Existentiell begründetes Denken |
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Diskussionsbeiträge zu „Nikolai Berdjajew kontra Ken Wilber“ (Mit kritischen Bemerkungen zu Keiji Nishitani und dem Beitrag: „Unter anderem: Was ist Gott“ – Ein unvollständiger Versuch“)
Hier einige Gedanken in bezug auf meinen Beitrag „N. Berdjajew kontra K. Wilber“, die ich unter anderem als Antworten auf erste Reaktionen im KenWilber-de@yahoogroups.com (Diskussionsforum) eingegeben habe. In die Antworten (vom 11.6. und 26.6.) habe ich auch eine kurze Kritik zu Keiji Nishitanis Buch „Was ist Religion?“ (insel taschenbuch 2001) eingearbeitet. Zu K. Nishitani siehe auch meine Stellungnahme und "Ethik und Metaphysik".
(Meinung vom 13.03.01)
Großartige Sache Deine Rezensionen! Wie immer fair in der Kritik, ohne selbstgefällige Attitüde und vor allem verständlich. Vielleicht sollten alle erst mal diese Beiträge auf Deiner Homepage lesen, bevor Sie sich auf eine Diskussion über Berdjajew einlassen. Wär’ ja sonst Zeitverschwendung! Und einige Deiner Kritiker würden verstehen, dass Du nicht “konVertiert“ bist (“bissel heilisch geworden“, wie meine Oma gesagt hätte) und Du Dich nicht als Heiland oder Guru versuchst. Die überwiegende Zahl dialektisch vorbelasteter Freunde und Bekannte hat sicher die meiste Furcht vor nicht materiellen Erscheinungen: Geist usw. Aber ich finde auch, es macht viel mehr Spaß B. zu lesen und ich verstehe ihn halbwegs, wenn ich mich auf „so was“ auch einlasse. Gruss (auch) D.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 13.5.01)
Hallo ...,
hier einige erste Erwiderungen.
Zunächst einmal schrieb Wilber in dem von mir kritisierten Buch: „In diesem Sinne ist der GEIST der Gipfelpunkt des Seins, die oberste Sprosse auf der Leiter der Evolution.“ (S. 83) Wilber nennt eines seiner wichtigsten Bücher „Halbzeit der Evolution“ und nicht „Halbzeit der Offenbarung“ oder „Halbzeit des Menschen“. Durch viele Äußerungen Wilbers an anderen Stellen, beschreibt er meines Erachtens einen GEIST, der sich folgerichtig letzten Endes zu erkennen gibt. Wilber stellt seine Geistinterpretation in eine kausale Kette, was ich nicht akzeptieren kann. Aber es tritt zugegebener Maßen bei ihm nicht alles völlig klar zutage, und eine angemessene Deutung Wilberschen Denkens ist bei mir immer ein Akt der Verzweiflung. Da fühle ich mich halt vor allem mit Berdjajew sehr viel mehr verbunden. Das ist beim letzteren alles sehr persönlich und in der Tiefe für mich nachvollziehbarer.
Auch ich will keine Definition des Geistes. Der Geist ist vor allem etwas Lebendiges in mir und fühlbar nicht eigenschaftslos. Der Geist war vor dem Erscheinen des Menschen eine auf einer niederen Stufe anwesende, unbewußte Realität. Er war noch keine Realität im existentialistischen Sinne, sondern eine Kraft, die der Welt bis zum Erscheinen des Menschen eine sinnvolle Richtung verlieh (aber nicht im kausalen oder deterministischen Sinne). Das Erscheinen des Menschen ist auch Zufall, aber durch den Zufall allein nicht möglich. Der Mensch ist auch ein göttliches Wesen und in diesem Sinne überhaupt nicht zufällig. Die Ganzheit des Geistes, seine existentielle Realität ist erst durch den Menschen gegeben bzw. möglich.
Es ist, denke ich, legitim, wenn ich das „Nichts“ in seiner Bedeutung weiter fasse. In philosophischer Hinsicht hat das „Nichts“ vor allem eine metaphysische Bedeutung und ist nicht einfach ein „Nichts“ im Sinne von nicht existent. Es ist wahr, daß in diesem Begriff viel Spekulatives enthalten ist. Aber es ist unvermeidlich, ihn für die Auseinandersetzung zur Wahrheit hin, die letztlich nach meiner tiefsten Überzeugung göttlich-menschlich, eben ganzheitlich ist, einzubeziehen. Und es kommt immer darauf an, wie sich die Begriffe in der Gesamtdarstellung einfügen, davon hängt auch ihre Bedeutung ab. Dies alles versuche ich in meiner Kritik in einen Zusammenhang zu bringen. Ob es mir gelingt, sei dahingestellt.
Weiterhin spreche ich von der jenseitigen „Sinnlosigkeit“. Damit meine ich, das der Sinn, Gott in der Tiefe des mystischen Grundes, in der vorseienden Freiheit nicht greift. Die Freiheit ist das Ursprünglichste und geht dem Geist, Gott, der ganzen Welt voraus. Aber diese Freiheit ist nicht der Gipfel, sondern der Grund, das Ich im vorseienden Stadium, welches nie bewußt sein kann. Die Freiheit muß durch die irdische, die manifeste, die diesseitige Welt, durch Gut und Böse hindurch und erhält durch Gott eine sinnvolle Richtung. Aber das alles versuche ich ebenfalls in meiner Kritik zu erörtern.
Die Notwendigkeit ist das Gesetz, die Folge der unvermeidlichen Starre der diesseitigen Welt. Die Notwendigkeit ist die Folge der Entäußerung Gottes in ein Symbol. Und die Freiheit ist von unten her in der diesseitigen Welt nicht grenzenlos, das ist eine tägliche Erfahrung im Leben eines jeden von uns. Weshalb es die Notwendigkeit des Ringens von Gut und Böse in der diesseitigen Welt gibt, das ist eine der Fragen überhaupt! Wir dürfen ihr nicht ausweichen! Und gelöst wird diese Frage nicht durch die Behauptung der „Leere“, ein Begriff, den ich überhaupt nicht mag, sondern der Fülle der Persönlichkeit. Und Fülle ist nicht gleich Leere. Leere als Erfahrungsgröße ist reine Spekulation, Fülle der Persönlichkeit ist dagegen für mich die erlebte Wahrheit. Und auf die Frage „nach dem Sinn vom Sein“ und deren Beantwortung – „Die Frage ist beantwortet, wenn sie nicht mehr gestellt wird.“ – bin ich im 4. Teil meiner Kritik eingegangen.
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal kurz mein Anliegen formulieren und damit ... Bitte Folge leisten.
Mein Anliegen kommt eigentlich in meiner Kritik zum Ausdruck. Ich möchte unter anderem eine kontroverse Anregung vermitteln. Ich möchte, daß jeder vor allem auch in sich die göttlich-menschliche Wahrheit (nicht zu verwechseln mit Egozentrik) sucht und von dort ausgehend zu einer kritischen Auseinandersetzung fähig wird. Und in dieser Hinsicht ist Ken Wilber nicht unangreifbar, und ich meine sogar, ganz im Gegenteil.
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 14.5.01)
Liebe ...,
vielen Dank für Deine ersten, anregenden Bemerkungen! Ich möchte kurz darauf eingehen.
Ich bin nicht der Meinung, daß Gott mit Gott spricht, sondern daß sich erst in der liebenden Wechselbeziehung zwischen Mensch und Gott die Wahrheit ereignet. Der Mensch ist nicht gleich Gott, er ist eben auch ein Mensch mit seiner weltlichen Begrenztheit. Der Mensch ist sowohl ein irdisches als auch ein wesentlich göttliches Wesen. Ohne diese Spannung gäbe es weder Gott in seiner Fülle noch den Menschen. Das alles kommt vertieft in meiner Auseinandersetzung, hoffe ich, zum Ausdruck.
Mit den Zitaten ist es immer so eine Sache – es besteht immer die Gefahr, daß man etwas unterschlägt. Wie verhält es sich nun mit dem von Dir im besprochenen Buch ausgewählten Zitat auf S. 84? Ich habe mich im Verlaufe meiner Auseinandersetzung zur sogenannten „integralen Philosophie“ geäußert und auch dazu kritische Anmerkungen gemacht. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß eine „integrale Philosophie“ für sich genommen keine wahrhaftige Integration durchführen kann, das kann letzten Endes immer nur der Mensch in seiner göttlich-menschlichen Tiefe, in einem ganzheitlichen Akt. In diesem Akt stellt die Philosophie ein vermittelndes und dynamisches Element dar, welches an diesem Akt ganzheitlich beteiligt ist und von diesem nicht getrennt werden kann. Und was tut Wilber? Er trennt die verschiedenen Erfahrungs- bzw. Erkenntnismodi zum Teil, da von ihm der „absolute GEIST oder die absolute Wirklichkeit“ (S. 84) in diesem Fall spekulativ als wirklicher als die Fülle der ganzheitlich erfahrbaren göttlich-menschlichen Persönlichkeit angesehen wird, die einzig nur als authentisches integratives Zentrum in Frage kommt. Das steht zwar in diesem Zusammenhang nicht auf Seite 84 und auch nicht woanders in diesem Buch, weil das Problem der ganzheitlichen göttlich-menschlichen Persönlichkeit als höchster erfahrbarer und fortlaufend zu realisierender Wert in seiner „integralen Philosophie“ nicht vorkommt und nicht tiefgehend diskutiert wird.
Und unter der göttlich-menschlichen Persönlichkeit verstehe ich das konkrete geistig-existentielle Zentrum des Menschen selber, das sehr wohl charakterisierbar ist z. B. durch die Worte Liebe, Mitleid, Leid, Wahrheit, Freiheit, Schöpferkraft, Fülle und Ekstase, Aufopferung, Hingabe, Konkretheit, Integrität, Authentizität, Einheit von Transzendenz und Immanenz. Und das sind alles nicht nur Worte, dahinter stehen echte Erfahrungen, die immer einzigartig und unwiederholbar, eben dynamisch in jedem Menschen vorhanden sind. Darüber hinaus dürfen wir die Begriffe bzw. Worte vom sogenannten „GEIST“ nicht abtrennen, und ich behaupte, ohne die schöpferische Anwendung u.a. der Sprache durch den Menschen wäre der „GEIST“ wirklich leer und eigenschaftslos (siehe meine Re. auf ... erste Re. vom 13.5.) und eben nicht charakterisierbar und daraus folgend in seiner Erfahrung im Höchstmaß unkonkret. Erst in der schrittweisen Benennung des Geistes, Gottes, wird er für uns konkret faßbar. Auch hier offenbart sich eine unumgängliche schöpferische Wechselbeziehung unter Einbeziehung der Sprache hin zur höchsten Gotteserkenntnis im Menschen. Wir kommen aus der Ganzheitlichkeit einfach nicht heraus.
Und „nicht charakterisierbar“ (S. 84) ist vor allem das vorseiende Ich, die Freiheit in ihrer ursprünglichen, unermeßlichen, nicht verklärten Formlosigkeit. Dieses vorseiende Ich könnte man als zustandslose Leere bezeichnen, aber diese entspricht nicht der durch Gut und Böse dieser Welt gegangenen Freiheit im Geist an sich. Das vorseiende Ich ist nicht Gott oder Geist oder der Gipfel aller Erkenntnis. Der Geist realisiert sich in der Persönlichkeit, er ist letzten Endes die konkrete ganzheitliche Persönlichkeit. Wilber verfällt im Grunde selber einer Verwechslung (vergleiche Prä- und Transverwechslung bei ihm), indem er seinen „GEIST“ in vielerlei Hinsicht mit dem vorseienden Ich gleichsetzt („radikale Leerheit“, S. 418). Auf dieses Ich angewendet sind seine Geistcharakterisierungen, die auch er vornimmt, zumindest teilweise zutreffender („eigenschaftslos“ und „nicht charakterisierbar“).
Wilbers Philosophie erklärt den transpersonalen GEIST als „das höchste Ziel aller Entwicklung und Evolution“ (S. 83) und nicht den ganzheitlichen bzw. den transzendentalen Menschen, der nach N. Berdjajew kein evolutionistisches Ziel darstellt. Und wenn wir angekommen sind am Ziel, was dann? Ist dann alles in Ordnung? Solange wir leben, hört in diesem Zeitraum unser innerer Kampf um Gott und Gottes um uns irgendwann auf? Ich sage ja, wenn damit das vorseiende Ich gemeint ist, in dem es keinen Kampf gibt. Doch wenn der wahre Geist gemeint ist, sage ich nein! Im wahrhaftigen Geist wird nichts ungeschehen gemacht (siehe Wilber S. 424) – höchstens im ursprünglichen Ich. Und im Ereignis der höchsten Wahrheit sind wir nicht einfach eigenschaftslos, ganz im Gegenteil, alle Eigenschaften, Antinomien, Gegensätze sind zur höchsten Spannung vereint, was wir als Fülle und in der Ekstase erfahren, ganz deutlich! Und die Aufrechterhaltung dieser Spannung erfordert all unsere freiheitlich liebende, eine wahrhaft heroische Anstrengung, nach der wir uns aus unserer Tiefe heraus immer sehnen werden. Das ist das göttlich-menschliche Prinzip der Liebe.
Die Dynamik von Wilbers Ansatz, von der Du sprichst, wird schon mit den Worten „Soheit“, „Seinsheit“ und „Essenz“ außer Kraft gesetzt. Ich sehe den Geist nicht als Essenz, was ein statischer Begriff ist wie die anderen beiden Begriffe auch. Näheres in meiner Kritik.
Du schreibst: „Es ist langweilig mit sich allein Nachtmahl zu essen...“. Ist denn der Geist nur deshalb da, damit ich keine Langeweile haben muß?
(zu 4.a) Aber das jenseitige, transzendente Prinzip existiert niemals losgelöst bzw. gesondert von der diesseitigen Welt und findet im Menschen seine freiheitlich höchste Entsprechung. Hier bestehe ich auf dem Zusammenhang. Das Gleiche gilt auch für 4b.
Liebe Grüße Dirk H.
Lieber ...,
Zu einer angemessenen Kritik des Buddhismus bin ich nicht in der Lage. Aber ich kritisiere vor allem eine auch buddhistisch orientierte Philosophie westlicher, Wilberscher Färbung.
Was ich beobachte, das ist die zunehmende Wertschätzung, die die buddhistische Religion gerade im Westen genießt. Dies hat seine verständlichen Gründe. Die Menschen suchen einen Ausweg aus ihrem z.T. tristen, geistlosen Leben, die Kirche kommt dafür meist oder zumindest oft nicht mehr in Frage – auch aus verständlichen Gründen.
Ich habe nun den Eindruck, daß insbesondere die buddhistische Religion im Westen zu einer Modeerscheinung degradiert ist. Und so führen die Menschen auf der einen Seite ihr z.T. lebloses, mechanisches „Leben“ fort, ausgerichtet auf all die marktorientierten „Notwendigkeiten“, und beruhigen sich auf der anderen mit Meditation. Hier stellt sich auch immer wieder die Frage, was ist wahrhaftige Meditation? In der Leerheitsmeditation, wie sie in Wilbers Buch zur Sprache kommt, sehe ich eine Art Weltflucht. Sie hat in meinen Augen keinen ganzheitlichen Bezug. Es geht immer nur um den „GEIST“, für den der Mensch nur eine Mittlerrolle spielt.
Ich lese gerade das neuerschienene Buch von Berdjajew „Versuch einer eschatologischen Metaphysik“. Auf Seite 130 macht K. Bambauer folgende Anmerkung (225): „Es ist unsachgemäß, wenn Berdjajew hier den europäischen Begriff des ‚Nichts’, der dem Nichtigen zu vergleichen ist, mit dem buddhistischen Begriff des ‚Nichts’, der die Fülle enthält, gleichsetzt.“ usw.
Aber für mein Sprachverständnis in Verbindung mit meiner inneren Erfahrung und der darauf aufbauenden philosophischen Deutung kann ich es nicht zulassen, den Begriff des „Nichts“ mit dem der „Fülle“ gleichzusetzen. Aus der Vermischung dieser Begriffe heraus entstehen meines Erachtens verheerende Mißverständnisse in Richtung Wilberscher Buddhismusinterpretation.
Ihr Dirk Hübner
Auf Anfrage schrieb ich Folgendes.
Unter anderem: Was ist Gott? – Ein unvollständiger Versuch
Als freier Mensch kann man den Gottesbegriff von allen götzendienerischen Elementen befreien und ihn dahingehend gebrauchen, um dem wesentlichen Kern des Menschen Ausdruck verleihen zu können. Dabei gehe ich davon aus, daß man zunächst einmal bereit ist, was man natürlich von keinem verlangen kann, weil dies freiwillig geschehen muß, den Menschen und sein göttliches Wesen als das absolut Bedeutsamste der ganzen Welt anzuerkennen. D.h., ich verbinde mit dem Gottesbegriff nicht den absoluten weltlichen Menschen, der sich auf die begrenzte Welt der Dinge zurückgezogen hat, sondern den göttlichen Menschen, der sich von seinem göttlichen Mitgefühl und seinem göttlichen Gewissen von innen heraus leiten läßt. So gesehen könnte ich z.B. das Gewissen als meinen persönlichen Gott bezeichnen. Und dieses Gewissen offenbart sich mir wesentlich im Augenblick, und dennoch muß ich es mir paradoxer Weise in dieser Welt erarbeiten, in gewisser Hinsicht freischälen von allen nichtgöttlichen, weltlichen Begrenzungen und Lügen. Dieser Widerspruch liegt in der gottmenschlichen Existenz begründet. Der Mensch ist sowohl ein irdisches als auch ein vom Grunde her geistiges Wesen. Das Gewissen erfordert im wahrsten Sinne des Wortes freiheitlich-geistige Arbeit. Es ist nicht auf sich selbst beschränkt, sondern wird einerseits erst verständlich und erkennbar in bezug auf unsere begrenzte, lügenhafte Welt. Unser wahres, ursprünglich-göttliches Gewissen kann und muß sich schöpferisch in unser irdisches Leben ergießen und Licht in das Dunkel dieser Welt bringen. Mein göttliches Gewissen und nur dieses will ich persönlich einzig vom Herzen her in diesem Leben verwirklichen. Gott ist letzten Endes für mich eine Glaubensfrage. Gott ist für mich mein umfassendes Gewissen. Und dieses Gewissen wird getragen von Mitgefühl, geistiger Freiheit, Liebe, Wahrheit. Andererseits ist Gott eben nicht nur Gewissen, sondern Liebe (man kann und darf dies alles voneinander nicht trennen), die sich immer nur konkret offenbaren kann in der Liebe zu einer anderen göttlichen Persönlichkeit, da jede Persönlichkeit absolut konkret und einzigartig ist. Aber auch hier spielt mein wahrhaftiges Gewissen eine überragende Bedeutung: Bekenne ich mich zu meiner wahrhaftigen, nicht oberflächlichen Liebe, oder gebe ich sie z.B. den Erfordernissen des Lebens preis? Hierher gehört auch der tragische Kampf des Menschen zwischen seiner Freiheit an sich und der Notwendigkeit. Aus der Tiefe heraus kann man weiterhin von tragischer Liebe sprechen, weil sie immanent Opferliebe ist, und in dieser Hinsicht ist sie im Höchstmaß paradox und leidend: Der individuelle Mensch in der göttlichen Liebe gibt seine ganze göttliche Persönlichkeit der geliebten Persönlichkeit hin – jedoch kann er dies nur so lange tun, solange er selber ganze, vollständige Persönlichkeit bleibt. Indem der liebende Mensch seine Persönlichkeit realisiert, realisiert er sich zugleich in der geliebten Persönlichkeit, damit diese zum anderen selber vollkommene, liebende Persönlichkeit wird, damit sie ihr wahrhaftiges göttliches Potential ganz offenbaren kann, welches ich im Augenblick selbstlos erkenne und wonach ich mich selbstlos sehne. In der konkreten Liebe gibt die Persönlichkeit das tiefste und wahrhaftigste Opfer überhaupt – ganz sich selbst. Und gerade aus diesem Grund vereinigen sich die Liebenden in Freude und Seligkeit. Die Liebenden setzen sich in Gott eins und überwinden wahrhaft die Einsamkeit. Doch wahrhaftigen Verzicht kann der Mensch nur so lange üben, solange er selber dabei Persönlichkeit bleibt. Für die reine Vernunft wird die Liebe und die mit ihr unzertrennlich zusammenhängende paradoxale Persönlichkeit immer ein Rätsel bleiben, eben ein Mysterium. In der Liebe offenbart sich Gott in seiner schöpferischen Beziehung zu mir. Liebe setzt voraus, daß ich selber göttliche Persönlichkeit bin, daß ich in diesem Sinne die göttliche Persönlichkeit in mir trage. Gott selbst muß demnach Persönlichkeit sein, damit ich ihn erkennen kann – in mir. Und nur auf diese Weise bin ich auch zu einer liebenden Beziehung zu einer anderen Persönlichkeit fähig. D.h. wiederum, das Gott in mir nur in meiner von geistiger Freiheit, von Wahrheit getragenen Liebe und dahingehend in meinem Gottesgewissen zum Ausdruck kommt. Gott ist umfassende Liebe der Persönlichkeit und setzt die andere Persönlichkeit und die liebende Gemeinschaft und das Universum im weitesten Sinne voraus. Denn die Liebe im luftleeren Raum kann keine Beziehung eingehen und kann so auch gar nicht, niemals existieren. Deshalb wehre ich mich ja auch so vehement gegen einen Gottesbegriff, der einen absoluten Gott als absoluten Geist proklamiert. Gott existiert nur in der liebenden Beziehung. In der liebenden Beziehung offenbart sich in mir als Mensch Gott schöpferisch – als freiheitlicher Geist, als Wahrheit und darauf bezogen als mein wahrhaftiges Gewissen. In der Gnade Gottes, d.h. in der Offenbarung der Wahrheit an sich, erreiche ich erst die höchste Vollständigkeit und Ganzheit, aber nicht als etwas Abgeschlossenes. Es ist die Ganzheit der schöpferischen Persönlichkeit, die sich in einem Gefühl ganzheitlicher Fülle offenbart, die in sich, aber auch aus sich heraus im Höchstmaß zur Erfüllung hin bewegt ist. In einem Menschen dagegen, abgetrennt von jeglicher göttlicher Eingebung, macht sich Leere, Zerrissenheit und absolute Sinnlosigkeit breit. In Verbindung mit Gott dagegen ereignet sich Fülle, Ganzheit und der Sinn - das Sinngebende überhaupt im Menschen.
