziehung zu den Denkern seiner Zeit und zum philosophischen Denken überhaupt gestellt, und dies gelingt entsprechend dem begrenzten Umfang dieses Buches meines Erachtens sehr gut. Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind die vielen prägnanten Zitate aus den anderen Werken Berdjajews selber, durch die man zumindest ansatzweise einen Einblick in sein umfangreiches, schöpferisches Schaffen bekommt.

 

Im großen und ganzen finde ich die Bemerkungen der Herausgeber und deren Auswahl aller Zitate, auch der anderen Autoren verschiedener Ausrichtung, vor allem hinsichtlich des Zusammenhanges sehr treffend. Hinter den vielen Querrverweisen und wohlbedachten Zitaten meine ich immer deutlich die Sympathie und die Achtung gespürt zu haben, mit der die Herausgeber dem Denken N. Berdjajews gerecht werden wollten. Die aufrichtige Mühe, die auf dieses äußerst wichtige Buch verwandt wurde, erkenne ich dankbar an!

 

Ich habe ''Wahrheit und Offenbarung'' bereits ein drittes Mal gelesen. Und dies tat ich wiederum mit Begeisterung. Ich persönlich bin auch beim Lesen der anderen mir zugänglichen Werke Berdjajews jedoch nie zu dem Schluß gekommen, daß er nach Georg Koepgen der ''Gefahr der Einseitigkeit erlegen'' ist, indem er ''...die gnostische Haltung zur allein gültigen machen will und die ganze Welt und ihre Geschichte unter diesen Aspekt stellt.'' (zitiert aus ''Wahrheit und Offenbarung'', hartmut spenner waltrop, 1998, S. 334). Oberflächlich betrachtet kann man zu diesem Schluß kommen. Aber in der Tiefe hat Berdjajew die Wahrheit niemals isoliert als etwas Absolutes dargestellt. Die Wahrheit war für ihn immer ganzheitlich, ein Akt zur Ganzheit hin, die mit dem Postulat des absoluten Menschen als Mikrokosmos engstens verbunden war. Eine gnostische Haltung sollte immer eine sinngebende, wertebestimmende Haltung sein. Und so gesehen ist sie das höchste , das göttliche Prinzip, durch die diese ganze Welt und ihre Geschichte erst einen Sinn erhält. Der Mensch steht in dieser Beziehung immer im Mittelpunkt. Und wo denn sonst sollte sich das existentielle Zentrum befinden, wenn nicht im Menschen?! Ohne das existentielle Zentrum wäre der Mensch absolut motivationslos und handlungsunfähig. Ich bin der Überzeugung, daß die Offenbarung der Wahrheit das höchste dynamische Prinzip, die höchste wahrnehmbare Qualität darstellt, das heißt aber nicht, daß die Welt dadurch verneint wird - ganz im Gegenteil. Ich denke, so sah das auch Berdjajew. Und darüber hinaus bin ich auch nicht der Ansicht von Koepgen, daß für Berdjajew z..B. die Dogmen nur exoterische Bedeutung haben usw. Auf Seite 230 von ''Wahrheit und Offenbarung'', 1998, schreibt Berdjajew dazu: ''Aber es wäre unwahr zu sagen, daß Dogmen nur eine pragmatische und ethische Bedeutung hätten, wie die Modernisten gelegentlich behaupteten. Dogmen sind von mystischer Bedeutung, und die endgültige Wahrheit ist mehr in der Mystik als in der Dogmatik zu finden. Dogmen beinhalten immer einen gewissen Grad von Objektivation, ...''. Für mich zumindest bedeutet das, daß Berdjajew eben nicht nur die objektivierte, exoterische Seite der Dogmen sieht, sondern insbesondere auch deren mystische, esoterische Seite versteht, die für ihn wesentlicher ist.

 

Der Einseitigkeit erlegen ist dagegen eher schon Ken Wilber, auf den in diesem Buch auch Bezug genommen wird. Und ich behaupte, daß er von Berdjajew weiter entfernt ist, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Meines Erachtens sind zwischen Berdjajew und Ken Wilber nur oberflächlich betrachtet einige Übereinstimmungen zu erkennen. Vom Grunde her jedoch stehen sie sich beide in ihren Ansichten eher diametral gegenüber. Während auf der einen Seite Wilber zum Beispiel von der Evolution des Selbst spricht und auf der anderen einen absoluten Geist postuliert, verstrickt er sich dadurch in jeglicher Hinsicht in unlösbare Probleme. Wilbers Denken ist diesbezüglich sehr widersprüchlich, es ist letzten Endes statisch und neigt zur Weltabgewandtheit. Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wahrheit im personalistisch-existentiellen Sinne kommt bei ihm überhaupt nicht vor. In diesem Punkt und in vielen, vielen anderen erfaßt er nicht die wahrhaftige Tiefe, die immer nur ausgehend vom und im Bezug zum ganzheitlich-göttlichen Menschen verstanden werden kann. Nikolai Berdjajews ganzheitliches Denken dagegen ist nach meinem Dafürhalten inspiriert von wahrhaftig authentischer, göttlich-menschlicher Qualität; es ist der freie Mensch in der wahrhaft geistigen Gemeinschaft, nach dem und nach der er sich sehnt. Interessant ist weiterhin, daß Ken Wilbers Ansichten z.B. auch in seinem Buch „Das Wahre, Schöne, Gute“ (Frankfurt am Main, Wolfgang Krüger Verlag, 1999) zum einen den von ihm ausgewählten Zitaten von Berdjajew (siehe S. 211/212 „Wahrheit und Offenbarung“, 1998) beim genaueren Hinsehen in einigem widersprechen bzw. zum anderen in die eigene Theorie interpretativ eingepaßt werden, wie es in seinem Buch „Halbzeit der Evolution“ (Frankfurt 1996, S. 361ff) teilweise geschieht - der Gottes- bzw Geistbegriff bei Berdjajew, und so sehe ich das, hat eine andere Bedeutung als bei Wilber: „Zur absoluten Einheit mit Gott gelangt man nicht durch Verzicht auf das Prinzip der Person, sondern durch Versenkung in die geistige Tiefe der Person, die sich antinomisch mit der Einheit verbindet“ (in N. Berdjajew: Wahrheit und Offenbarung, S. 212 unten). Zu K. Wilbers Buch „Das Wahre, Schöne, Gute“ habe ich kritische Gedanken geäußert. Diese findet man im Beitrag „Eine Kritik zu Ken Wilbers Buch ‚Das Wahre, Schöne, Gute’“. Dieser Beitrag soll noch fortgesetzt werden. Ich habe viele Bücher von K. Wilber teilweise mit Begeisterung gelesen. Diese Begeisterung hat sich insbesondere nach der Begegnung mit Berdjajews Werk doch eher abgekühlt. - - -

 

Ich habe diesen Beitrag im Sommer des Jahres 2000 ursprünglich als eine Art Rezension zu „Wahrheit und Offenbarung“ geschrieben (siehe auch amazon.de).

 

Dirk Hübner, Greifswald den 3.3.01

 

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