Was geschieht mit Gott, wenn der Mensch stirbt? Wenn der Mensch stirbt, ist Gott allein, er existiert nicht mehr in seiner ganzheitlich-konkreten Wahrheit. Denn zur existierenden Wahrheit wird Gott nur in seiner göttlich-menschlichen Fülle, in seiner göttlich-menschlichen Beziehung, die fortlaufend schöpferisch ist. Wenn ein Mensch stirbt, verliert er seine sterbliche Hülle und geht ganz in die vorseiende Ewigkeit ein, in der die Zeit vollständig aufhört zu existieren. Der Tod eines Menschen ist das Ende der einzigartigen, unwiederbringlichen göttlich-menschlichen Wahrheit, die auf das engste auch mit der Zeit verbunden ist. Die Ewigkeit kann sich dem Menschen bereits schon zu Lebzeiten in seiner liebenden, göttlich-menschlichen Tiefe offenbaren. Der Tod ist somit auch der Übergang zum lebendigen Augenblick der Ewigkeit. Schon zu Lebzeiten kann der Mensch an der ewig göttlichen Wahrheit teilnehmen, die zugleich die menschlichste ist und sich immer nur konkret-schöpferisch offenbart. Wir können als Menschen, solange wir leben, den scheinbaren Dualismus (das dialogische Verhältnis) zwischen dem transzendenten Prinzip und der konkreten immanenten Offenbarung nie auflösen, es sei denn, wir erkennen ausschließlich einen absoluten Geist an, der sich als „radikale Leerheit“ offenbart, und degradieren im gleichen Atemzug den Menschen zu einer reinen Mittlerfunktion, die nicht wahrhaftig schöpferisch sein kann. Es ist das transzendente Prinzip, welches sich dem Menschen in einem göttlich-menschlichen und zugleich schöpferischen Akt offenbart. Das transzendente Prinzip wird real nur im Inneren des Menschen offenbar und lebendig – als der Wesenszug der menschlichen Persönlichkeit. Ohne die Realisierung der Persönlichkeit hat ein transzendentes Prinzip keine (innerlich-geistige) Realität. Die Persönlichkeit selber ist transzendent und kann sich dennoch nur immanent offenbaren. Durch die innere und zugleich schöpferische Offenbarung der Wahrheit überwindet der Mensch als Persönlichkeit den Tod. Erst durch die Realisierung der Persönlichkeit verliert der Mensch wahrhaftig (d. h. geistig) die Angst vor dem Tod und nimmt ihn ganzheitlich an! Denn der Tod ist zugleich Ende der Zeit und Übergang zur Ewigkeit, die sich dem Menschen zu Lebzeiten offenbaren kann. Die Ewigkeit an sich ist potentiell die göttlichste und zugleich auch die menschlichste Wahrheit. Sie ereignet sich jedoch nur in der schöpferisch-liebenden Ekstase als göttlich-menschliche Schönheit. Die Ewigkeit selber muß man immer aus zwei Perspektiven betrachten, sie ist sowohl die Gottheit in ihrer Abgeschiedenheit als auch die Wahrheit in der göttlich-menschlichen Tiefe. Erst der Mensch findet aus sich heraus in einem ganzheitlich-schöpferischen Akt die Schönheit wahrhaft in allem wieder. Im Menschen und nur im Menschen wird die Gottheit zur einzigartigen, unverwechselbaren und vor allem konkreten gottmenschlichen Wahrheit erhoben. Die Gottheit in ihrer Abgeschiedenheit ist weder Wahrheit oder Schönheit noch Lüge – sie ist das Nichts. Es ist verantwortungslos gegenüber allem, die Abgeschiedenheit an sich als die höchste Wahrheit anzuerkennen. Und ich meine, daß dahinter nicht wirklich eine Realität steht, die sich im Menschen spürbar ereignet. (([Siehe Korrektur im Anschluß – D.H.] Es ist anzunehmen, daß mit dem Tod eines Menschen, sich dieser gemeinsam mit Gott in die Gottheit, in die Abgeschiedenheit hinein (im jenseitigen Sinne) auflöst, in der es keine Unterschiede gibt. Doch diese absolut unkonkrete Unterschiedslosigkeit ist nicht das wahre Ziel oder der Gipfel des Lebens, da es ansonsten völlig belanglos wäre, ob ein Mensch existiert oder nicht. Die konkrete Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit von allem Existierenden und vor allem eines jeden Menschen wird in der liebenden Gemeinschaft Spuren hinterlassen und wirkt in dieser im ewig-göttlichen Sinne fort. Gott offenbart sich immer nur konkret, niemals unkonkret oder gar abstrakt.))
Dirk Hübner (Korrektur 07.02.2013: Diese letzte Schlußfolgerung im Beitrag „Unter anderem: Was ist Gott...“, halte ich heute für unannehmbar. Ich bin im Glauben: Das Mysterium des gottmenschlichen Lebens eines Menschen wird durch den faktischen Tod hindurch in das Mysterium der Unsterblichkeit erhoben werden. Alles andere wäre absolut sinnlos, was Gott widerspräche. „Die ganze Weltordnung mitsamt dem Bereich des Universal-Allgemeinen, des Unpersönlichen geht dem Ende entgegen und wird in Flammen aufgehn, während alle konkreten Wesen, die menschliche Persönlichkeit vor allen Dingen, aber auch die Tiere, die Pflanzen und alle, denen eine individuelle Existenz in der Natur eigen ist, die Ewigkeit erben werden. Ganz und gar werden in Flammen aufgehen alle Reiche dieser Welt, alle Reiche des ‚Allgemeinen', die das Individuell-Persönliche auf das Folterbrett spannen.“ (Nikolai Berdjajew) Unsere irdische Hülle (unser Leib bzw. Körper) ist sterblich, doch wird sie in ihrer personalen Existenz Eingang finden in die mystische Unsterblichkeit, und das schon im Leben eines jeden. Wir erheben uns ganzheitlich-schöpferisch zu Gott im Durchgang durch diese Welt. Dies gilt bis in alle Ewigkeit. Die Gottheit, das Nichts sind ein ungrundlicher Wille : "Und der Grund derselben Tinktur ist die göttliche Weisheit; und der Grund der Weisheit ist die Dreiheit der ungrundlichen Gottheit und der Grund der Dreiheit ist der einige unerforschliche Wille, und des Willens Grund ist das Nichts." - "Der Ungrund ist ein ewig Nichts, und macht aber einen ewigen Anfang, als eine Sucht; denn das Nichts ist eine Sucht nach Etwas." (Jakob Böhme) Diese Sucht nach etwas wird eingehen in die in Ewigkeit geborene Unsterblichkeit, in der wir uns alle wiederfinden werden. Wir werden nicht in die Gottheit, in das ungrundliche Nichts einfach zurückkehren, uns auflösen, als wenn nichts gewesen wäre. Die Sucht nach etwas wird letztlich das ewige mystische Etwas sein, der unermeßliche Reichtum der Dreiheit - die Wahrheit, die Freiheit, die Liebe im eschatologischen Sinn. Gott, der Sinn in diesem Leben, führt uns dort hin, ob wir es wollen oder nicht. Das letzte Geheimnis wird darin bestehen, daß wir Menschen uns im jeweils persönlich-gemeinschaftlich-schöpferischen Akt mit Gott vereinigen müssen. Gott wird uns nicht einseitig retten können. Er braucht unsere schöpferische Tat und sehnt sich nach uns hin zu Ihm und Seinem Reich. Es wird letztlich ein gemeinsames Reich sein. Die Erfüllung der eschatologischen Erwartung in diesem Sinne, die schöpferisch-liebende Vereinigung von Mensch und Gott, ist schon in einem jeden Menschen in der Tiefe seiner Existenz potentiell angelegt.)
(Meine Antwort auf Reaktion vom 26.5.01)
Hallo …,
ich glaube, wir unterscheiden uns in der Herangehensweise grundlegend. Für Dich ist offensichtlich die Erfahrung der (buddhistischen) Leere in der Tiefe der Person das Wesentliche bzw. das Absolute, für mich verwirklicht sich in der Fülle der Persönlichkeit, des ganzheitlichen Menschen die Wahrheit schöpferisch. Ich persönlich bestehe auf dem Unterschied zwischen Leere und Fülle. Und ich sage es hier noch einmal ganz drastisch, ich glaube nicht an eine „radikale Leere“ (Wilber), die sich als eine wahrnehmbare, existentielle Realität an sich im Menschen offenbaren kann, man kann sich diese „radikale Leere“ als wahrnehmbare Realität im Höchstfall einreden bzw. suggerieren (siehe dazu vor allem meinen Beitrag „Berdjajew kontra Wilber“). Für mich muß die Leere zur Fülle der Persönlichkeit erhoben werden, um Realität werden zu können. Darüber hinaus ist mir der Begriff des „Nichts“ lieber, da er für mich vom Inhalt her wertefreier ist. Der Begriff der „Leere“ hat für mich einen stark wertenden Bezug (Mangel). Es ist möglich, sich leer zu fühlen, das Nichts an sich kann man nicht fühlen. Im Begriff des „Nichts“ drückt sich für mich weder Mangel noch Fülle aus, und das entspricht meiner Vorstellung vom Nichts. Das Nichts ist danach reine Potentialität. Im Nichts selber findet kein Schaffensprozeß statt und somit auch keinerlei Erfahrung bzw. Wahrnehmung.
Einige mir wichtige Anmerkungen noch.
Wenn Du mich zitierst, solltest Du es vollständig tun. So habe ich geschrieben: „... den Menschen und sein GÖTTLICHES Wesen als das absolut Bedeutsamste der GANZEN Welt anzuerkennen.“ Ich sehe immer die schöpferische Einheit und das schöpferische Wechselspiel von Mensch und Gott. Du hast das Zitat einfach ohne den Menschen angeführt. Darin wäre in der Tat eine „gewisse Absolutheit dieses Wesenskerns“ zum Ausdruck gekommen.
Du hast mich weiterhin zitiert:
„... damit sie ihr wahrhaftiges göttliches Potential ganz offenbaren kann, welches ich im Augenblick SELBSTLOS erkenne und wonach ich mich SELBSTLOS sehne.“ „Selbstlos“ hat für mich hier die Bedeutung: nicht auf den eigenen Vorteil bedacht. Ich meine in diesem Zusammenhang nicht das „Nicht-Seiende“ oder die „Leere“, die Du in diesem Wort, an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang zu sehen meinst.
Und: „Wenn ein Mensch stirbt, verliert er seine sterbliche Hülle und geht ganz in die vorseiende Ewigkeit ein, in der die Zeit vollständig aufhört zu existieren.“ Du hast Recht, damit meine ich in der Tat die sogenannte Leere – das Nichts. Diese Leere, dieses Nichts ist aber nicht das höchste Ereignis im Leben eines Menschen – die gottmenschliche Wahrheit, die einzig immer wieder einmalig und konkret und unwiederholbar ist. Die Wahrheit ist ein dynamischer Prozeß in der Tiefe des Menschen, aber sie umfaßt diesen Menschen als ganzes Wesen (Körper, Seele, Geist). Um diese Wahrheit und nur um diese kämpfe ich fortlaufend. Um die Leere kann man nicht kämpfen. Man kann nicht einmal sagen, daß sich die Leere ereignet z.B. als innerlich-geistige Realität.
Du schreibst: „Dies entspricht ziemlich genau dem was Wilber ausführt, daß nämlich die Erfahrung in der Tiefe einer Person bedarf. Die Buddhisten sprechen in dem Zusammenhang von der besonderen Bedeutung als Mensch inkarniert zu sein.“ Du schreibst, daß „die Erfahrung in der Tiefe einer Person bedarf“. Ich sage, daß nur die Person als ganzheitliches Wesen (nicht als rollenverhaftetes Teilwesen) die ganzheitliche Erfahrung ist. Die Wahrheit bedarf nicht der Person, sondern sie ist in ihrer Verwirklichung die ganze Person, die ganzheitliche Persönlichkeit in ihrer Einheit von Körper, Seele und Geist. Wilber spricht sinngemäß davon, daß die Person in das transpersonale Reich transzendiert werden muß. „Person“ an sich bedeutet für Wilber immer Rolle, Maske. Für mich gibt es kein transpersonales Reich als eine über der ganzen Person stehenden Erfahrung, sondern nur transzendente Prinzipien, oder anders ausgedrückt, überpersönliche Werte, die aber nur durch das Ereignis der ganzen Person existieren bzw. erfahrbar, d.h. real werden. Und erst durch die schöpferische Einheit der ganzen Person, des Gottmenschen, werden überpersönliche Werte wahr, sie werden fortlaufend neu geschaffen bzw. entstehen neu.
Du schreibst: „Die Wesensnatur ist in der Tat zu Lebzeiten erfahrbar.“, und ich ergänze: aber nicht als Leere, sondern als Fülle der Persönlichkeit.
Wenn ich schreibe: „Gott offenbart sich immer nur konkret, niemals unkonkret oder gar abstrakt.“ So meine ich nicht den „Stein am Wegesrand“. Mit „konkret“ meine ich ganz und gar nur die innerlich-geistige Realität Gottes. Der „Stein am Wegesrand“ ist nicht meine innerliche Begegnung mit Gott. Aber aus der innerlichen Begegnung und nur aus dieser heraus wird mir auch die Schönheit eines Steines offenbar. Der Stein selber ist ein Symbol, ein Entäußerung Gottes, aber nicht Gott selber, der sich primär innerlich offenbart. Was im Stein innerlich vor sich geht, kann niemand mit letzter Gewißheit sagen. Was in mir innerlich passiert, daß kann ich mit letzter Gewißheit spüren.
Du fragst: „Durchdringt uns diese Welt des Gottes oder nicht?“ und antwortest, „Wir finden sie in uns. Wo finden wir sie nicht?“ Ich sage: Wenn ich von meinem göttlich-menschlichen, reinen, wahrhaft ethischen Gewissen ausgehe, finde ich in unserer ethisch losgelösten, hochtechnisierten Zivilisation einen hohen Grad an Geist- bzw. Gottlosigkeit, die vom materiell-technisch orientierten Menschen praktiziert wird. Für die Gottlosigkeit in dieser Welt gibt es zahllose Beispiele! Das Hauptcharakteristikum der Gottlosigkeit in der westlichen Zivilisation besteht in der Egozentrik und damit verbunden im Individualismus. Der egozentrisch begrenzte Mensch setzt sich selbst als höchsten Wert und verhindert somit die schöpferische Nähe zu Gott. So gesehen kann man Gott in gewisser Weise „verfehlen“.
Weiterhin stelle ich mir Gott nicht als getrenntes Wesen vor. Ich betone immer wieder die göttlich-menschliche Einheit. Und die Liebe zu mir selbst, ist vor allem die Liebe zu der göttlich-menschlichen Tiefe in mir als mein Ich und Du in der Einheit des Wir. Und wir erkennen das Göttliche nur in der liebenden Gemeinschaft von Persönlichkeiten. Losgelöste, „reine“ Liebe gibt es für mich nicht – diese wäre hohl und leer. Liebe ist immer auch Beziehung meines Ich zum Anderen in mir, zum Du, und zum Du eines anderen Menschen zugleich, in welchem ich mich ebenbildlich wiedererkenne. Gott wird mir zuallererst und vor allem in der Liebe zu einem anderen Menschen offenbar. Liebe ist Überwindung der Einsamkeit.
Du zitierst mich: „Wir können als Menschen, solange wir leben, den scheinbaren Dualismus zwischen dem transzendenten Prinzip und der konkreten immanenten Offenbarung nie auflösen, es sei denn, wir erkennen ausschließlich einen absoluten Geist an, der sich als „radikale Leerheit“ offenbart, und degradieren im gleichen Atemzug den Menschen zu einer reinen Mittlerfunktion, die nicht wahrhaftig schöpferisch sein kann.“ Und Du fragst nun: „Was machst Du mit den armen Menschen, für die sich dieser Widerspruch auflöste?“ Ich sage: Dieser scheinbare Dualismus (dialektische Einheit von Immanenz und Transzendenz oder von Mensch und Gott; Näheres dazu in „B. kontra W.“) verschwindet vollständig mit unserem Tod, wenn wir uns in das Nichts hinein auflösen. Aber solange wir leben besteht gerade in diesem, ich betone, scheinbaren Dualismus ein Segen. Erst durch diesen scheinbaren Dualismus kann sich die Wahrheit schöpferisch in uns ereignen. Der Mensch selber wird zur lebendigen Wahrheit als Gottmensch.
Und weiter sagst Du: „Der Mensch ist kein Mittler.“ Genau das ist mein Reden! Aber Wilbers Philosophie läßt konsequent zu Ende gedacht die Schlußfolgerungen aufkommen, daß der Mensch nur ein bloßes Gefäß Gottes, des absoluten Geistes, der Leere ist. Diese leere Wahrheit ist schon ewig da, wie sie immer schon war - unbewegt. Das schöpferische Moment besteht allein in der Kenntnisnahme der ewigen Wahrheit. Aber in Wirklichkeit hat dies mit einem schöpferischen Moment nichts tun. Und gerade deshalb schreibe ich auch an der Kritik „Berdjajew kontra Wilber“. Und ich will warnen vor der Gefahr eines entpersönlichten Daseins, das sich auch aus sogenannten transzendentalen Meditationsübungen Wilberscher Art ergeben kann.
Du behauptest einfach, daß ich mich nicht an wörtliche Aussagen von Wilber halte. Ich frage mich nun, ob Du überhaupt meine Kritik (B. kontra W.) gelesen hast? Dort zitiere ich Wilber wörtlich und setze mich anschließend damit auseinander. Das alles kann ich natürlich in diesem Diskussionsforum nicht wiederholen. Und natürlich beschreibt Wilber nicht die Mittlerrolle des Menschen, sondern dies ist das Ergebnis meiner kritischen Auseinandersetzung. Ich mache Wilber den Vorwurf, daß bei ihm der ganzheitliche Mensch zur Mittlerfunktion degradiert wird. Wilber, könnte ich annehmen, würde versuchen, diesen Vorwurf von sich zu weisen.
Und eine letzte Bemerkung noch an dieser Stelle: Ja, ich kämpfe und ringe um meine Erkenntnis, um die Wahrheit. Das ist genau mein Weg, der mich erfüllt. Ich bekenne mich auch zum wahrhaft christlichen Glauben und dementsprechend fällt auch meine Begriffswahl aus. Aber ich führe hier keine Verabsolutierung des Dogmen-Systems der christlichen Kirchenlehre durch, d.h., ich betreibe keine theologische Wissenschaft. Das könnte und wollte ich auch gar nicht.
Herzliche Grüße Dirk Hübner
Ein paar Antworten von mir:
1. ... schrieb am 30.05.01:
(Nur eine kurze Bemerkung zur Leere. ich vermute Du scheiterst am Paradoxon der Wahrheit, wenn Du Fülle und Leere rational trennst. Wahr ist doch, sogar rational zuende gedacht, daß Fülle ohne Leere gar nicht möglich ist. Oderweitergedacht, daß beide dasselbe sind. Woraus ich den gewagten Schluß ziehe, daß Leere auch ohne Fülle nicht möglich ist.)
Hallo ...,
ich frage mich immer, kann sich die Fülle in der Leere ereignen oder wird in der innermenschlichen, sich konkret ereignenden Fülle die Leere zur gott-menschlichen Wahrheit erhoben, ist die Leere auf dieser Höhe nicht einfach nur pure, radikale Leere, sondern erfüllte Leere? Ersteres schließe ich aus! Die Leere (das Nichts) ist für mich die potentielle Wahrheit, nicht die verwirklichte. Der Sinn kann sich erst im Durchgang durch die Welt der Subjekt-Objekt-Spaltung verwirklichen. Er ist letzten Endes die subjektiv erlebte göttliche Freiheit des ganzen, schöpferischen Gottmenschen jenseits der Spaltung. Im Durchgang durch die phänomenale, objektivierte Welt sucht der Mensch nach Gott. Dieser Prozeß gestaltet sich zur Wahrheit hin immer schöpferisch. In Gott findet der Mensch schöpferisch die Überwindung der begrenzten Welt und seiner eigenen Begrenzungen und will sich und die Welt in Einklang mit Ihm bringen. In diesem Prozeß bereichern sich Gott und der Mensch gegenseitig. Dieser Prozeß findet nicht in der „Leere“ an sich statt. Für mich heißt es weiterhin, daß die sogenannte „Leere“ und die Fülle sich korrelativ entsprechen. Ich trenne nicht rational, sondern differenziere diese beiden jenseitigen Phänomene aus meiner innermenschlichen Erfahrung heraus.
2. von ..., 01.06.01:
(''Verweile in der Leere, umschließe alle Formen.“ (KW))
Hallo ...,
3. von ..., 01.06.01:
(Deine Begriffswahl erinnert mich sehr an meine Zeit in pietistischen Glaubensgemeinschaften. Das war vom Gemeinschaftsgefühl eine schöne Zeit, aber mit Wahrheitssuche hatte das nicht so viel zu tun. Wie überprüfst Du, daß es Dir wirklich um Wahrheit geht? Selbstbetrug ist uns Menschen leicht möglich. Beispielsweise glaubt jeder Fundamentalist, um Wahrheit zu ringen und nimmt sogar Verachtung Andersdenkender in kauf und trotzdem kann er weit weg sein von einersoliden Epistemologie.
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Und genau letzteres ist ein Fehler. Jetzt wird mir auch klar, warum Deine Texte so unlogisch und auch empirisch unklar sind. Ohne eine theologische bzw. geisteswissenschaftliche Epistemologie (im Sinne der drei Augen der Erkenntnis von Wilber) wird Deine Wahrheitssuche nicht glaubwürdig.)
Hallo ...,
mit den „drei Augen der Erkenntnis“ von Wilber habe ich mich auch schon auseinandergesetzt (siehe „B. kontra W.“ Teil 4).
Du empfindest meine Texte als unklar und unlogisch. Aus meiner inneren Erfahrung heraus sind sie es nicht, wobei ich immer um einen adäquaten Ausdruck ringe und nie zufrieden bin. Und Wahrheit ist für mich immer ein Prozeß, aber nicht nur in philosophischer Hinsicht, sondern Wahrheit umfaßt das ganze persönlich-universelle Leben. Letzten Endes kommt es meiner Meinung nach immer darauf an, woran man glaubt. Mein Glaube kommt zumindest ansatzweise in meiner Mail „Was ist Gott?“ zum Ausdruck, umfangreicher in „B. kontra W.“. Mein Glaube verwirklicht sich vor allem in meinen realen Beziehungen zu den Menschen meiner Umgebung und zu allem im weitesten Sinne.
Du fragst sinngemäß, wo der Gradmesser für die Wahrheit ist? Das ist schon ein entscheidender Punkt (siehe auch Teil 4). Aus Deiner Fragestellung entnehme ich nach meiner Interpretation, daß der Gradmesser der Wahrheit für Dich unabhängig vom Menschen existiert – aber vielleicht irre ich mich da ja auch. Die Wahrheit, und das habe ich nun schon sehr oft betont, ist kein absolutes, feststehendes Richtmaß, sie ereignet sich schöpferisch und ist mit freiheitlich-geistiger Arbeit verbunden. Der Prozeß zur Wahrheit hin beinhaltet immer auch ein Stück Risiko. Es ist nicht alles wahr, was uns als wahr erscheint, und wir können uns in die Lüge verrennen. Ich gebe Dir also recht: „Selbstbetrug ist uns Menschen leicht möglich.“ Und vor allem leichter als die Wahrheit. Wahrheit ist in der Tiefe Gott, der sich jedoch nur durch die schöpferische Anstrengung im einzelnen Menschen konkret offenbaren kann. Gott ist die Wahrheit meines wahrhaftigen Menschseins. Und wahr ist, was sich aus mir heraus schöpferisch-liebend in Beziehung setzt. Wahrheit ist die konkrete Liebe meines Ich zum Du im Wir. Und das Du ist der andere Mensch und letzten Endes Gott in mir. Wahrheit ist höchste ethische Intuition, ist reines Gewissen im wahrhaftigen Sinne. Wahrheit hat mit „Verachtung Andersdenkender“ oder mit irgendeinem Fundamentalismus nichts zu tun. Aus einer fundamentalistischen Geisteshaltung heraus wird sich die Wahrheit nicht ereignen, da Gott, der wesentlich in uns Existierende, mit weltlicher Machtausübung in keiner Weise in Verbindung gebracht werden kann. Das Machtprinzip, welchem der Mensch verfallen kann, ergibt sich aus der weltlich-begrenzten Notwendigkeit. Der machtorientierte Mensch will das Risiko ausschalten, will alles berechnen, beherrschen und wird grausam. Liebe ist ein völlig anderes Prinzip, durch die Liebe erst ereignet sich die Wahrheit - dies schöpferisch zu erkennen, darauf kommt es an. Wahrheit ist somit auch der Kampf um die Liebe, um die wahrhaftige Liebe des einzelnen Menschen in Gemeinschaft mit den anderen Menschen und in der Tiefe mit Gott zugleich. Es geht für den einzelnen Menschen um die Liebe in sich und aus sich heraus. Liebe ist immer auch Verantwortung für die sündige Welt und will ihre Verklärung, d.h. Vergeistigung. Die Erkenntnis, die in diesem Prozeß entsteht, geht weit über jede bloße „geisteswissenschaftliche Epistemologie“ hinaus, aber umfaßt auch diese ganzheitlich, aber nur insofern, solange diese lebendig, d.h. offen ist. Inwieweit der Mensch sich mit geisteswissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen muß, um das zu klären, ist hier nicht mein Anliegen. Ich glaube jedoch, daß sich der Mensch schon aus dem täglichen Leben heraus - in der Beziehung zu anderen Menschen und zur ganzen Welt – indirekt und direkt mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigt und beschäftigen muß. Hier kommt es auch darauf an, auf welcher Bewußtseinstufe dies geschieht (auf die sich Wilber auch bezieht), damit sich die Wahrheit integrativ ereignen kann und das spirituell-ganzheitlich. Ich behaupte also, daß erkenntnistheoretische Erwägungen ganz unabhängig von einem allgemein anerkannten Kanon stattfinden, ganz unabhängig von universitärer Gelehrsamkeit, die meines Erachtens sogar vieles verhindert. Ich frage mich schon eher, ob man nicht vor allem an der Wahrheitssuche der staatlich anerkannten geisteswissenschaftlichen Gelehrten zweifeln sollte, die vielen Zwängen ausgesetzt sind.
4. zu ... vom 03.06.01:
Hallo ...,
nach Berdjajew wurde im Laufe der Zeit der christliche Glauben sinngemäß vollgestopft mit menschlichen Unzulänglichkeiten, Begrenzungen, mit diesseitsverhafteten Vorstellungen identifiziert. Gott war/wurde der Allmächtige im schlechten, diesseitigen Sinne. Der „böse Mensch“ wurde verdammt zu ewigen Höllenqualen – ein grausames Prinzip. Der „gute Mensch“ war letzten Endes ein unbarmherziger Wächter für den „wahren Glauben“, ein Prädestinierter, der Abweichungen nicht dulden durfte. Von all dem ist uns bis heute vieles erhalten geblieben. Gehorsam gegenüber einer höheren (staatlichen, bürokratischen) Macht erniedrigt den Menschen fortlaufend. Ein neues christliches Bewußtsein beinhaltete dagegen eine Wendung zur Liebe hin, zur Verwirklichung des Prinzips der Liebe und damit verbunden der Persönlichkeit im Gegensatz zum Prinzip der Macht und der Unpersönlichkeit in unserem Leben. Der Veränderung in unserem Leben muß eine innermenschliche Veränderung und Neuorientierung vorangehen.
Als „transzendente Prinzipien“ bezeichne ich die Liebe, die Freiheit, die Wahrheit, das Leid, das Mitleid, der Geist im göttlichen Sinne, auch die Persönlichkeit. Diese Prinzipien existieren nicht losgelöst und verwirklichen sich wahrhaft im Menschen. Aber ich muß mich hier etwas korrigieren: „Transzendente Prinzipien“ sind nicht gleich „überpersönliche Werte“, Letzteres ist nach Berdjajew noch weiter gefaßt und umfaßt neben Gott auch die Gesellschaft, den Kosmos, die Gemeinschaft, höhere Werte und Ideen (siehe dazu Anfang 2. Teil „B. kontra W.“). Ich schließe mich dem an.
„Die Person als Maske“ zu überwinden, ist eine wichtige Forderung. In diesem Punkt hat Wilber Recht. Es geht aber nicht um die Auflösung der Person an sich, sondern um deren ganzheitliche Verwirklichung. Wenn die Maske fällt, öffne ich mich für die Wahrheit, deren Prinzip die göttlich-menschliche Persönlichkeit ist.
Für mich ist der Stein als Materie, als stoffliche Zusammensetzung, auf keinen Fall Gott. Aber in der Form des Steines offenbart sich uns Menschen dessen Schönheit, die wiederum göttlichen Ursprungs ist. So sehe ich das.
Es tut mir leid, ..., wenn mir nicht immer „eine Antwort zu entlocken“ ist. Einerseits ist es mir zeitlich oft nicht möglich, andererseits fühle auch mich überfordert, im einzelnen alles befriedigend beantworten zu wollen und zu können.
Viele Grüße Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 11.6.01)
Hallo ...,
weil Du meinst, ich hätte Dir nicht gut zugehört, muß ich mich noch einmal zu den Begriffen „Fülle“ und „Leere“ äußern. Ich lese gerade das Buch von Keiji Nishitani „Was ist Religion“ auf eine Empfehlung hin. Er ist, nach meiner bisherigen Einschätzung, in seiner Grundaussage mit Ken Wilber nahezu identisch. In diesem Buch finde ich sinngemäß genau Deine Aussage wieder. Du schreibst:
>Dafür muß mensch die Formen in ihrer ganzen >Fülle kennen, d.h. durch alle Entwicklungsstufen >gegangen sein. >Die Existenz besteht aus den 5 Skanda: >Körper, Empfindung, Wahrnehmung, Denken, >Wollen und Bewußtsein (Zen).
>D.h. also, sie zuerst für sich erschließen, alle! >sie dann als Leere zu erkennen und dann >ihre Fülle leben zu können.
Nishitani schreibt: „Form ist Leere“. Dabei sagt er, daß es gewissermaßen vor allem dieses „ist“ ist, welches zur absoluten Realität wird. Damit will er die absolute Einheit, nach ihm das „absolute Diesseits“, die absolute Mitte von „Form“ und „Leere“ und die Überwindung von Diesseits und Jenseits benennen. Aber was fällt nun alles unter den Begriff „Form“? Mit „Form“ sind nach ihm alle scheinbar „diesseitigen“ Phänomene gemeint – einschließlich alle Materialität und alle Subjektivität wie das Gefühl der Liebe und der Freiheit, die Persönlichkeit usw.. Und diese „Form“ kann wahrhaft nur als „Leere“ gelebt bzw. erlebt werden. „Wahrhafte“ Meditation öffnet uns danach für diese Wahrheit. Wahrheit ist danach transpersonal und umschließt die „Form“. „Leere“ ist danach „Fülle“ der „Form“ und umgekehrt. Die „Fülle“ der Form erschließt sich uns in dieser Hinsicht als Leere und ebenfalls umgekehrt. Ich sehe hier schon einen gewaltigen Unterschied zu dem, was ich unter „Fülle“ verstehe. K. Nishitani schreibt im oben genannten Buch auf Seite 179 (insel taschenbuch, 2001): „Sunyata (Leere) ist ja das Prinzip der Gleichheit, nach dem keinerlei Unterschiede fortbestehen sollen.“ Auf die Spitze getrieben behauptet er, daß sich die Realität im absoluten Sinne weder innen noch außen, weder im Diesseits noch im Jenseits, sondern im „absoluten Diesseits“ „konkret“ ereignet oder wie auch immer. Das ist sozusagen der Weisheit letzter Schluß. Was mir in diesem Buch und auch bei Wilber auffällt, das sind die gedanklichen Aussagen, die LETZTEN ENDES keinen konkret zu benennenden Bezug besitzen, obwohl beide Autoren dies immer wieder behaupten. Alles wird zur „Leere“ hin beliebig. Was wird aus mir, wenn ich die Fülle des/der Geliebten nur noch als unterschiedslose Gleichheit bzw. „Leere“ begreife oder gar erlebe? Spätestens hier hört der Glaube an den Buddhismus für mich auf! Dieser buddhistische Ansatz ist rational erklärbar, aber ich kann ihn nicht emotional-ganzheitlich, d.h. wahrhaftig real nachvollziehen. Das Phänomen der konkreten Liebe wird zur „Leere“, zur absoluten Unterschiedslosigkeit, Gleichheit und Bedeutungslosigkeit hin aufgelöst. Alles wird vom Standpunkt der „Leere“ aus bedeutungslos und nach Wilber ungeschehen gemacht („Das Wahre, Schöne, Gute“, S. 424). Und von diesem Standpunkt aus ist Nishitanis und Wilbers Forderung für das ethische Wirken des Menschen in der Welt der Phänomene in keiner Weise plausibel. Diese Forderung widerspricht bei genauerer Betrachtung dem Prinzip „Form ist Leere“ und umgekehrt. Für diese Forderung fehlt vor allem die Höhe der Fülle, wie ich sie begreife, der Wahrheit der fortlaufend zu realisierenden göttlich-menschlichen Persönlichkeit als ethisch umwertendes, existentielles Zentrum. Meine Formel heißt deshalb: „Leere“ (das Nichts) realisiert sich in der Fülle. „Leere“ ist nicht gleich Fülle. Und weiterhin: Das Nichts wird zur Fülle hin differenziert, um in der Fülle erlebte Wahrheit zu werden, die ich als konkrete Liebe, als wahrhaftig-ganzheitliche Beziehung, als liebende Gemeinschaft erfahre, welche den freien Geist gleichermaßen einschließt. Unkonkrete Liebe ist Nichts, sie existiert als solche nicht, da sie als solche kein existentielles Zentrum besitzt. Das Nichts muß sich differenzieren, um in Erscheinung treten zu können (siehe auch „B. kontra W.“ oder „Was ist Gott?“). Und die Fülle der Persönlichkeit ist vor allem ein einzigartiges, fortlaufend sich veränderndes und erweiterndes, mystisches Ereignis. Die Persönlichkeit ist die wandelbare und paradoxerweise dennoch die immer wiederzuerkennende, d.h. wandellose höchste Realität im Menschen. Dieses Paradoxon bildet nicht rational, sondern nur existentiell-fühlbar eine Einheit. Höchste und zugleich tiefste Erkenntnis ereignet sich vor allem emotional als Liebe zum konkret Geliebten hin in liebender Gemeinschaft.
Du schriebst:
>Hihi, transzendente Prinzipien, toll.
>Ich hoffe, du verwechselst hier nicht transzendent mit transpersonal. >Transpersonal gibt es NUR die Praxis und daraus entstehen bestimmt >keine Prinzipien.
Die Realität einer transpersonalen Entwicklungsstufe des Menschen zweifle ich an. Von Transpersonalität spricht übrigens auch Nishitani in dem oben genannten Buch.
Für mich sind transzendente Prinzipien dynamische Prinzipien, die durch den und im Menschen wirksam werden. Diese Prinzipien stellen keine hierarchische Stufe im diesseits-evolutionistischen Sinne dar. Sie ereignen sich als höchste jenseitig-ethische Wirkprinzipien, durch die wir in Beziehung treten zu allem und im höchsten Sinne zu Gott. In die Beziehung fließt auch der Körper, die Seele und das Bewußtsein ein, diese drei Elemente erfahren jedoch nur durch die transzendenten Prinzipien ihre ganzheitliche Verwirklichung im Menschen als Gottmensch. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf Nikolai Berdjajew verweisen. Zwei Bücher sind zur Zeit auf dem Markt erhältlich.
>Frage: meditierst du? In welche Richtung zeigt deine Intuition?
>Wirkliche transpersonale Praxis ist laut Wilber: >''Yoga, meditative Schulung, experimentelle Methodologie zur >Reproduktion der transpersonalen Erkenntnisse und Intuitionen >ihrer Begründer im Bewußtsein''. >Praktizierst du nicht, bist du laut Wilber ''nur'' ein ''Idealist mit >einer aufgewärmten Repräsentationsphilosopie''. >''Du kartographierst die Welt bloß, ohne die Techniken zur >Veränderung der Kartographen auszuführen.'' >''Du stellst keine Möglichkeit bereit, transpersonales Bewußtsein in >einer übenden Gemeinschaft zu reproduzieren, keine Möglichkeit, >ein tieferes Selbst (Ich oder Buddha) in einer tieferen Gemeinschaft >(Wir oder Sangha) konkret zu enthüllen und dadurch eine tiefere >Wahrheit auszudrücken (Es oder Dharma)''.
>Tiefe Intuitionen sind die Haupttriebkräfte für den transpersonalen Bereich. >Aber auch für die idealistische Bewegung. Aber hier werden sie >''fast ausschließlich in Begriffen der visionären oder Schau-Logik ausgedrückt...''
Ich erinnere mich daran, daß ich mich schon als Kind spontan in eine Art meditative Versunkenheit fallen ließ. Ich erinnere mich daran, wie ich etwa als 4- oder 5jähriger Junge (ich ging noch nicht zur Schule) beim Anblick der untergehenden Sommersonne eine tiefe Freude und zugleich ein tiefes Leid in mir aufsteigen fühlte. Ich fühlte die ganze Welt in mir. Diese Momente erlebe ich bis heute immer wieder – spontan, mitten im und aus dem Leben heraus. Und sie prägen mich. In diesen Momenten komme ich zur Ruhe, jedoch zur Ruhe, die sich entleert von der Hast dieser Welt hin zur bewegten Fülle, zum Wesentlichen der anderen. Es sind Momente der Freude aus dem Weinen heraus. Alles kommt zusammen für einen Augenblick der Wahrheit, der Ewigkeit. In diesen Momenten finde ich Kraft in meinem Wirken, welches ich von den Momenten nicht trennen kann. Ohne die Geschichte meines Wirkens wäre meine Ruhe fade und leer! Wahrhaft alles erlebe ich in meiner konkreten Liebe, in die hinein sich alles, mein ganzes Leben verdichtet.
Und wer hier ein Idealist ist, das sei dahingestellt.
Vorgegebene meditative Techniken bzw. Praktiken, „Instrumentelle Injunktionen“ nach Wilber, lehne ich ab, weil jeder Mensch seinen einzigartigen, unwiederholbaren Weg gehen und finden muß. Die Wahrheit ist nicht reproduzierbar, sie ist ewig neu, sie erfordert den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit. Und diese Ganzheitlichkeit ist kein Geschenk und kein Lohn, sie ist die Wahrheit in ihrem göttlich-menschlichen Wirken nach innen und nach außen.
Hier noch einige provozierende Überlegungen. Ich hatte letztens im Gespräch mit meiner Freundin die Frage aufgeworfen, warum der Buddhismus gerade im Westen auf solch eine große Resonanz stößt. Und wir kamen zu dem Schluß, daß insbesondere der Buddhismus Wilberscher Art (oder eines Nishitanis) der Unpersönlichkeit unserer westlich „modernen“ Lebensweise entspricht und aus diesem Grunde die Problematik unseres mehr oder weniger entpersönlichten und zugleich auch individualistischen, egozentrischen Lebens, was keinen Widerspruch darstellt, verkennt. Die Bedeutung des einzelnen Menschen löst sich in dieser Art Buddhismus konsequent zu Ende gedacht auf. Und das fällt mir bei Wilber und auch bei Nishitani auf: Ihre Ethik ist dürftig. Wahrhaft christliche Ethik sieht anders aus (siehe Berdjajew). Darüber hinaus sehe ich im Buddhismus eines Wilbers oder Nishitanis einen Ansatz zur Geistlosigkeit, d.h. Gottlosigkeit. Ich stelle diese Überlegungen als Anstoß in den Raum.
Viele Grüße Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 16.6.01)
Lieber ...,
ich schrieb:
''Für mich ist der Stein als Materie, als stoffliche Zusammensetzung, auf keinen Fall Gott. Aber in der Form des Steines offenbart sich uns Menschen dessen Schönheit, die wiederum göttlichen Ursprungs ist. So sehe ich das.''
Du fragst:
>Gott gab also die Form, die Schönheit Quasi von aussen er ist also nicht die Materie selber. ? richtig ?<
Ich finde darauf keine leichte Antwort und sehe es weiterhin so: Um Schönheit wahrnehmen zu können, bedarf es des Menschen. Die Frage, inwieweit Tiere dazu in der Lage sind, wäre sehr nachdenkenswert. Durch die Schönheit offenbart sich in uns Menschen das Göttliche. Und den Anstoß zu dieser Schönheit finden wir z.B. auch in der Form des Steines. Die Schönheit ist somit das innere Moment, welches durch die Form des Steines hervorgerufen wird. Die Form an sich, losgelöst, hat keine tiefere Bedeutung, die Form existiert nicht als solche, wie wir als Menschen sie wahrzunehmen in der Lage sind, sie existiert nicht als Schönheit außerhalb der Wechselbeziehung von Erkennendem und zu Erkennendem. Diese Wechselbeziehung ist vom Menschen ausgehend schöpferisch und offenbart uns Schönheit. Man kann aus diesen Überlegungen heraus nicht sagen, daß Gott die Form oder die Schönheit der Form von außen gab. Die Schönheit der Form ist immer ein innerer, ein schöpferischer Moment. Die äußere Form des Steines wird vergehen und eine neue Form entsteht, welche wieder Schönheit in uns hervorrufen kann. Die Schönheit wiederum ist ewig im göttlichen, aber nicht im zeitlichen Sinne. Das Entstehen von Formen läßt sich logisch nachvollziehen, der Sinn der Form jedoch ist ein Geheimnis, welches sich dem Menschen innerlich als Schönheit offenbart. Natürlich ist auch die Form des Zahnrades sinnvoll in technischer Hinsicht, aber dieser Sinn ist begrenzt und hat mit dem göttlichen Sinn nichts gemein, der unendlich tiefer bzw. höher liegt und sich als eine völlig andere, jenseitige Dimension letzten Endes im Menschen ereignet. Materie an sich ist nicht Gott, das wäre eine pantheistische Vorstellung.
Du zitierst mich und schreibst:
>''Vorgegebene meditative Techniken bzw. Praktiken, „Instrumentelle Injunktionen'' nach Wilber, lehne ich ab, weil jeder Mensch seinen einzigartigen, unwiederholbaren Weg gehen und finden muß. Die Wahrheit ist nicht reproduzierbar, sie ist ewig neu,....''
Das in der Aussage ''Wahrheit ist nicht reproduzierbar'' einige philosophische Abgründe lauern ist dir sicherlich auch klar, na ich glaube ich verstehe aber was du meinst. Oder doch nicht? Genaugenommen heist ja der Abschitt: Die Antwort auf die Frage ob durch meditative Techniken etwas Wesentliches erkannt werden kann wechselt ständig , mal ja mal nein .(''Die Wahrheit ist ewig neu'') Nun erscheint es mir aber recht schwierig einzusehen warum ein so wesentliches und fundamentales Faktum des Kosmos einer solchen Dynamik unterliegen soll. Bleiben doch auch Komplexere Dinge erfreulich konstant.<
Ich sehe es so: Zur Wahrheit hin vereinigen sich letzten Endes im Menschen die Freiheit, der Geist, Leid und Mitleid, die Liebe, Gott ganzheitlich. Und als Träger der Ganzheitlichkeit sehe ich den Menschen immer als irdisches und wesentlich göttliches und zugleich geschichtliches Wesen. Ganzheitlichkeit erlebt der einzelne Mensch in der wahrnehmbaren Fülle seiner Persönlichkeit. Ewig ist die Freiheit, ewig ist der Geist, ist Gott, ewig ist die Liebe ( alles im außerzeitlichen Sinne) – das sind für mich die Konstanten, die jedoch niemals losgelöst existieren, sondern sich in jedem einzelnen Menschen in unwiederholbarer Weise immer wieder neu ereignen. So gesehen ist Wahrheit nicht reproduzierbar. Einzigartig und unwiederholbar ist die Persönlichkeit, die sich in uns jedoch immer dynamisch ereignet. Und gerade weil sie dynamisch ist, ist sie immer wieder neu und intensiv. Wahrheit ist für mich vor allem kein Faktum. Und für Wilber ist Kosmos nicht gleich K3/4smos. Er unterscheidet zwischen objektiven, d.h. äußeren Kosmos und dem inneren K3/4smos. Aber ich sehe in bezug auf beide keinen Stillstand. Und das Komplexeste, für mich die Persönlichkeit, ist das wahrhaft Konstanteste, das ist wahr, aber sie ist zugleich der bewegteste Wesenszug des Menschen. Das Ereignis der Persönlichkeit ist für mich das wahrhaftigste Wunder dieser, der ganzen Welt.
Du zitierst mich und schreibst:
>'' daß insbesondere der Buddhismus ...der Unpersönlichkeit unserer westlich „modernen'' Lebensweise entspricht und aus diesem Grunde die Problematik unseres mehr oder weniger entpersönlichten und zugleich auch individualistischen, egozentrischen Lebens ... verkennt.''
Wenn der Buddhismus irgentwo die Problematik des Egozentrismuss verkennt, so ist der Lehrer dort mit Sicherheit ein Sektenbeauftragter der Kirche in Ziviel. Nein aber im Ernst : Deine Abneigung gegen die durchschnittliche Gemütsverfassung ist mir ja höchst sympathisch aber Du bist da ,mit einigen Anderen in dieser Liste, recht schnell bei rell.- spirituellen Bezügen , wo ich doch lieber mal nen Blick auf die politische Ebene werfen würde.<
Ich trenne nicht zwischen religiösen Grundhaltungen und der entsprechenden Lebensweise. Das gehört für mich immer zusammen.
Du schreibst zum Schluß:
> aber hir wie da beginnt sich das un(Gott-)menschliche Marktprinzip mit neuer Härte durchzusätzen.<
Genau das finde ich auch sehr schlimm. Und genau um die Überwindung auch dieser „Härte“ geht es mir in meinen Auseinandersetzungen – direkt und indirekt. Und dabei steht für mich die innere Verfassung des Menschen im Vordergrund.
Sei herzlich gegrüßt Dirk (H)
Lieber ...,
hier kurz und offen meine persönliche Sicht zu dem von Ihnen empfohlenen Buch: Keiji Nishitani, „Was ist Religion?“.
Zunächst einmal denke ich, daß K. Wilber mit seiner Buddhismusinterpretation nicht im Widerspruch zu dem oben genannten Autor steht. Meine Kritik an K. Wilbers Philosophie ist somit auch eine indirekte Kritik an der Philosophie Nishitanis.
Hier einige meiner wesentlichen Kritikpunkte an dem oben genannten Buch:
Nishitani versteht Liebe passiv (nichtunterscheidende Liebe) und nicht als Aufgabe hin zur Realisierung der Persönlichkeit, als schöpferischen Akt der Persönlichkeit. Er behauptet, daß das Prinzip der Person an sich über einen Selbstzweck nicht hinausreicht. Er verneint somit eine ganzheitliche Verwirklichung der Person, die als höchstes einigendes Prinzip die sogenannte „Leere“ in sich umschließt. Für Nishitani wird die Person durch die „Leere“ genichtet – die entsprechende Erörterung dieser Ansicht kann ich für mich nicht annehmen und widerspricht auch meinen Erfahrungen und meinem Leben. Zu einer wahrhaften Auseinandersetzung über die Liebe in ihrer eigentlichen christlichen Tiefe und dem mit der Liebe wesentlich verbundenen Prinzip der Persönlichkeit ist Nishitani nicht in der Lage – ganz im Gegensatz zu N. Berdjajew. Nishitani kommt auf Seite 377 (insel taschenbuch 2001) zu folgender widersprüchlichen Aussage: „Für das Sein-in-der-Welt, worauf es uns bei unseren jetzigen Überlegungen ankommt, erweist sich die Einsamkeit deswegen als ganz und gar abgründig, weil die Selbst-Abkapselung gerade im Horizont innigster Wechselbeziehung zu anderen Seienden geschieht.“ - Ich frage mich, wo und wie hat dieser Mann gelebt?! Was versteht er unter „innigster Wechselbeziehung“? Wahrhaft innigste Wechselbeziehung verlagert Nishitani ganz auf das „Feld der Leere“. Wie sich jedoch diese Art Innigkeit zeigt, wird auch in dem oben genannten Buch nicht wirklich nachvollziehbar angedeutet. In diesem Zusammenhang wirkt auch der Begriff der „Realität als Unendlichkeitserfahrung“ (Seite 279 und an anderen Stellen) im Höchstmaß verschwommen; wahrhafte Realität als innermenschliche Erfahrung (Liebe, Gott, Fülle, Leid und Freude - Persönlichkeit) wird letzten Endes verneint. Auch die Art der Meditation, die Nishitani anführt, ereignet sich nicht aus dem Leben heraus, sondern ist für mein Dafürhalten eine Verhinderung inneren Lebens zum Nichtsein hin, zum Nichtsein, welches mit dem Begriff der „Leere“ umschrieben wird. Nishitani erörtert den Begriff der „Leere“ äußerst subtil, welcher dadurch jedoch keineswegs realer wird. Aus seiner Leerheits-Philosophie heraus wirkt auch die entsprechende Ethik flach und nicht wirklich überzeugend. Wahrhafte Verantwortung (z.B. im christlichen Sinne) kann diese Art Philosophie nicht erfassen. Und ein Sinn der Geschichte ist für ihn letzten Endes nicht vorhanden, was von seinem Standpunkt aus verständlich ist, da er die Persönlichkeit als ganzheitliches Zentrum nicht anerkennt. Weiterhin schrieb Nishitani sinngemäß im oben genannten Buch (S. 311), daß dem Buddhismus ein umfassenderes Geschichtsbewußtsein fehlt. Er diskutiert jedoch nicht die Konsequenzen, die sich teilweise aus dieser Tatsache ergeben. Nach meiner Einschätzung kann aber gerade aus diesem Grunde eine tiefgründige eschatologische Metaphysik (siehe Berdjajew) vom Standpunkt des Buddhismus aus nicht entwickelt werden.
Was mir insgesamt auffiel: Da wir das Nichts an sich nur spekulativ erfassen können (das ist zumindest meine unerschütterliche Auffassung), fällt somit auch Nishitanis „Philosophie“ bemerkenswert spekulativ aus. Darin liegt vielleicht sogar die entscheidende Teilwahrheit seines Ansatzes. Wir können uns hinsichtlich der „Leere“ oder des Nichts nicht festlegen. Aber von unserer erlebten Fülle her, die das Nichts einschließt, ist ein Denken über das Nichts möglich. Und wenn auch immer wieder gesagt wird, daß man das Nichts mit der buddhistischen Leere nicht gleichsetzen darf, so gilt das von meinem Standpunkt aus nur deshalb, weil der buddhistische Begriff der Leere eine unangemessene Uminterpretation des Nichts darstellt.
...
Viele Grüße Ihr Dirk Hübner
(geschrieben am 8.8.01)
Hallo ...,
ich werde mal kurz Schritt für Schritt Deinen Text durchgehen und meine Ansichten formulieren:
Ich sehe den Unterschied zwischen dem Sein und dem Seienden anders: Sein impliziert vorrangig Wandellosigkeit, das Seiende dagegen Bewegung. Sein ist für mich vor allem etwas Festgelegtes, Wandelloses, und Wilbers „GEIST“ ist genau so gemeint, da gebe ich Dir recht. Sein kann natürlich immer statisch oder dynamisch ausgelegt werden. Der Begriff des Seins ist nicht eindeutig. Für mich gibt es nur den subjektiv Seienden, nicht das Seiende als ein Objekt. Der Seiende ist der Existierende, das Subjekt des Gewahrens. Das ist ein inneres Ereignis. Ich finde, man kann die materielle Welt und den Gedanken nicht in einen Topf werfen. Die Musik, die ich höre, höre ich innerlich, subjektiv. Äußerlich-materiell sind die entsprechenden Schallwellen. Die Objekte, die ich gewahre, gewahre ich subjektiv, niemals als Objekt selber. Objekte dringen von außen in mich ein, sie stehen mir aber gegenüber und befinden sich nicht als materielle Dinge in mir. Zu den Dingen kann ich mich nur äußerlich in ein Verhältnis setzen, aber niemals innerlich direkt. Innerlich gewahre ich immer irgendeine subjektive Form der Dinge als Form des Geistes. Aber im Verhältnis zu Gott gewahre ich die subjektiv-existentielle Wahrheit, sofern ich zu einem schöpferischen Verhältnis zu Gott in der Lage bin – für die Offenbarung der Gnade Gottes gibt es keine Garantien. Das verlangt von uns, daß wir uns für unseren wahren menschlichen Kern freimachen, was nicht immer im Sinne der notwendigen Welt, der Welt der funktionellen Pflichterfüllung ist und die Sache nicht gerade leicht macht, weshalb Gott zu meiden oft leichter ist, als Ihn gemeinschaftlich in sich im Widerspruch zur Welt zu verwirklichen. Ich glaube, daß wir zu keinem Ergebnis kommen, solange wir immer wieder versuchen, das Seiende außerhalb vom Menschen zu suchen. Außerhalb von uns irgendeine Art höherer, aber vor allem abstrakte Existenz zu vermuten, und ist sie noch so subtil, führt in die Sackgasse. An dieser Stelle kann ich Dich auf meine Fortsetzung (Teil5 – Berdjajew kontra Wilber – meine Homepage) verweisen. Der wahrhaft christliche Gott ist nicht gleich Brahman (als Weltseele, die alles schafft und wieder in sich zurücknimmt). Denn Brahman war nach dem Hinduismus schon vor dem Menschen da, Gott nicht. Gott ist nur im Menschen wirksam als unser geistiger Wesensgrund. Man muß schon einen Unterschied machen zwischen Evolution in der Natur und der Entwicklung im Menschen. Der Mensch ist innerlich frei zu schaffen aus seinem Verhältnis zu seinem göttlichen Wesenskern. Evolution ist vorrangig Unvermeidlichkeit, Notwendigkeit in der Natur. Entwicklung im Menschen ist Schaffen, ist Realisierung der Persönlichkeit, wozu aber keine Notwendigkeit besteht. Evolution ist die Wirksamkeit des Geistes, Gottes als Sinn (und nicht als geistige Person) in der Natur. Evolution schreitet mit Notwendigkeit voran, die innermenschliche Entwicklung mit Freiheit.
Wenn Du schreibst, daß Sein am Anfang reine Transparenz ist, woher nimmst Du diese Erkenntnis? Hast Du sie selbst erfahren oder nimmst Du diese Erkenntnis spekulativ an, durch Denken? Das am Anfang reine Transparenz vorhanden sein soll kann ich nur dahingehend bestätigen, daß diese Transparenz von niemanden und nichts direkt wahrgenommen werden kann, da sie das Nichts selber ist. Zum Nichts haben wir als Menschen keinen direkten sondern nur einen spekulativen Zugang. Aber die Voraussetzung eines Nichts (gleich unergründliche Freiheit, Ungrund) kann nur angenommen werden, da es auch eine Welt der Differenz, des „Seins“ im materiellen und existentiellen Sinne gibt (siehe meine Fortsetzung Teil5). Aber hier muß ich deutlich Unterstreichen, daß existentielle Wahrheit immer differenzierte Einheit des Menschen mit Gott ist. Und auch Selbsterkenntnis bedarf immer des Vorhandenseins eines von der Person getragenen Bewußtseins, einer bewußten Persönlichkeit, die sich erkennt, aber darüber habe ich in meiner Kritik schon ausführlich geschrieben. Meine Persönlichkeit ist einzigartig wie Deine und jede andere auch. Mit der unzähligen Anzahl mir möglicher Persönlichkeiten kann ich nur mein niederes Rollenbewußtsein beschreiben, welches in der Tat in sich gefangen ist. Aber Rollenbewußtsein hat nichts mehr mit Persönlichkeit zu tun. Das Feld des Unbenennbaren, welches Du hinter oder über der Persönlichkeit spekulativ vermutest, ist immer das völlig eigenschaftslose Nichts und ist vollkommen unpersönlich. In dieser Frage habe ich auch mit Heidegger so meine Probleme, dessen Philosophie eben letztlich unverständlich bleiben muß, da er immer nur wieder den Weg des „Nichtens“ behauptet und von diesem Standpunkt aus keine Antworten hinsichtlich unserer Welt geben kann. Natürlich hat sich auch Heidegger zu unserer Welt geäußert, aber aus der Quintessenz seiner Philosophie heraus hätte er das eigentlich gar nicht können. Der „Große Tod“, das absolute Einssein hat mit dem Symbol der Kreuzigung nichts zu tun. Der Unterschied ist die Verantwortungslosigkeit gegenüber dieser Welt, die der „Große Tod“ nach sich zieht. Die Kreuzigung ist immer auch die Last des Leidens in dieser Welt, aber des Leidens überhaupt, durch welches wir die Welt in uns aufnehmen und an ihrer Verwirklichung mitwirken. Die Kreuzigung ist letzten Endes das Wunder einer Person, Jesus Christus, der alles in sich auf einzigartige Weise vereinen kann. Und in dieser Hinsicht verstehe ich mich und alle Menschen letztlich christlich. Es gibt gar keinen ursächlichen Schöpfergott, denn ursächlich kann nur unergründliche Freiheit als ungeschaffener Geist bzw. die Gottheit oder das Nichts (spekulativ-intuitiv) angenommen werden. Geschaffen, geschöpft wird erst in einer differenzierten Welt allerdings aus einem nichtkausalen, unergründlichen Nichts heraus. Das Nichts für sich schafft nichts. Zum Absoluten habe ich mich auch im 5. Teil (Berdjajew kontra Wilber) geäußert.
Es gibt keine höchste Persönlichkeit. Das hierarchische Prinzip entfällt für die Persönlichkeit an sich! Entweder Du hast eine Persönlichkeit oder nicht. Sie kann im Höchstfall halbverdeckt, zerrissen bzw. nicht voll realisiert sein, sie ist jedoch immer einzigartig und unverwechselbar dynamisch in Dir wahrnehmbar. Bei Wilber entfällt das hierarchische Prinzip beim absoluten GEIST. Die letztere Auffassung steht im wesentlichen Gegensatz zu meiner. Und die höchste Freiheit ist nicht die Freiheit, zu wählen, sondern die Freiheit, nachdem man die Wahl getroffen hat – unmittelbar. Die gewählte Freiheit ist eine schöpferisch-dynamische Fülle des Lebens in mir. Bewegung ist das grundlegenste Prinzip.
Ich erhebe mit dieser Antwort natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und erschöpfender Darlegung. Ich denke mal, so wie sich mir Deine Gedanken darstellen, gibt es doch in unseren Anschauungen grundsätzliche Differenzen. Letzten Endes ist es auch immer eine Frage des eigenen Glaubens.
Mit freundlichen Grüßen Dirk
(Meine Antwort auf Reaktion vom 10.8.01)
Hallo ...,
doch habe ich einen direkten Zugang, aber nicht zu Deinem konkreten Faktenwissen, zu Deinen individuellen Gedanken welcher Art auch immer. Darüber kannst Du mir was erzählen. Aber über dieses Faktenwissen hinaus tragen wir - Du und ich und alle - mehr oder weniger eine Intuition in uns, die das, was wir uns erzählen, bewerten. Ansonsten könntest Du mir noch so viel erzählen, ich könnte damit nichts anfangen. Und diese Intuition meine ich, die mir partizipierend einen direkten Zugang zu Dir verschafft. Wir kommunizieren hier im Forum nur über das Medium Sprache und das verhindert natürlich einen direkten Zugang zum ganzen Menschen, wenn dieser vor mir steht und ich ihn als ganzen wahrnehmen kann (Mimik, Gestik, die Sprechweise usw.). Und wenn ein ganzer Mensch vor mir steht, sehe ich ihn von innen heraus immer auch ganz. Ich sehe den Menschen niemals rein intellektuell-sezierend, auf diese Weise würde er mir als ganzer und vor allem innerlicher Mensch unverständlich bleiben. Schon an der Art und Weise wie Du schreibst, kann ich unmittelbar mehr erkennen als die reinen Informationen hergeben. Manchmal erkennen wir eben auch Hintergründe, die wir nicht direkt aussprechen wollen oder können. Und oft ist das, was wir nicht aussprechen viel wesentlicher als die reine Information und sagt mir über den entsprechenden Menschen mehr Wahres.
Ich meine, die wahre Beziehung realisiert der Mensch über Gott. Über Gott, über die Liebe als höchste, wertende Intuition, finde ich den direkten Zugang zu einem anderen Menschen. Das werde ich unmittelbar in der nächsten Fortsetzung meiner Kritik näher beleuchten.
Und zwischen Interpretation und unmittelbar wertender Intuition besteht ein gewaltiger Unterschied, genauso wie zwischen Kommunikation und Partizipation. Oder hältst Du die „Liebe auf den ersten Blick“ für eine Illusion? Für mich ist sie eine real sich ereignende wahrhaftige Erfahrung in unserem Leben, durch welche wir unerwartet und plötzlich einen unmittelbaren Zugang zu der unermeßlichen Tiefe eines anderen Menschen finden.
Überhaupt halte ich die naturwissenschaftliche Erkenntnis nur für sekundär. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist vermittelte und keine intuitiv-direkte Erkenntnis, die immer nur der innerliche Mensch vollziehen kann, auch wenn diese innerliche Erkenntnis immer gemeinschaftlich ist. Die Liebe setzt immer den anderen voraus. Durch die Liebe vollziehe ich die Einheit von Ich und Du im Wir – und dies geschieht im individuellen Menschen konkret. Im inneren Menschen ereignet sich höchste Wahrheit, diese ist die erlebte Fülle des Lebens und befähigt mich zum freien, direkten Zugang zur Welt überhaupt und zum Menschen insbesondere. Vermittelte Wahrheit (Naturwissenschaft, aber auch Geisteswissenschaften) ist und bleibt Teilwahrheit, daran gibt es für mich nichts zu rütteln. Wissenschaft integriert nur im rationalen, aber niemals im spirituellen Sinne. Wissenschaft hat dennoch einen positiven Wert, sie ermöglicht uns ein Zurechtfinden in der Welt der Objekte, worauf wir in keiner Weise verzichten können.
Das soll erst einmal genügen.
Grüße DirkH.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 22.8.01)
Hallo ...,
Du sagst:
>>Diese Absolute Wahrheit als „Kennbares“, gibt es nicht. Unser Begriffsvermögen ist nicht imstande alle Elemente unseres Begriffsvermögens zu übersehen.<<
In diesem Punkt stimme ich Dir zu.
>>Für die Erste Ursache liegt es anders. Auf dieser Ebene gibt es nichts Unwares. Und also auch kein Wahres!!<<
>>Mann könnte sagen: Wahr ist das Sein, das pure Sein. Wenn wir uns das pure Sein vergegenwärtigen können, sind wir in der Wahrheit ... aber nur, weil es dort keine Unwahrheit gibt.<<
Ich frage Dich, hast Du Dir das pure Sein schon einmal vergegenwärtig, oder ist es nur Dein Gedankenspiel, Deine Spekulation? Und: Was verbindest Du mit dem Begriff „Sein“, ein meditatives Aufgelöstsein, leer werden, um nur noch Betrachter als das Betrachtete zu sein oder die fortwährende Offenbarung der Lebendigkeit, der inneren Bewegtheit und Fülle in Dir, der Zuwendung zu anderen Menschen und zum Leben auf dieser Welt überhaupt? Letzteres setzt aber voraus, daß man einen Dialog, eine Zwei-Einheit anerkennt, während ersteres die absolute Einheit, d.h. „nicht-zwei“ (Wilber: Eros, Kosmos...), behauptet. Das sind zwei grundverschiedene Herangehensweisen. Ich bezweifle, daß es ein pures Sein als ein „leeres Zeugen-Gewahrsein“ gibt, daß wir dieses pure Sein vergegenwärtigen können. Und ich denke, dieses pure Sein ist ganz und gar das Konstrukt unseres Denkens, reine Ontologie.
Und: Wenn Du behauptest, daß das pure Sein wahr ist, weil es dort keine Unwahrheit gibt, so frage ich mich, in welcher Hinsicht es dann wahr ist? Als etwas Absolutes, das über alles erhaben schwebt und nichts an sich heranläßt und nichts anderes duldet, außer sich selbst? Und selbst wenn alles schon pures Sein ist und wir es nur nicht wahrhaben wollen, warum gibt es dann überhaupt eine Intuition für Wahrheit und Unwahrheit? Oder ist diese Intuition auch nur Illusion, da ja alles gleichermaßen weder wahr noch unwahr ist? Und wenn alles vom Grunde her weder wahr noch unwahr ist, so frage ich mich, weshalb überhaupt irgend etwas in Erscheinung treten kann, wenn es nur diese erste Ursache als Ausgangspunkt und Ziel gibt? Wie kann aus einem Nichts etwas hervorgehen, wenn wiederum dieses Nichts der Maßstab ist, in den alles zurückkehren muß? Ist das Nichts bzw. die „Leere“ die wahrhaftige Richtung der Bewegung der Erscheinungen? Aber wenn auch dieses Nichts kein Maßstab ist, weil ja dieses Nichts (das weder wahr noch unwahr ist) kein Maßstab sein kann, ist jede Erscheinung in dieser Welt absolut haltlos und unkoordiniert und völlig unerklärlich. Und durch die Behauptung (z.B. von Wilber), daß Antworten auf all diese Fragen von unserem Denken her nicht möglich sind, weil nur die Erleuchtung uns eine völlig wortlose Antwort geben kann, wird natürlich jeder dazu verpflichtet sein, erst einmal den Zustand der Erleuchtung zu erreichen. Und wenn er dann erleuchtet ist, sind sowieso alle Fragen beantwortet und wir müssen uns nicht mehr mit all den lästigen Widersprüchen unseres konstruierten Denkens auseinandersetzen. Es wird hier ein totaler Bruch zwischen der Wahrheit an sich und den relativen Wahrheiten vorgenommen. Wenn man daran glauben will, bitte.
...
Gruß Dirk H.
(Bemerkung zu dieser Reaktion: Für mich wird authentisches Denken immer vom existentiellen Grund motiviert. Bewußtsein, Denken und existentielle Intuition bilden eine Einheit in der Person.)
(Meine Antwort auf Reaktion vom 24.8.01)
Hallo ...,
wenn man solche Begriffsverbindungen wie “pures Sein“ verwendet, muß man damit rechnen, daß andere sich damit auseinandersetzen und vielleicht sogar Zweifel anmelden. Und für mich ist insbesondere wichtig, daß man über die weiterreichenden Konsequenzen einer spirituellen Erfahrung auch spricht, damit sich in dieser Welt etwas ändern kann. In diesem Zusammenhang ist es schon wichtig, auch über den Inhalt der Worte nachzudenken und diese in den Kontext der eigenen Erfahrungen zu stellen. Und wahrhaft spirituelle Erfahrungen erkenne ich daran, ob sie in einem tiefen Zusammenhang mit unserem ganzen widersprüchlichen und paradoxen Leben stehen. Wahrhaft spirituelle Erfahrungen bilden die Voraussetzung für ein bewegtes und bewegendes Leben. Es geht für mich eben nicht nur um ein „direktes Verstehen“, wie Du schreibst, sondern um meine innerliche Veränderung, um meine innerliche Bewegung. Wilber klammert Bewegung als ein geistiges Phänomen innerhalb einer Erleuchtungserfahrung eindeutig aus. Darüber sollte man sich schon klar sein, wenn man sich einer Meditationsübung unterzieht. Und wenn Du auch schon 10 Jahre meditierst, so bedeutet es für mich gar nichts. Wichtig ist für mich vor allem der Mensch, der sich mir authentisch und liebevoll zu erkennen gibt. – Letzteres bildet für mich die Grundlage für alle echten Beziehungen. Und ich spreche auch Wilber einen persönlich-liebevollen Umgang mit den Menschen nicht ab, aber dieser findet in seiner „Philosophie“ keinen wahrhaften Niederschlag. Er verlangt als Voraussetzung für die höchsten Einsichten immer eine Entpersönlichung, was zu einer kalten und lieblosen Welt von „selbstbezogenen“ Meditierenden führt. Und jedes wahrhaftige Mitleid ist immer persönliches Mitleid. Wenn der Buddhist wirkliches Mitleid fordert, so kann er es immer nur im christlichen Sinne tun, nicht im persönlichkeitsauflösenden buddhistischen.
Eine Erfahrung kann nicht einfach so wegdiskutiert werden, da gebe ich Dir Recht. Aber es sind nicht alles echte Erfahrungen, sondern sehr oft antrainierte und unauthentische. Und vor allem die unauthentischen Erfahrungen können einem Menschen immer wieder zugänglich sein, sie sind quasi nach erfolgter und vorgegebener Übung (z.B. „Injunktion“) abrufbar. Für echte Erfahrungen gibt es keine vorgegebenen Übungen. Sie sind eben authentisch und unwiederholbar einzigartig. Echte Erfahrungen müssen sich immer wieder neu ereignen aus dem Leben heraus. Gerade die unauthentischen Erfahrungen bilden in diesem Leben ein Schutzschild gegen das wahrhaft-geistige bzw. ganzheitliche Leben, ein Leben, welches den Schmerz und das Leid nicht meidet in der Auseinandersetzung mit einer gegenwärtig durch und durch verlogenen Welt. Der alltäglichen Lüge in dieser Welt kann man z.B. persönlich in den unechten bzw. gekünstelten Umgangsformen der Menschen untereinander begegnen; es geht meist immer um irgend etwas anderes, aber vor allem nicht um den konkreten Menschen. - Der Mensch wird heutzutage vorrangig als ein sekundäres Funktionswesen im System behandelt, da helfen auch keine Schönredereien z.B. von Politikern hinweg.
Zur „Fülle“ und „Leere“ hatte ich mich in diesem Forum (KenWilber-de) schon intensiv zu Wort gemeldet. Das wiederhole ich jetzt nicht noch einmal.
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 27.8.01)
Hallo ...,
nenne mir bitte eine buddhistisch orientierte Philosophie (Autor, Buch o.ä.), in welcher vom Grunde her das Prinzip der Persönlichkeit Priorität hat. Und selbst wenn es solch eine Philosophie geben sollte, was ich nicht ausschließen möchte, so sprengt sie dennoch den Rahmen der buddhistischen Grundhaltung z.B. von Leere-ist-Form oder Satori oder Nirwana usw., in der die Persönlichkeit verschwindet bzw. nur einen Teil des Weltganzen ausmacht. Ich denke nicht, daß ich einem Vorurteil erlegen bin. Ich habe dazu auch in meinem 5. Teil (Berdjajew kontra Wilber) Stellung bezogen. Ausgehend von der buddhistischen Grundhaltung des Absoluten ist wahrhaftiges Mitleid nicht möglich. Meine Kritik an Wilber zielt genau in diese Richtung.
Ich behaupte keinen Absolutheitsanspruch des Christentums. Wenn ich sage „im christlichen Sinne“, so könnte man für das Wort „christlich“ auch synonym das Wort „persönlich“ (im geistigen Sinne und nicht egozentrischen) verwenden. Beide Worte sind für mich austauschbar. Für das Wort „buddhistisch“ trifft das nicht zu. Im Sinne von „persönlich“ gibt es nichts Absolutes, denn Persönlichkeit setzt Zwei-Einheit bzw. Gemeinschaft voraus. Das alles kommt aber vertieft auch in meiner Kritik „Berdjajew kontra Wilber“ zum Ausdruck. Deine Kritik bezüglich eines Absolutheitsanspruches meinerseits ist nicht berechtigt! Im Sinne von „persönlich“ muß kein Mensch zunächst in Berührung mit sogenannten „christlichen Idealen“ kommen. Persönliche Einsichten sind uns von vornherein gegeben. Man könnte aber auch sagen, christliche Einsichten sind uns von vornherein gegeben. Von buddhistischen Einsichten könnte man es meiner Meinung nach überhaupt nicht sagen, auch wenn dies z.B. von Wilber behauptet wird – aber das ist reine Spekulation über etwas menschenfernes Absolutes.
Wenn ich von einer (wahrhaft) christlichen Philosophie spreche, so meine ich damit eine existentialistische oder personalistische oder ganzheitliche Philosophie. Mir geht es nicht um die Verteidigung oder Vorrangstellung der christlichen Kirchenlehre oder des historischen Christentums, welches vollkommen versagt hat. Ich stelle nicht das Christentum und den Buddhismus als historische Ereignisse gegenüber oder beziehe in dieser Hinsicht gar Stellung für das erstere. Für mich geht es um den Wesenskern, um die Grundannahmen dieser beiden Strömungen und nicht um deren historischen Ausformungen und Verirrungen insbesondere des Christentums. Über die Verirrungen und Verbrechen des Christentums ist ja nun wahrlich viel geschrieben worden, so daß ich nicht auch noch eine detaillierte Darstellung zu diesem Thema abliefern muß, ehe ich mich auf grundsätzliche Fragen einlassen darf.
Ich bezweifle auf keinen Fall und kann nur bestätigen, daß die Christen in der Vergangenheit oft alles andere als Christen im eigentlichen Sinne des Wortes waren. Die historische Kirche und die damit zusammenhängende Inquisition sind ein beredtes Beispiel des Niedergangs bzw. Verneinung christlicher Nächstenliebe. Das historische Christentum hat seine eigenen Grundlagen verraten und muß verschwinden.
Ich ergreife gar nicht vehement Partei für die „christliche Lehre“ und schon gar nicht in ihrer scholastischen Ausformung. Wie kommst Du auf so etwas? Ich schreibe nur über das, was ich selber, aus eigenen Erfahrungen, nachvollziehen kann; christliche Weisheit beurteile ich streng nach diesem Maßstab! Die „christliche Lehre“ in ihrem ganzen Umfang ist mir übrigens nur sehr unvollkommen bekannt. Da habe ich echte Wissenslücken, aber das ist nicht unbedingt von Nachteil – ganz im Gegenteil; die meiner Meinung nach fundiertesten Einsichten in die christliche Weisheit habe ich in letzter Zeit vor allem über die Bücher von Berdjajew vermittelt bekommen. Dieser Autor hat das historische, autoritätshörige Christentum überwunden und forderte eine neue, eine innere und gemeinschaftliche „Kirche“. Davon bin ich begeistert. Für Berdjajew (und auch für mich) steht christliche Weisheit nicht als ein Dogma im Raum, sondern muß innerlich neu von jedem Menschen geschaffen und erlebt werden; christliche Weisheit bzw. Wahrheit kann sich so gesehen in jedem Menschen auf einzigartige und unverwechselbare Weise offenbaren. Der Mensch als Zentrum gottmenschlicher Offenbarung steht im Mittelpunkt wahrhaft christlicher Philosophie und wird nicht einem Absoluten und Uncharakterisierbaren und somit Abstrakten untergeordnet. Die Gefahr des Überwältigwerdens der Menschen durch den Glauben an ein Absolutes sehe ich insbesondere in jüngster Zeit. Diese Gefahr sah Berdjajew auch schon. Die Ausformungen buddhistischer Weisheit insbesondere in der westlichen Hemisphäre (dazu zählen auch fernöstliche Länder wie Japan) unterlaufen das dynamische Persönlichkeitsprinzip als das maßgebende. Aber vielleicht kannst Du mir auch Gegenbeispiele nennen?
Auch von Nikolaus von Kues und Thomas von Aquin besitze ich nur vermittelte Kenntnisse insbesondere von Berdjajew, aber auch anderen Autoren usw. usf.. Ich halte mich aber dennoch nicht zurück, auch wenn ich nicht alle großen Philosophen studiert habe. Das schaffe ich sowieso nicht! Das schaffen die meisten Menschen nicht, das ist nur wenigen vorbehalten. Aber alle Menschen sind zu wahrhaftig tiefen Einsichten und zur Verwirklichung dieser fähig, das macht den wahrhaftigen Kern christlicher Eschatologie aus - alle Menschen müssen sich erlösen und gemeinschaftlich verwirklichen. Und keiner darf und kann zurückgelassen werden, das widerspräche dem überaus komplexen Gebot der Nächstenliebe und würde die gemeinschaftliche Verwirklichung ausschließen. Die Selbstverwirklichung jedes einzelnen Menschen erfordert dessen zu realisierende Persönlichkeit als das Grundprinzip der Gemeinschaft. Wie gesagt, das historische Christentum hat versagt, vor allem weil es dem Prinzip der Macht, der Notwendigkeit, dem Allgemeinen huldigte.
Du schreibst: „Dieser Satz, der –durch und durch verlogenen Welt- ist für mich bereits eine halbe Lüge. Ist das so einfach, da die böse und verlogene Welt und hier der wahre Mensch, oder umgekehrt, hier das wahre Jerusalem und dort draussen die bösen verlogenen Menschen?“ - Zunächst einmal sind solche Aussagen wie der „böse verlogene Menschen“ sehr zweischneidig, und ich würde derartiges undifferenziert auch nicht von mir geben. Böse ist das Verlogene im Menschen, nicht der Mensch an sich. Es ist die Aufgabe eines jeden Menschen, vorrangig die inneren, aber damit verbunden auch die äußeren Lügen im Leben und in der Welt überhaupt zu überwinden. Die Lösung vom christlichen Standpunkt aus besteht in der gemeinschaftlichen Verwirklichung der Persönlichkeit. Die Lösung der buddhistischen Philosophie ist grundsätzlich anders geartet, in ihr entschwindet die Persönlichkeit. Zum Problem der Persönlichkeit und den überpersönlichen Werten siehe den Anfang des 2. Teils meiner Kritik.
Nun tun wir doch nicht so, als wenn die Lüge in dieser Welt nicht grassiert – ich denke da z.B. an die Hungerkatastrophen in der dritten Welt (ist natürlich schön weit weg), mitverschuldet durch die „moderne“ westliche Ökonomie, in der menschliche Werte nur eine untergeordnete Rolle spielen, die Kriege, angezettelt teilweise durch den Westen (Kosovo, Vietnam usw.), die Umweltzerstörungen, hervorgerufen durch massenhaft pervertiertes Konsumverhalten usw. usf.. Aber auch unser Zusammenleben im „modernen“ Westen ist alles andere als gemeinschaftlich und innerlich, es ist veräußerlicht und entpersönlicht. Wir sitzen alle im selben Boot, ja, und machen die Welt entsprechend unserer Geisteshaltung, die vorrangig eine autoritätshörige ist, kaputt. Der „liebe Gott“ hat sich zurückgezogen, ich würde sagen, er hat sich aus unserem mechanisierten Leben zurückgezogen, weil die göttlichen Prinzipien sich mit diesem Leben nicht vereinbaren lassen. Der Mensch verzichtet lieber auf seinen göttlichen Grund (z.B. Liebe, geistige Freiheit), um die vermeintliche Sicherheit des materiellen Konsums genießen zu können. Aber der Konsum von einer Sache schafft nur momentane Ablenkung, wir brauchen immer wieder neues Spielzeug, um nicht von unserer Leere und Oberflächlichkeit deprimiert zu werden. Ich beschreibe hier natürlich die Tendenz in unserer Gesellschaft; jeder Mensch hat potentiell die Freiheit, auszubrechen z.B. in Richtung geistiger bzw. ganzheitlicher Verwirklichung.
Gott kann selber nicht in die Geschicke der Welt eingreifen, das kann nur der Mensch. Aber der Mensch und Gott sind gemeinschaftlich eine Zwei-Einheit.(Siehe auch meinen Beitrag: Was ist Gott?) Das wahrhaftige Wirken des Menschen in dieser Welt ist immer ein gott-menschliches. Das ist die Essenz der wahrhaft christlichen bzw. personalistischen Philosophie. Gott als ein Machtwesen war eine Übertragung menschlicher Mißverhältnisse und beschränkter Eigenschaften auf Gott selber – dies war ein Trugbild und hat die Menschen in Zaum gehalten. Das alles ist natürlich sehr kompliziert und von mir hier nicht erschöpfend darzustellen – Berdjajew hat das sehr gut aufgearbeitet.
„Psychotechniken“ allein werden gar nichts bewirken, stimmt grundlegend die Geisteshaltung nicht. Und auch Meditation als eine vom täglichen Leben gesondert durchgeführte Aktion schafft nur Illusionen. Und wahrhaftige Integration der Welt bedeutet vom personalistischen Standpunkt aus immer Veränderung der Welt entsprechend wahrhaft innermenschlicher, personalistischer, christlicher bzw. ethischer Werte und Einsichten. Aber ich will hier auch sagen, daß auch die Werte Zeit für ihre Entwicklung brauchen. Die Entwicklung der Werte vollzieht sich immer im Zusammenwirken mit der sich ständig ändernden inneren und äußeren Welt der Menschen. Schließlich werden vom Menschen im Leben neue Werte geschaffen, sie entspringen keinem abstrakten Evolutionsstrom. Werte lassen sich auch nicht von einem unpersönlichen Absoluten her erklären. Ohne den Menschen findet keine Wertung statt, abgesehen von höherentwickelten Tieren, denen man wohl auch ein ethisches Vermögen zusprechen kann.
Wenn Du behauptest, daß ich mir einbilde, nostalgisch an alten Weltbildern anknüpfen zu können und den Rest („moderne Welt“) dabei einfach zu ignorieren, so verstehst Du meine ganze Kritik nicht. Wenn ich die „moderne“ Welt kritisiere, verherrliche ich nicht zwangsläufig bzw. automatisch die alte, vergangene und ausgediente Welt. Darf man denn die „moderne“ Welt nicht mehr einer tiefgründigen Kritik unterziehen? Die historische Vergangenheit wird nicht wiederkommen, wer das Gegenteil behauptet, den kann man zumindest in dieser Hinsicht als einen Reaktionär bezeichnen. Aber das Ewige war in der Vergangenheit und ist auch heute wirksam in den Menschen, und darüber zu sprechen, das ist eins meiner Anliegen.
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 27.8.01)
Hallo ...,
Du: <<Keine Frage, aber kennst Du denn wahrhaft spirituelle Erfahrung?<<
Alle Menschen machen täglich spirituelle Erfahrungen in dieser oder jener Form. Dazu gehört auch die Erfahrungen des geistigen Schmerzes und Leidens – gerade davon sind die Menschen in unserer Zeit voll, aber auch der Liebe und Freude, der Fülle des Lebens. Wer diese Erfahrungen nicht macht, der ist geistig tot. Aber ich sage eindeutig, einen absolut geistig toten bzw. apathischen Menschen wird es nie geben. D.h., selbst der abgeklärteste Mensch besitzt noch eine Regung tiefen Gefühls und tiefer geistiger Emotion. Ich sage auch, daß quasi das ganze Leben eines Menschen immer ein meditatives Element beinhaltet, dieses Element ist unser ständiger Begleiter. Dieses Element wird jedoch von den meisten Menschen nicht mit dem Wort „Meditation“ beschrieben, eher schon mit dem Wort „innere Versunkenheit“, „innere Beschaulichkeit“. Ich habe mich zum meditativen bzw. kontemplativen Versunkensein intensiv in meinen 3. Teil (Berdjajew kontra Wilber) geäußert, aber auch schon in diesem Forum. Aber es gibt auch eine Art „Entrücktheit“, ein spontanes sich Versenken, durch das ein Mensch sich selbst als Person kaum noch wahrnimmt. Diesen Zustand erlebte ich oft als Kind, wenn ich z.B. „interesselos“ einen Gegenstand ansah. Dieser Zustand war mit Entspannung verbunden, einem Gefühl des sich Fallenlassen und der Hingabe; aber diese Hingabe war keine Hingabe in der Form der Liebe zu etwas Konkretem in gemeinschaftlicher Verbundenheit, sondern ein Zurück zu einem undifferenzierten Aufgelöstsein, zu einem vorbewußten Nichtwissen. Jedoch niemals verschwand ich vollständig in dieser Entrücktheit. Und je mehr ich nach diesen Zuständen suchte, um so weniger ereigneten sich diese. Wenn ich hier im Forum oder bei Wilber die Beschreibung von Meditationserfahrungen verfolge, werden in mir genau diese Erinnerungen kindlicher Entrücktheit wachgerufen. Ich habe mich für den Weg der Persönlichkeit entschieden, weil ich am Leben teilnehmen will. Jedoch oft nehmen die Ereignisse im Leben eines Menschen eine derart leidens- bzw. schmerzvolle Richtung, daß der leidgeplagte Mensch gerade und oftmals nur durch die Momente des Entrücktseins, des selbstvergessenen Versunkenseins, Erleichterung erfahren kann. Schwere, schicksalhafte Krankheiten lassen sich teilweise ohne Momente der Entrücktseins nicht ertragen. Der positive und zu bejahende Effekt des selbstvergessenen Entrücktseins (eine momentane Erlösung von allem) stellt jedoch keineswegs das primäre Prinzip der Persönlichkeit in Frage. Den Zustand kindlicher Entrücktheit habe ich als Erwachsener nur noch ganz selten erlebt; doch je mehr ich mich als Persönlichkeit begriff, um so weniger war ich auf diese Zustände angewiesen; das hat auch damit etwas zu tun, daß mir persönlich kein unerträgliches Leid widerfahren ist und ich nicht auf Zustände erleichternder Entrücktheit angewiesen war. Das Ereignis der Entrücktheit (hervorgerufen z.B. auch durch autogenes Training) stellt an sich kein Problem dar. Aber zum Problem wird es, wenn man meint, in diesem Zustand verharren zu können und sich aller Leiden zu entledigen. Die permanente und leidensverneinende Hervorrufung von „Entrücktheitszuständen“ durch bestimmte Techniken verhindert die Realisierung der Persönlichkeit; „Entrücktheitszustände“ stellen in diesem Zusammenhang eine Art Weltflucht dar. Man möchte den Weg der Persönlichkeit meiden, da er im Widerspruch zur Herrschaft der Notwendigkeit in der Welt mit Leiden verbunden ist. „Entrücktheit“ als höchstes spirituelles Prinzip hat die absolute Überwindung des Leidens zum Ziel – und das ist für mich eine absolute Lüge. Und wahrhaftige Meditation ist vor allem keine „Entrücktheitsmeditation“.
Du: <<Direktes Verstehen ist Sein. Du meinst dieses Verstehen bzw. Sein aendert nichts?<<
Direktes Verstehen ist nicht Sein im Sinne der Ontologie oder im Sinne des unbeschreibbaren Absoluten. Sein ist ein doppeldeutiges Wort. Sein kann dynamisches Existieren oder statische Wandellosigkeit bedeuten. Die erste Bedeutung ist mit Veränderung verbunden, die zweite nicht. Die zweite Bedeutung ist ein geistiges Konstrukt.
Du zum „reinen Sein“: << Diese Erfahrung kann immer weiter vertieft werden und sie aendert buchstaeblich alles Erleben im Leben. Wenn das keine Veraenderung ist... und zwar in jedem Moment immer wieder neu.<<
Wenn „reines Sein“ als etwas unbeschreibbar Absolutes gemeint ist, so ändert diese Erfahrung natürlich unsere Einstellung zum Leben und unser Erleben überhaupt, aber nicht zur Wahrhaftigkeit bzw. Authentizität hin.
Du: <<Die Erfahrung der sogenannten Leere kennt keine Veraenderung in der Erfahrung. Es ist eine Erfahrung jenseits von nennbaren Eigenschaften und wird deshalb meist mit nicht-Beschreibungen characterisiert. Erleuchtung geht aber darueber hinaus und bleibt nicht in der Leere stecken. Dann gibt es auch keinen Unterschied zwischen Leere und Fuelle mehr und eine intellektuelle Diskussion diesbzgl. ist recht sinnlos.<<
Ich würde sagen, Du möchtest solch eine Diskussion nicht. Ich betrachte solch eine Diskussion überhaupt nicht als sinnlos, sie ist sogar sehr entscheidend, weil sich an dieser entscheidenden Stelle unsere Geister trennen. Wie gesagt, zur Fülle und Leere habe ich mich in diesem Forum schon geäußert.
Du: <<In diesem tiefergehenden Verstaendis von Erleuchtung ist nichts ausgeschlossen. Ein Erleben irgendeiner Art gibt es nur als Wandel, eben als Veraenderung. Dogen kam so zu der Erkenntnis, dass Zeit selbst das Sein ist. Und das ist keine methaphysische Spekulation sondern in den Worten spiegelt sich sein Erleben. Damit ist Erleuchtung Veraenderung und zwar wieder nicht als logische Schlussfolgerung, sondern als direkte Erkenntnis.<<
Erleben ist Wandel – ganz recht. Aber diese Feststellung steht im Widerspruch zu Deiner Aussage: „Die Erfahrung der sogenannten Leere kennt keine Veraenderung in der Erfahrung.“ Und genau das ist mein Punkt. Wie willst Du die Leere dann erfahren bzw. erleben? Ich sage: Jede Erfahrung ist mit (geistiger) Bewegung verbunden; eine Erfahrung, die keine Veränderung in der Erfahrung kennt, gibt es nicht – sie ist nicht erfahrbar. Von einem „reinen Sein“ läßt sich die Annahme, daß das „reine Sein“ als wandelloses Sosein erfahrbar wäre, nur abstrahieren, aber es existiert ein „reines Sein“ nicht als geistige Realität in uns – aber ich gebe zu, das läßt sich nicht beweisen. Jedoch ich sehe das Denken, das aus der Annahme eines spekulativen Seins entspringt, und dieses Denken empfinde ich schon als lieblos und in diesem Sinne unauthentisch. Und von daher ist für mich die Annahme eines „reinen Seins“ unhaltbar. Wahrhaftig tiefe Erkenntnis ist für mich immer ein persönlicher Akt emotional-geistiger Leidenschaft verbunden mit Freude aus dem LEIDEN UM DIE WELT heraus, und genau dieser Zusammenhang fehlt mir insbesondere auch bei Wilber. Übrigens, wenn ich immer von „spekulativ“ spreche, so möchte ich mit diesem Wort andeuten, daß hier auch ein intuitives Element hineinspielt. Aber diese Intuition ereignet sich in der Persönlichkeit und wird anschließend z.B. zu der Annahme einer spekulativen Leere umgedeutet. Wenn man, weiter gefaßt, die Erleuchtung auf einen „Großen Zweifel“ (K. Nishitani/ buddhistische Philosophie) reduziert, stellt sich schon die Frage, was dann an der Welt überhaupt gut sein kann und in welcher Weise wir Menschen in ihr überhaupt wirksam werden können oder sollen?
Und die Formulierung – Zeit ist Sein – birgt ein völliges Durcheinander in sich. Hier sollte man erst einmal die Bedeutung der Begriffe klären. Was ist Zeit? Was ist Sein? Und die direkte Erkenntnis können wir nicht einfach mit „Zeit“ oder austauschbar mit „Sein“ beschreiben. Das ist in sich widersprüchlich. Wenn sich in diesen Worten – Zeit ist Sein – ein direktes Erleben widerspiegeln und damit wahrscheinlich eine innere Bewegtheit ausgedrückt werden soll, erkenne ich dies an. Aber innere Bewegtheit kennt jeder Mensch, es kommt jedoch auch auf die Art der Emotionen und Gefühle an, mit denen die Bewegtheit verbunden ist. Darüber Worte zu verlieren ist gerade heute wichtiger denn je! Denn Emotionen und Gefühle können auf die Verwirklichung der Fülle des Lebens, der Persönlichkeit gerichtet sein und sind dann authentisch bzw. selbstbestimmt, oder sie können einen destruktiven, vernichtenden Charakter annehmen und sind dann unauthentisch bzw. VORRANGIG, aber nicht absolut, fremdbestimmt. Aber das ist alles noch sehr viel komplizierter und in der Kürze hier nicht darzustellen. Darüber hinaus will ich auch eindeutig festhalten, daß Emotionen und Gefühle von geistig-grundlegender Natur sind. Jedes Denken ist mehr oder weniger von Emotionen und Gefühlen durchsetzt. Der Mensch ist zunächst, aus der Tiefe, ein emotional-leidenschaftliches und sekundär denkendes Wesen. Beide Aspekte werden im ganzheitlichen Menschen stets schöpferisch-bewußt vereint. Gerade der Begriff der Leere impliziert jedoch Leidenschaftslosigkeit.
Ich schrieb: > Und wenn Du auch schon 10 Jahre > meditierst, so bedeutet es für mich gar nichts.
Du darauf: <<Wie auch -- Du bist meinen Weg ja nicht gegangen :-)<<
Kann ich Deinen Weg denn überhaupt gehen? Ich kann Deinen Weg auf gar keinen Fall kopieren, selbst wenn ich mich auf Deine Art der Meditation einlassen würde; ich bliebe trotzdem ganz ich selbst! Aber wahrscheinlich würdest Du mir sagen, daß ich die Erleuchtung nur erfahre, wenn ich bereit bin, mein Selbst loszulassen und ganz identisch mit allem zu werden. Doch das kann man nur sagen, wenn man der Illusion erlegen ist, daß es eine Erfahrung ohne oder außerhalb oder über der Persönlichkeit gibt. Jede Erfahrung ist persönlich. Richtig ist auf jeden Fall, daß das Nichts (als unergründliche Freiheit) bzw. die Leere das grundlegendste Mysterium der ganzen Welt ist, aber nicht als existentielle Erfahrung. Das Nichts ist nicht das erfahrbare Mysterium. Das erfahrbare Mysterium ist immer die Fülle. Existentiell erfahren wir immer die differenzierte Fülle des Nichts, nicht das undifferenzierte Nichts an sich - das ist unmöglich. Wie oben schon gesagt, das Nichts (Leere) ist uns spekulativ zugänglich. Wir erleben jedoch zumindest immer eine Form der Fülle, die auch destruktiv sein kann.
Du: <<Die Liebe, die Du hier beschreibst ist eine relative Liebe. Liebe kann viel tiefer reichen. Sie ist dann beides, unpersoenlich und persoenlich. Eine Polarisierung kann nicht vollkommene Liebe sein. Wilber spricht immer von Tranzendieren und integrieren. Das unpersoenliche schliesst das persoenliche ein und wird nicht selbstbezogen, kalt und lieblos.<<
Jeder Mensch, der WAHRHAFT leidenschaftlich liebt, liebt immer persönlich. Liebe braucht IMMER den Geliebten gegenüber. Der Geliebte ist jedoch nicht nur der Mensch, sondern in erster Linie der göttliche Grund in einem selber. Liebe ist innerste Gemeinschaft (vor allem mit dem göttlichen Grund und dem Menschen ZUGLEICH) und einzig wahrhaftige Überwindung der Einsamkeit. Niemals und nirgendwo in der Welt wurde unpersönlich geliebt. Das, was uns als allgemeine, unpersönliche Liebe zu allem in der Welt erscheint, ist immer nur die Projizierung des göttlichen Grundes, des persönlich-offenbarten Ewigen in uns selbst nach außen. Aus mir heraus ist die Liebe immer persönlich und konkret; sie umfaßt auch materielle Dinge, Pflanzen, Tiere. Die allgemeine Liebe, die die absolute Identität mit allem behauptet ist konstruiert. Die allgemeine, unterschiedslose Liebe entschwindet zwangsläufig in der absoluten Identität mit allem. Jeder kann das Gegenteil behaupten, aber nicht wirklich realisieren, denn wer oder was könnte in einer absoluten Identität noch lieben?? Die wahrhaftigste Liebe ist die gemeinschaftliche Liebe zum göttlichen bzw. wahrhaft sich offenbarenden menschlichen Grund im Menschen selber. Unpersönlichkeit ist Leidenschaftslosigkeit und entbehrt jeglicher Liebe. Unpersönlichkeit beherrscht unsere Gesellschaft. Unpersönlich lieben zu wollen ist der Versuch, seine Gefühle und Emotionen zu beherrschen und alles unter Kontrolle zu halten. Man möchte nicht leiden unter seinen Leidenschaften und verhindert dadurch die Sublimierung niedere Leidenschaften zu höheren. Man meint, den Leidensweg nicht gehen zu müssen. Die leidenslose bzw. leidenschaftslose, emotionslose „Meditation“ lehne ich grundweg ab! Wahrhaftige Meditation ist gesättigt mit emotional-sublimierten Leidenschaften, mit Fülle. Eine allgemeine und unpersönliche, unterschiedslose „Liebe“ ist entweder eine Illusion (Projizierung des persönlich-einzigartigen offenbarten Ewigen nach außen) oder eine Flucht aus Angst vor unseren wahrhaft authentischen bzw. persönlichen Gefühlen, die im Widerspruch zu einer Welt der Notwendigkeit stehen und in dieser gefallenen Welt behauptet werden müssen, will man sich nicht gänzlich verleugnen. Durch eine unpersönlich-gläserne „Liebe“ werden die Menschen krank.
Wenn Du sagst: „Das unpersoenliche schliesst das persoenliche ein und wird nicht selbstbezogen, kalt und lieblos.“ Von welchem Aspekt der Liebe – vom unpersönlichen oder persönlichen – geht denn das Liebevolle und Nicht-selbstbezogene und Nicht-kalte aus? Wenn die Liebe vom Persönlichen ausgeht, welches vom übergeordneten Unpersönlichen umschlossen wird, so ist die Liebe nur sekundär. Dieser ganze Zusammenhang stellt sich als eine in sich unschlüssige Konstruktion dar. Die einzig vorstellbare Rolle, die eine persönliche Liebe in einem übergeordneten Unpersönlichen spielen kann, ist die der allgemeinen, gläsernen, unpersönlichen Liebe. Aber wie das geschehen soll, das ist vor allem eine unlösbare Denkaufgabe, wenn Liebe letztlich nur allgemein und nicht konkret ist.
Ich: > Eine Erfahrung kann nicht einfach so wegdiskutiert werden, da gebe ich Dir Recht. Aber es sind nicht alles echte Erfahrungen, sondern sehr oft antrainierte und unauthentische.<
Du: <<<Was soll es bedeuten in diesem Kontext? Was koennten Deine Worte bedeuten? In diesem Zusammenhang am ehesten, dass Meditation antrainierte und unauthentische Erfahrungen erzeugt. Wenn Du das glaubst, warum sagst Du es nicht? Nennst Du das authentisch? Wenn Du es nicht glaubst, warum schweifst Du dann in etwas ab, worum es vorher gar nicht ging? Ist das authentisch?<<<
Ich habe die Meditation nicht pauschal kritisiert. Authentische Meditation steht für mich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem ganzen Leben. Dazu gehört auch Leiden, aber auch Freude, mein Weg und mein Leben in Verbindung mit der Geschichte unseres Lebens und der Welt überhaupt. Darüber hinaus siehe den Anfang dieses Beitrages.
Du: <<<Du argumentierst immer wieder mit der Liebe, als wuerde dieses magische Wort irgendwie besser als Sein oder direktes Verstaendis oder Leere oder Fuelle oder sonstwas ausdruecken, was wirklich ist. Aber wo ist da wirklich der Unterschied?<<<
Im Leben geht es darum, sich für die Entrücktheit oder die Liebe zu entscheiden. Davon hängt die Wahrhaftigkeit unseres Handelns in dieser Welt ab. Übrigens besitzen magische Worte einen kontrollierenden, beherrschenden Zug. Das konnte Wilber auch schon bei Jean Gebser nachlesen. Die sogenannte magische Stufe korrespondiert mit der mental-rationalen. Liebe dagegen läßt sich nicht beherrschen und kann nicht beherrschen. Liebe entschwindet aus jeglicher Beziehung, wenn in der Beziehung autoritäre Charakterzüge VORHERRSCHEN. Liebe ist Freiheit, das ist meine persönliche Erfahrung. Persönlich geliebt zu werden ist der Wunsch eines jeden Menschen. Unpersönliche „Liebe“ kann diesen Wunsch nicht erfüllen.
Du: <<<Die einen nennen es so, die anderen so. Wenn Du unbedingt die christliche Ausdrucksweise bevorzugst, dann kannst Du ja den kontemplativen Weg mit christlichen Texten gehen. Entscheidend ist doch, ob eine Transformation erfahren wird oder nicht.<<<
Entscheidend ist die Art der inneren Veränderung – ist sie destruktiv, persönlichkeitsauflösend oder erfüllend, persönlichkeitsrealisierend. In diesem Zusammenhang müssen auch christliche Texte dem kritischen Blick standhalten. Und wenn das Wort „christlich“ das Prinzip der Person hervorhebt, hat es sehr wohl eine andere Bedeutung als z.B. das Wort „Satori“ usw..
Du: <<<In Wuerzburg gibt es z.B. Pater Williges. Der ist Zen Meister und Kontemplationslehrer. Er gehoert in beiden Bereichen zu den grossen Lehrern. Der sieht da keinen Unterschied und kann das gleiche genauso mit Liebe wie mit Leere darlegen.<<<
Man kann immer alles in einen Topf werfen. Entscheiden muß der einzelne Mensch persönlich, ob es wahr ist oder nicht.
Du: <<<Du praesentierst uns hier mehr Deine Argumente als Deine Erfahrung, willst damit aber andere Beschreibungen ausschliessen. Wem oder was soll das dienen? Dein Widerspruch Berdjajew kontra Wilber wird (so wie ich es wahrnehme) von Dir erst erzeugt.<<<
Es muß jeder selber entscheiden, ob meine Beiträge authentisch sind oder nicht. Ich argumentiere gegen alles, was von mir eine unauthentische Folgsamkeit bzw. Anpassung verlangt. Ich stehe zu dem Widerspruch „Berdjajew kontra Wilber“. Bei meiner ersten Berührung mit Berdjajews Philosophie bin auch ich mit der Vorstellung einer Übereinstimmung beider Autoren herangegangen. Das kann ich längst nicht mehr aufrechterhalten.
Du: <<<Jede Beschreibung, jedes Wort, jeder Mensch und jedes Ding auf dieser Welt hat den gleichen Ursprung und der ist nicht ausserhalb dieser Worte und Dinge. Wenn man das nicht glauben will oder kann, bleibt man halt bei einer dualistischen Weltsicht, schon weil es gar nicht anders geht.<<<
Der „gleiche Ursprung“ ist für mich die unergründliche Freiheit. Sie ist niemals und für niemanden in ihrer Absolutheit ergründlich. Hier scheiden sich unsere Geister, weil Du das Gegenteil behauptest – oder nicht? Das Ziel des Menschen ist für mich nicht dieser Ursprung an sich, sondern seine gelichtete Wahrheit. Zwischen Ursprung und Wahrheit besteht ein grundsätzlicher, himmelweiter Unterschied. Der Ursprung ist nicht Wahrheit, sondern unergründlich, uncharakterisierbar.
Du: <<<Wer aber dahin(ter) schauen will, sollte sich nicht mit scheinbaren Widerspruechen aufhalten. Berdjajew und Wilber, Christentum und Buddhismus druecken es je auf ihre Art aus. Das verlogene verschwindet, sobald es aus unserem eigenen Erleben verschwindet, einfach weil wir verstehen.
Jenseits der Widersprueche liegt das erfuellende Sein und schliesst dies alles ein.<<<
Wie gesagt, VOM GRUNDE HER kann man das Christentum und den Buddhismus nicht in einen Topf werfen. Wer das nicht akzeptiert, will meiner Meinung nach einer tieferen Auseinandersetzung zu diesem Thema aus dem Weg gehen. Die Offenbarung der Wahrheit ist letztlich jedoch nicht unmittelbar von einer differenzierenden Auseinandersetzung abhängig, sondern setzt diese Auseinandersetzung lediglich voraus. Die Auseinandersetzung mit den Widersprüchen des Lebens ist ein Moment auf dem Weg zur Wahrheit, die jeder Mensch in seinem Leben führen muß. Es gibt kein glattes und widerspruchloses Leben. Die Wahrheit ist die WAHRHAFTE Überwindung der Trennung der Widersprüche. Diese überwindende Wahrheit ist ein paradoxes Ereignis von Zwei-Einheit (z.B. die Einheit des Wandellosen und Wandelbaren, des Persönlichen und Überpersönlichen, des Immanenten und Transzendenten, des Endlichen und Unendlichen, des Zeitlichen und Überzeitlichen IN DER PERSÖNLICHKEIT).
Gruß Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 29.8.01)
Hallo ...,
kurz zu Deiner letzten Reaktion. Die „Menschen dieses Jahrhunderts“ lernen alles mögliche, und ich denke, daß ich mit meinen teilweise entlehnten Begriffen diese Menschen nicht überfordere. Auf Berdjajew konnte ich mich ziemlich schnell einstellen, vor allem weil ich es wollte – diese Voraussetzung reicht meistens aus, um einen anderen Autor zu verstehen. So erging es mir zuvor auch mit Wilber. Man muß sich mit dem, was ich schreibe, nicht befassen, es ist von mir nur ein Angebot. Freiheit ist das höchste Gebot.
Auf die Frage, wie sich dieses „ganzheitliche Verwirklichtsein“ anfühlt, möchte ich immer wieder und vor allem auf die Liebe verweisen. Die Liebe ist die Erfahrung im Leben, die in irgendeiner Form jeder Mensch AUF EINZIGARTIGE WEISE macht. Für den komplexen (ganzheitlichen) Umgang mit dem Liebes-Phänomen wird es nach meiner tiefsten Überzeugung keine detaillierten Anweisungen geben, hier beginnt der Weg, den letztlich jeder eigenverantwortlich zur wahrhaftigen Gemeinschaft hin gehen muß. Gäbe es Anweisungen, wäre die Freiheit des einzelnen Menschen dahin. Wenn hinsichtlich der Anweisungen „Heute christliche Ansätze Reihenweise aussteigen müssen“, sehe ich darin einen Vorzug.
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal bekennen, daß ich eine Art „Entleerungs-Meditation“ nicht gänzlich für überflüssig halte. Auch ich habe mich für kurze Zeit daran versucht, um mich von der Notwendigkeitsforderung des gesellschaftlichen Betriebes lösen zu können. Es war für mich, angeregt u.a. durch Wilber, ein weiterer Schritt. Das erkenne ich auch heute noch an. Im weiteren Verlauf habe ich für mich erkannt, daß ich dabei jedoch nicht stehenbleiben kann. Wesentlicher war für mich immer meine GEISTIGE TRAUER um die Welt und für die Wahrheit. Leiden ist für mich eine wesentliche Eigenschaft des Geistes selbst.
Es gibt keine „technische Anweisung“ für die gemeinschaftliche Verwirklichung. Gemeinschaftliche Verwirklichung setzt göttliche Intuition, Liebesintuition des einzelnen Menschen voraus, auf die er zur Gemeinschaft hin geistig-schöpferisch reagieren, mit der er geistig-schöpferisch umgehen muß. Vom Grunde her besitzt jeder Mensch eine Liebesintuition, egal welche Wege er im einzelnen letztlich geht. Oftmals verleugnet der Mensch seine Liebe, die selber göttlichen bzw. wahrhaft menschlichen Ursprungs ist.
Es gibt also keine vorhersagbare, berechenbare Lösung. Es gibt kein Patentrezept. Die Lösung kann nur eine gemeinschaftliche und eine schöpferische zugleich sein. Jedoch kann man die unabdingbaren Voraussetzungen benennen, die für eine gemeinschaftliche Verwirklichung von Nöten sind. In diesem Zusammenhang sehe ich z.B. den Unterschied zwischen einer christlichen und einer buddhistischen oder hinduistischen Herangehensweise.
Grüße Dirk H.
(Meine Antwort auf Reaktion vom 6.9.01)
Hallo ...,
egozentrisches Leiden ist selbstbezogenes Leiden, das stimmt. Ich sehe aber einen Unterschied zwischen einem egozentrischen, oberflächlich-alltäglichen Leiden und einem tiefen geistigen Leiden, das durch Mitgefühl, Mitleid und Liebe dem Menschen, den Tieren, der Welt überhaupt gemeinschaftlich, aber immer konkret zugewandt ist. Das oberflächlich-alltägliche, selbstbezogene Leid wird der wahrhaftigen Verantwortung nicht gerecht; das wahrhaftige Leid ist höchste Verantwortung im Sinne von Partizipation (ich verweise diesbezüglich auf: Berdjajew kontra Wilber Teil5). Leiden ist eine paradoxe Angelegenheit: Wenn wir fordern würden, daß jedes Leiden verschwinden müßte, verhinderten wir damit die Auseinandersetzung mit dem Leiden, welches aus dem Umgang mit einer begrenzt-notwendigen Welt immer wieder entsteht. Unser ganzes Leben werden wir diese verantwortungsvolle Auseinandersetzung führen müssen, es sei denn, wir verlieren uns in Gleichgültigkeit und Apathie. Alltäglich-selbstbezogenes Leid ist nicht wirkliches Leid im tiefen Sinne des Wortes; existentielles, geistiges Leid ist der Zugang und die Liebe zur Welt, zu den Menschen, die unseres verändernden Einflusses bedürfen. Und über dieses zugewandte Leid erst realisiere ich mich selbst ...
Gruß Dirk H.
(Beitrag 6270 um den 20.9.01 herum von mir geschrieben)
Hallo A.,
Du (6240): <<Fragen wir Dirk doch einfach, wie Menschen es denn schaffen, frei zu sein im Leiden. Also Dirk, wie ist dies gemeint wenn du sagst: "Und erst aus dem frei durchlebten Leid heraus empfinde ich tiefe Freude aufsteigen."? Wie kommt es zu dem qualitativen Unterschied hier?<<
„Freude aus dem Leid heraus“ - das ist etwas Geheimnisvolles, das sich in der Tiefe der liebenden Persönlichkeit ereignet. Ich sehe den Unterschied darin, daß der Zeuge eine spekulativ-rationale Abstraktion darstellt, der eben nicht zugleich leidend ist, und daß die freie geistig-liebende Person, welche Leid und Freude, Emotionen und Gefühle aus der Tiefe heraus gleichermaßen umfaßt, sich als eine wahrhaft zu erlebende spirituelle Realität im Menschen, als das wahrhaft Menschliche und Göttliche zugleich offenbart. Ob nun der Zeuge oder die (ganzheitlich-liebende) Person, es ist vor allem eine Glaubensfrage; und entsprechend der Behauptung, daß man sich über den sogenannten Zeugen nur nach erfolgter Injunktion eine Meinung bilden kann bzw. darf , muß ich S. Recht geben: „Das macht eine Diskussion natürlich überflüssig.“ In diesem Zusammenhang muß ich mich auch gegenüber D. (sein Beitrag: 5849) dahingehend korrigieren, daß eine Diskussion über den Unterschied von Leere und Fülle wahrscheinlich wirklich sinnlos ist. Die Frage heißt also: Welcher Glaube ist authentisch? Für mich entscheidend ist auch folgende Frage: In welcher Beziehung steht mein Glaube zum Leben, zur Welt und vor allem zum Menschen? Und unter diesem Gesichtspunkt hat für mich UNTER ANDEREM das Leid absoluten Vorrang. Entsprechend des Beitrages von M. (6229), auf den ich noch eingehen werde (Ist nicht erfolgt. Dirk Hübner), steht der Zeuge immer außerhalb, auch wenn noch so subtil über diese Tatsache „hinwegphilosophiert“ wird. Es geht einfach nicht: ‚reines Zeugenbewußtsein’ und ‚Welt des Ego-Films’ bleiben immer zwei und absolut getrennt und kommen niemals zusammen. Die gegenteilige Aussage ist für mich bloße Behauptung.
Freude und Leid stehen in einem unzertrennlichen Zusammenhang. Zum Beispiel ist die wahrhaft liebende Fürsorge einer Mutter zu ihrem Kind auch immer mit Leid verbunden, und dennoch erfreut sich aus dem Herzen heraus die Mutter an ihrem Kind. Ich will hier jetzt nicht die Gefahren leugnen, die natürlich in jedem Mutter-Kind-Verhältnis lauern, wenn die Mutter eine Art „Übereifer“ und „Überliebe“ an den Tag legt und das Mutter-Kind-Verhältnis krankhaft wird. Das authentische Leiden des Liebenden wahrt immer auch die Freiheit des Geliebten. Die wahrhaft liebende Mutter leidet nicht zwanghaft, sondern ihr Leid ist frei, ist eine Herzenssache und eine Freude. Diese Gedanken sind wert, weitergeführt zu werden, aber leider sitzt mir die Zeit etwas im Nacken.
"Und erst aus dem frei durchlebten Leid heraus empfinde ich tiefe Freude aufsteigen."? – Das ist meine persönliche Erfahrung. So habe ich geliebt, und so liebe ich. Ich kann jedoch nicht für andere sprechen. Mehr will ich jetzt dazu nicht sagen.
Du (6232): <<<Das was den Menschen, beim sinnlosen Leiden aus der Bahn wirft ist für mich, in Bezug auf Drewermann, die Angst. Weniger Angst bedeutet mehr Freiheit. Das Zeugenbewusstsein hebt den Menschen zu der Fähigkeit auch das Leiden zu integrieren. Deshalb bedeutet der Zeuge, ein mehr an Freiheit.<<<
Auch die Angst kann man von mehreren Seiten betrachten. Es gibt z.B. die natürliche Angst vor dem Tod. Sie ist die Angst vor den Schmerzen, die mit dem Tod verbunden sind. Diese Angst ist wohl kaum zu vermeiden. Warum auch? Diese Angst hat eine natürlich-biologische Funktion. Es gibt die erniedrigende Angst vor einer fremden Macht, der ich gehorche – damit hängt das „schlechte Gewissen“ zusammen. Dann gibt es die existentielle Angst vor dem Tod, die Angst, ins Bedeutungslose (eigentlich ins Ewige als abgeschiedene Gottheit - Eckhart) zu entschwinden. Von dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit wird der Egozentriker geplagt, wogegen er massiv, eben egozentrisch, anzugehen versucht – ein Teufelskreis. Erst mit der Realisierung der (gottmenschlichen) Persönlichkeit ist das existentielle Problem des Ewigen zur Wahrheit hin fortwährend schöpferisch zu lösen und zu überwinden – davon bin ich überzeugt. „Weniger Angst bedeutet mehr Freiheit.“ Darin stimme ich mit Dir überein, wenn weniger Angst meint, daß ich mich von meinem wahrhaftigen, schöpferischen, nicht fremdbestimmten Gewissen bzw. in diesem Sinne „reinen Gewissen“ im Verhältnis zu meinem ganzen Leben leiten lasse. Unter einem „schöpferischen Gewissen“ verstehe ich kein endgültiges Gewissen als moralische Instanz; es ist immer ein im Leben zu realisierendes Gewissen zur Liebe als Wahrheit hin gemeint. Dieser Prozeß ist mit Schmerzen, mit Leid und Freude verbunden. In der schöpferischen Realisierung meines Herzens (Gewissens) empfinde ich immer auch Freude.
Sinnloses Leiden wird nicht automatisch von Angst hervorgerufen. Die Angst verhindert höchstens, daß wir uns dem sinnlosen Leiden widersetzen (z.B. wenn wir uns fortwährend als „biologische Funktionswesen bzw. -sklaven“ mißbrauchen lassen). Sinnloses Leiden herrschte jedoch auch im KZ, in Hiroshima, in Vietnam usw., bzw. herrscht eben jetzt in New York und darüber hinaus. Menschen waren sinnlosem Leiden ausgeliefert, die grundsätzlich keine Angst hatten – ganz im Gegenteil. Dieses Leiden ist nicht zu rechtfertigen und ist ein Auswurf des Bösen. In solchen Momenten haben Menschen Gott verflucht, und wer könnte das nicht verstehen... Aber es ist nicht Gott, der die Macht hat, Böses zu tun. Es ist die Macht selber, die in einer in sich verschlossenen Welt wütet. Macht verhindert Gott – in uns.
Das einzige, was ich an einer „Zeugenmeditation“ befürworten würde, ist, daß es dazu beitragen könnte, uns von einer Welt des Gehorsams und der Autoritäten zu befreien. In diesem Sinne stimme ich mit Dir überein, daß ein Zeuge ein mehr an Freiheit mit sich bringen kann. Aber die Verabsolutierung des Zeugen verkehrt sich in das Gegenteil, ins Böse. Der Zeuge wird selber zu einer wahrheitsfeindlichen Autorität und verhindert inneres Leben. Der Zeuge muß unmittelbar von der ganzen Person integriert werden. Der Zeuge darf immer nur ein Moment sein – er ist nicht die Wahrheit. Und der Zeuge kann niemals reiner Zeuge werden, das wiederhole ich immer wieder.
Kurz noch zu Deiner Anfrage:
<<<Wie empfindet ihr nach den Ereignissen vom 11/9/2001 die Veränderungen des Lebensgefühls...<<<
Ich denke, daß die meisten Menschen im Westen ihre eigene Lebensweise nicht wirklich aufrichtig hinterfragen wollen. Wahrscheinlich die meisten Europäer (davon gehe ich zur Zeit aus) möchten zwar, daß alles friedlicher wird, aber können einfach nicht verstehen, daß der Unfrieden vor allem von uns „Reichen“ und unseren lebensfeindlichen Verhältnissen inner- und außerhalb von uns ausgeht. Europa kann sich schön hinter den USA verstecken. Dort hegen mittlerweile die meisten Menschen offensichtlich Rachegelüste und fordern sichtbare (militärische) Taten. Wir stecken VOR ALLEM in einer geistigen Krise, die wiederum eine ökonomische Krise zur Folge hat. Und unter einer ökonomischen Krise verstehe ich nicht eine „Wachstumskrise“, sondern ein auf endlos steigenden und neu hinzukommenden Verbrauch ausgerichtetes Wirtschaften – das ist die eigentliche Wirtschaftskrise, die umfassend zerstörend wirkt. Ich halte unsere sogenannte „freiheitlich demokratische Grundordnung“ schon an sich für ein versklavendes, den Menschen subtil zur Unmündigkeit verdammendes System. Anpassungsfähigkeit an die systemorientierten Vorgaben sind das Kriterium eines „erfolgreichen“ Lebens. Der Mensch entscheidet nicht persönlich, existentiell, ethisch, er entscheidet gemäß der Systemforderung. Das habe ich schon in der DDR erlebt. Das ist die Ideologie des Kapitalismus. Beschränktes Systemdenken siegt wieder einmal über eine ganzheitliche Vernunft, die auch zu vernehmen ist, aber abgedrängt, verdrängt wird (vielleicht nicht mehr so gut wie früher). Begrenzte ideologische Vorstellungen beherrschen das gesellschaftliche Bild einer großen Anzahl von Menschen gerade in der „modernen“ westlichen Zivilisation und verhindern ein Umdenken. So schnell wird sich global nichts verändern – die meisten Menschen, vor allem im Westen, halten fester denn je an ihren liebgewonnen und ablenkenden Gewohnheiten und verharren im Konsumdenken ohne absehbares Ende. Es sei denn, die Katastrophe (welcher Art auch immer) weitet sich schneller aus als bisher angenommen. Und gerade das ist und kann noch furchtbarer werden!
Terroristen werden nicht so schnell von der „Bühne“ verschwinden. Unter ihnen sind Menschen, denen es persönlich sogar oft finanziell und materiell an nichts mangelt, und die in umsorgten Verhältnissen aufgewachsen sind; davon ausgehend hätten sie zumindest keinen Grund zu solch einer fanatischen Tat wie in New York. Wir müssen anerkennen, daß sie einfach nur unseren „U.S.-amerikanischen Stil“ auf die Spitze treiben, den vermeintlichen Hauptfeind aus den verschiedensten Gründen heraus zu jagen und zu töten - unterstützt und vorangetrieben durch fundamentalistisches Gedankengut bzw. durch eine fundamentalistische Ideologie. Das allerdings, was sich die USA und all die Mächte, die hinter ihr standen und stehen, an vernichtenden Militäraktionen usw. geleistet haben, ist ebenfalls ohne Beispiel. Und auch der Westen ist in seiner Art Machtausübung fundamentalistisch, z.B.: Die (scheinbare) „Freiheit“ des Marktes und der Börsen gilt für alle gleichmaßen, und wer nicht mithält, muß bluten. Schuldenerlasse werden nur halbherzig oder überhaupt nicht zugelassen.
Bush sprach im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das W.T.C. usw. von einem feigen Verhalten der Terroristen. Doch das ist nun wirklich absolut falsch! Diese Menschen sind bis zum Äußersten gegangen – sie waren in keiner Weise feige und opferten ihr Leben. Aber anzunehmen ist, daß sie von Haß auf eine anonyme USA nahezu zerfressen waren. Blinder, wütender und vor allem fanatischer Haß treibt die Menschen in den Wahnsinn, und der hat, meiner Meinung nach, hier vorgelegen. Und dieser Haß ist keine Erfindung der Terroristen aus dem Osten oder woher auch immer, der Haß erstreckt sich weit in unser eigenes, westliches Leben hinein und hat u.a. auch dort seine geistig pervertierten Wurzeln. Ein von Haß beherrschter Mensch verliert jedes Gefühl für den Sinn des Lebens. Nur noch der Haß (verhüllt oder unverhüllt) erhält diesen Menschen aufrecht, und er muß entsprechend dieses Hasses handeln, um nicht von der höllischen Sinnlosigkeit seines (inneren) Lebens maßlos gequält zu werden. Solange es noch äußere Feinde gibt, können wir unsere eigenen Schatten verdrängen. Aber dieser Weg provoziert eine Katastrophe, die entsetzlicher sein wird als alles zuvor Geschehene. Kämpferisch-fanatische Verbundenheit der Menschen in Kriegszeiten kündigen vom inneren Niedergang, eben von Haß. Dieser Haß braucht einen Feind. Doch dieser Feind wird erst zuletzt oder gar nicht die inner-geistige Misere sein. Was geht in den USA und auch hierzulande wirklich vor sich?!
Ich denke, die einzige Lösung der Krise überhaupt kann nur vom individuellen Menschen ausgehend erfolgen, in dem dieser seine Persönlichkeit schöpferisch realisiert, um von innen heraus unser Leben gemeinschaftlich radikal ändern zu können in Richtung individueller und gemeinschaftlicher Wahrheit zugleich. Vom Innermenschlichen, jenseits von Gut und Böse, muß das Licht kommen, von dem ausgehend der Mensch das Böse auch in sich und außerhalb von sich schöpferisch bewältigen kann. Ich glaube einzig an eine innergeistige, schöpferische Revolution, der einzig eine wahrhaft gemeinschaftlich-soziale Umgestaltung folgen kann. - Aber ich mache mir keine Illusionen hinsichtlich eines weitverbreiteten geistigen Mittelmaßes.
Die Welt kann man nicht nach irgendwelchen machtorientierten und -beschränkten Maßstäben retten wollen. In dieser Hinsicht kann vom Westen derzeitig keine wirkliche Hilfe und Rettung ausgehen. Die westliche Lebensweise fördert geradezu das sinnlose Leiden innerhalb ihrer selbst. Der Westen züchtet selber das Prinzip des Terrorismus. Und was auch passiert, wen wundert’s noch?! Das macht alles sehr traurig!
Grüße Dirk Hübner
(Meine Antwort auf Reaktion vom 25.9.01)
Hallo ...,
Aus Deinem Beitrag: <<<"Wilber`s Ansatz ist, er kritisiert damit die Begrenztheit der engeren Ansätze, ohne die grundlegenden Wahrheiten dieser Ansätze zu verwerfen. Er kritisiert also nicht ihre Wahrheiten, sondern nur ihre Unvollständigkeit".<<<
Die Unvollständigkeit in Berdjajews Ansatz besteht Wilber zufolge in der Behauptung, das die Realisierung der Persönlichkeit das höchste Ziel darstellt. Das „leere Zeugen-Gewahrsein“ steht für Wilber über der (ganzheitlichen) Persönlichkeit und ihrer persönlichen Erfahrung und soll diese umschließen.
Ich dagegen schließe mich Berdjajews Denken an und behaupte, daß die Unvollständigkeit gerade in einer impersonalistisch orientierten Philosophie und Spiritualität wurzelt.
Berdjajews personalistische Philosophie steht letztlich der buddhistisch orientierten „Leerheitsphilosophie“ konträr gegenüber, weil letztere die Person zu überwinden trachtet – denn Person in ihrer Authentizität bedeutet Leiden, aber auch Freiheit, Liebe, Wahrheit. All diese Aspekte der Person kann man entsprechend einer personalistischen Philosophie voneinander nicht trennen.
Die Behauptung „Berdjajew kontra Wilber“ hat für mich eine grundlegende Berechtigung.
Du: <<<So zitiert Wilber Isherwood: "Der wahre Zeuge läßt alles aufsteigen, was aufsteigen will: Leidenschaft, Gelassenheit, Engagement, Gleichgültigkeit, tief empfundene Feindseligkeit - was auch immer. Die Auffassung, daß dies eine tödliche Getrenntheit vom Leben sei, ist albern".<<<
Solange der „Zeuge“ unparteiischer Beobachter bleibt, befindet er sich in einer ‚tödlichen Getrenntheit vom Leben’. Der „Zeuge“ muß selber das Leid erfahren, die Liebe oder auch die Feindseligkeit, um das Leben überhaupt wahrnehmen zu können. Doch sobald der „Zeuge“ das Leben wahrnimmt, ist er nicht mehr „Zeuge“, sondern Person. Darüber hinaus ist ein reiner „Zeuge“ für mich eine unrealisierbare Vorstellung, eine völlige absurde Vorstellung vollständiger Emotionslosigkeit und LEIDEN-schaftslosigkeit.
Und Leid ist für mich nicht Form, sondern ein geistiger Aspekt unseres persönlich wahrnehmbaren Geistes, einer seiner ursächlichsten Eigenschaften. Ich persönlich beobachte niemals mein Leid, sondern es ist mein persönlicher Geist selber, der leidet – immer und ewig in mir und bei allem, was ich tue. Und erst aus dem frei durchlebten Leid heraus empfinde ich tiefe Freude aufsteigen.
Du: <<<Ist er/sie aber im Reflex gefangen, oder zwangsläufig in sein/ihr Leid verstrickt, kann er/sie nicht mehr unbedingt frei wählen. Und gerade diese Verstrickung kann zum Tod der Entwicklung führen. Dieses Leid birgt die Gefahr der Nichtentwicklung, egal wie mutig mensch da auch reingehen mag.<<<
Leid, welches man nicht frei auf sich nimmt, ist sinnloses Leid. Sinnloses Leiden ist nach Berdjajew dunkles Leiden. Dunkles Leiden ist höllisches, sinnloses Leiden, ist geistiger Stillstand und Tod. Im freiem Leiden zum Leben hin dagegen entfaltet sich unsere wahre geistige Kraft.
Gruß Dirk Hübner
(geschrieben am 29.9.01)
Meine Korrektur und Ergänzung zum Beitrag 6270 (KenWilber-de)
Berdjajew schreibt:
„Der leidende Mensch erlebt ein doppeltes Leiden. Einerseits leidet er unter den über ihn verhängten Prüfungen und Schicksalsschlägen, unter Krankheiten, Not, Verrat, Einsamkeit, Enttäuschung in seinen Mitmenschen usw., usw. Andrerseits leidet er aber unter der eigenen Auflehnung und dem eigenen Aufstand gegen das Leiden; er leidet, weil er das Leiden zu ertragen nicht willig ist und das Leiden verdammt. Dieses zweite Leiden ist noch viel bitterer als das erste. Wenn der Mensch sich entschliesst, die Leiden innerlich anzunehmen, wenn er den Sinn der über ihn gesandten Leiden zu erfassen beginnt, so wird sein Leiden erträglicher, durch das neue Bewusstsein wird es gemildert und verklärt. Das dunkle Leiden, das allerentsetzlichste, ist eben das Leiden, das den Menschen innerlich erbittert und ihn zum Aufstand und Kampf gegen sich aufbringt. Das Leiden, in dem der Mensch einen höheren Sinn erblickt und das er innerlich bejaht, wird zum hellen, die Wiedergeburt herbeiführenden Leiden.“ - Zitiert aus: „Von der Bestimmung des Menschen, Versuch einer paradoxalen Ethik“ (Gotthelf-Verlag, 1935, S. 163)
In dieser Hinsicht ist dunkles Leiden sinnloses Leiden: Man will das Leid nicht ertragen, von welchem man ergriffen wird. Man erfaßt den Sinn des Leidens nicht. Berdjajew schreibt im oben erwähnten Buch: „Der Mensch vermag die grössten Leiden auf sich zu nehmen und zu ertragen, wenn er nur den Sinn dieser Leiden erfassen kann; die Kräfte des Menschen sind gewaltig.“
Ich schrieb an ... : „Leid, welches man nicht frei auf sich nimmt, ist sinnloses Leid.“ – Das stimmt nicht. Richtig ist: Leid, welches man nicht annehmen will und ablehnt, provoziert sinnloses Leiden im Sinne des dunklen Leidens.
Ich schrieb an ... : „Sinnloses Leiden wird nicht automatisch von Angst hervorgerufen. Die Angst verhindert höchstens, daß wir uns dem sinnlosen Leiden widersetzen (z.B. wenn wir uns fortwährend als „biologische Funktionswesen bzw. -sklaven“ mißbrauchen lassen). Sinnloses Leiden herrschte jedoch auch im KZ, in Hiroshima, in Vietnam usw., bzw. herrscht eben jetzt in New York und darüber hinaus. Menschen waren sinnlosem Leiden ausgeliefert, die grundsätzlich keine Angst hatten – ganz im Gegenteil. Dieses Leiden ist nicht zu rechtfertigen und ist ein Auswurf des Bösen. In solchen Momenten haben Menschen Gott verflucht, und wer könnte das nicht verstehen... Aber es ist nicht Gott, der die Macht hat, Böses zu tun. Es ist die Macht selber, die in einer in sich verschlossenen Welt wütet. Macht verhindert Gott – in uns.“ Hier herrscht meinerseits ein großes Durcheinander. Aber es ist die Leidensproblematik auch nicht einfach. ... schrieb (6232): „Das was den Menschen, beim sinnlosen Leiden aus der Bahn wirft ist für mich, in Bezug auf Drewermann, die Angst. Weniger Angst bedeutet mehr Freiheit. Das Zeugenbewusstsein hebt den Menschen zu der Fähigkeit auch das Leiden zu integrieren. Deshalb bedeutet der Zeuge, ein mehr an Freiheit.“
Weniger Angst vor dem Leid bedeutet mehr Freiheit. Freiheit und Leid gehören zusammen. Insofern kann sinnloses, dunkles Leiden auch durch die Angst vor dem Leiden an sich hervorgerufen werden. Aber die Menschen im KZ haben gelitten – ohne jeden Zweifel. Und wohl die wenigsten werden sich gegen das Leid haben auflehnen können oder wollen, dazu war alles viel zu spürbar grausam und qualvoll und vor allem unausweichlich. Es gab vielleicht auch wenige Häftlinge, die sich in Positionen befanden, die ihnen die Möglichkeit gab, sich in gewisser Weise vom Leidensgeschehen abzuschotten oder gar eine Art Zeugenbewußtsein zu entwickeln. Vielleicht waren sogar einige Nazis selber gelegentlich einfach nur im Zeugenbewußtsein, um innerlich Abstand halten zu können von dem unermeßlichen Leid. Führt nicht die Annahme eines Zeugenbewußtseins selber zum dunklen, sinnlosen Leid, durch welches man sich selbst bekämpft bzw. verhindert oder gar vernichtet? Das habe ich in ähnlicher Weise z.B. auch im 3. Teil meiner Kritik „Berdjajew kontra Wilber“ zum Ausdruck gebracht.
In den USA jedoch verhält es sich anders. Das Leid verwandelt sich bei vielen Menschen dort in Haß, d.h., das Leid wird umgelenkt auf den Feind, den es zu vernichten gilt. Auch auf diese Weise läßt sich bitter nötige Leidensarbeit vermeiden.
Der Mensch ist vom geistigen Grunde her ein freies Wesen. Er leidet normalerweise, wird er zu einem Funktionswesen degradiert. Aber das Phänomen, daß hierzulande viele Menschen schon dann zufrieden sind, wenn sie in ihrem Leben vor allem eine Funktion erfüllen können, zeigt, daß diese Menschen die Erniedrigungen gar nicht mehr wahrnehmen und sich teilweise in einem apathischen Zustand befinden. Sie haben sich den Gewohnheiten überlassen. Wahrhaft innere geistige Veränderungen vollziehen sich in ihnen schon lange nicht mehr, da sie in einem entscheidenden Maße leidensunfähig geworden sind. Aber auch in diesem Zusammenhang sei gesagt, daß es eine absolute Leidensunfähigkeit nicht gibt. Und es gibt immer noch genug Menschen, die leiden können und zunehmend den Erniedrigungen widerstehen wollen.
Das Leid muß man nicht rechtfertigen, sondern es gehört zum (geistigen) Leben dazu. Die Bejahung des Leidens ist die Annahme des Kreuzes, sagt Berdjajew. Und Gott hat man verflucht für die Macht, die er über die Menschen ausgeübt hat. Aber hierzu stimmt meine Aussage: „Aber es ist nicht Gott, der die Macht hat, Böses zu tun. Es ist die Macht selber, die in einer in sich verschlossenen Welt wütet. Macht verhindert Gott – in uns.“ Dunkles Leiden ist sinnlos, weil es sich gegen das Leiden an sich auflehnt. Das Leiden ist jedoch einer der unmittelbarsten und wesenhaftesten Züge des Menschen. Wer das Leiden nicht zulassen oder nur von einem Zeugenstandpunkt aus betrachten will, verhindert sich als Menschen, und auch das kann in einer destruktiven Weise sehr qualvoll sein.
Gruß Dirk Hübner
(geschrieben am 30.06.2002)
Sehr geehrter Herr K., vielen Dank für Ihre Kritik. Ich weiß nicht, inwieweit Sie mit meiner Homepage vertraut sind - dort lege ich Rechenschaft über meine Erkenntnisquellen ab. Ich gehe von der Liebesintuition aus, die sich mir und jedem Menschen insbesondere in der Begegnung mit dem anderen Menschen und mit Gott zugleich offenbaren kann (Einheit von Ich und Du im Wir). Gott ist für mich nicht reine Begeisterung, wie sie mir in den Mund zu legen scheinen. Gott ist Gewissensfreiheit, Kampf um dieses Gewissen, welches sich in der tragischen Begegnung des ganzheitlichen bzw. transzendentalen Menschen (genauer Gottmenschen – „Zwei-Einheit“) mit der Welt innerlich-immanent, subjektiv offenbart (damit habe ich in meinen Homepage-Beiträgen genauer auseinandergesetzt). Ursprüngliche Erkenntnisquelle ist diejenige Intuition, durch die wir uns wesentlich menschlich und göttlich zugleich schöpferisch zu erkennen geben, worauf das Phänomen innerlich wahrhafter Begeisterung beruht. Aber die Intuition allein kann gar nichts bewirken noch kann sie existieren, wenn es nicht auch noch eine pragmatische, d. h. objektivierende Erkenntnis gibt, durch die unser praktisches Leben möglich wird und ohne die die Intuition in der Luft hängen bliebe.
Sie verlangen von mir ein „UNABHÄNGIG(ES)“ Erkenntnisstreben. Daraus schließe ich, daß Sie eine Erkenntnis wollen, die vom Menschlich-Subjektiven befreit ist. Doch ich meine gerade, daß es solch eine Erkenntnis nicht gibt. Es gibt nirgends eine Erkenntnis, die vom subjektiven Wollen, die von subjektiven Emotionen und Gefühlen gänzlich befreit wäre. Alle, die behaupten, ihre Erkenntnis wäre rein „objektiv“ und völlig frei aller eigenen Intentionen und Intuitionen unterliegen einer Illusion. Selbst das Lösen einer scheinbar rein logischen, mathematischen Aufgabe setzt voraus, daß sie von einem Menschen vorgenommen wird, der einen Sinn und ein Ziel mit der Lösung der Aufgabe verbindet, der motiviert ist, z. B. eine mathematische Aufgabe zu lösen. Ohne jegliche ursprüngliche Motivation würde nichts, aber auch gar nichts vom Menschen zu schaffen sein. Was meinen Sie denn, woher sich diese Motivation speist? Für mich liegt die ursprüngliche Motivation im Menschen selber, in seinem schöpferischen Wollen, den Sinn des Ganzen zu erfassen. Der Punkt ist meines Erachtens vor allem auch der, daß der Sinn über unsere gottmenschliche, d. h. ethische Grundintuition von uns Menschen schöpferisch erkannt werden kann und muß, damit wir unserer ganzheitlichen Bestimmung gerecht werden können, die da heißt: das Reich Gottes auf Erden zu erschaffen – doch gerade dieser Prozeß ist ein tragischer, weil sich die zur Starrheit tendierende Welt dem wahrhaft-gemeinschaftlichen „Liebesschaffen“ des Menschen permanent widersetzt. Erkenntnis ist nicht reiner Selbstzweck, sofern mit dem Selbst das in sich selbst gefesselte, nichtgemeinschaftliche Ego gemeint ist, welches sich in der Welt vorrangig nur objektivierend nach autoritativen Maßstäben zu orientieren vermag. Aber mit all dem habe ich mich umfassender in meinen Beiträgen beschäftigt.
Wörter wie „Hingezogenfühlen“ oder „Begeisterung“ sind nicht meine Zentralbegriffe bzw. – genauer – Zentralsymbole für existentielle Phänomene, auf die ich mich berufe. Mein „Zentralbegriff“ an sich heißt: Liebesintuition. Die Liebesintuition ist dem Menschen immanent gegeben und bildet den wesentlichsten Kern seiner Erkenntnis überhaupt. Weitere Ausführungen dazu finden Sie auf meiner Homepage.
Eckhart stehe ich kritisch gegenüber. Ich habe mich, ich gebe zu, nicht erschöpfend intensiv mit ihm beschäftigt. Er gehört aber auch nicht zu meinen „Quasi-‚Favoriten’“, sondern war für mich eine nicht ganz unerhebliche Begegnung auf meinem geistigen Weg. Ich vermute eben gerade nicht in der Abgeschiedenheit der Gottheit die Wahrheit an sich – im Gegensatz zu Eckhart. Die Gottheit, die einen anderen bzw. anderes nicht kennt, kann meines Erachtens als unergründliches Nichts, aber nicht als Wahrheit verstanden werden. Denn Wahrheit ist für mich schöpferische Freiheit, gottmenschliche Fülle, die eben nicht reines Nichts, sondern die Offenbarung der Gemeinschaft von Persönlichkeiten in einer Persönlichkeit ist.
Ich behaupte in meinen Auseinandersetzungen gerade, daß vom buddhistischen Ansatz her massiv spekuliert wird, d. h., die buddhistische Philosophie resultiert oftmals aus einer Umdeutung existentieller Erfahrungen.
Ich bete Berdjajew nicht an, sondern fühle mich mit seinem Denken innerlich und intuitiv verbunden.
Mit freundlichen Grüßen Dirk Hübner
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